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ORF.at/Christian Öser
ORF-Gesetz

Experten orten Mängel

Die ORF-Digitalnovelle hat auch am Donnerstag ambivalente Reaktionen hervorgerufen. Während die neue Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über eine Haushaltsabgabe grundsätzlich begrüßt wurde, wurde vor Einschränkungen für die „Blaue Seite“ ORF.at gewarnt. Medienwissenschaftler, Gewerkschaft, der ORF-Redaktionsrat, Kirchenvertreter und Filmproduzenten meldeten sich zu Wort.

Man habe versucht, „es allen irgendwie recht zu machen – das kann nicht gelingen“, sagte der Medienwissenschaftler Josef Seethaler am Donnerstag im Gespräch mit der APA. Tatsächlich wäre der Prozess eine Chance gewesen, „auf die radikalen Veränderungen in Medienangebot und -nutzung zu reagieren“. Dafür hätte es jedoch eine tiefere Reflexion über und ein Gesamtkonzept für die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben müssen. Dieses „fehlt deutlich“.

Man hätte über ein sinnvolles Ausbalancieren von öffentlich-rechtlichen, privaten und nicht kommerziellen Medienanbietern intensiv nachdenken können. „Wir brauchen sie alle in einer demokratischen Medienordnung“, so der auch am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätige Seethaler. Auch von den Medienunternehmen sollte hier mehr kommen, als die meist reflexhaft geführte Diskussion aktuell hergebe.

Medienministerin Raab zum ORF-Gesetz

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) spricht zu den mit dem neuen ORF-Gesetz einhergehenden Einsparungen und Programmänderungen beim ORF. Sie beantwortet auch, weshalb die Entpolitisierung des Stiftungsrats nicht Teil des neuen Gesetzes ist.

Medienforscher: „Falsche Richtung“

In anderen Ländern mache man sich weiterführende Gedanken zu „mehr technischen und publizistischen Kooperationen“, zu starken Antworten auf Desinformation oder zum aktiven Einbeziehen des Publikums, „das längst kein bloß konsumierendes mehr ist“. Sehe man sich jetzt die neuen Einschränkungen für die „Blaue Seite“ ORF.at mit der wöchentlichen Textbegrenzung auf 350 Artikel an, die noch dazu nur überblickshaft sein sollen, gehe das in die falsche Richtung.

„Es geht ja nicht darum, ein paar Informationen zu bieten. Das genau ist kein zeitgemäßer Umgang mit Onlineformaten. Es braucht Ansprache, Interaktivität, Einbindung, Empowerment“, so Seethaler. Auf der monetären Seite sei die Realität zudem weit davon entfernt, dass ein verringertes Angebot auf ORF.at plötzlich mehr Leserinnen und Leser und Anzeigenkunden bei anderen Medien andocken ließe. Der größte und stark wachsende Teil des Werbekuchens von rund zwei Milliarden Euro geht schließlich an die globalen Plattformen Google, Meta & Co.

„Nullsummenspiel nicht haltbar“

Die von der Politik vorgetragene Idee eines „Nullsummenspiels“ für den ORF durch die Finanzierung mit der neuen Haushaltsabgabe sei „nicht haltbar“. „Es müssen natürlich Einsparungen folgen“, so Seethaler, der die von der Politik forcierte Verknüpfung der Neuaufstellung der ORF-Finanzierung einerseits und die Sparmaßnahmen bei Gehältern, Personal und Co. andererseits höchst kritisch sieht: „Beides ist wichtig. Es sind aber zwei verschiedene Paar Schuhe.“

Opposition kritisiert ORF-Gesetz

Großer Unmut herrscht bei vielen Abgeordneten quer über fast alle Parteien über die Beschneidung von ORF.at. Die Seite darf nur mehr ein Drittel ihres Textangebotes liefern.

ORF-Redaktionsrat: „Zum Teil besorgniserregend“

Kritisch äußerte sich der ORF-Redaktionsrat. Zwar begrüße man grundsätzlich die Einigung, gleichzeitig seien die vorgestellten Details aber „zum Teil besorgniserregend“, hieß es in einer Stellungnahme vom Vorsitzenden des Redaktionsrats, Dieter Bornemann. Der Wunsch „Alles billiger, alles besser“, den man aus den Plänen herauslese, sei „in der Praxis wohl nicht umsetzbar“.

Einsparungen von 325 Mio. Euro sowie die ausgesetzte Valorisierung der neuen Haushaltsabgabe für die nächsten drei Jahre bedeute für den ORF netto deutlich weniger finanzielle Mittel. „Und das nach zahlreichen Sparpaketen“, so Bornemann gegenüber der APA. Kritischer und unabhängiger Journalismus brauche außerdem eine finanzielle und politische Unabhängigkeit. Insofern bedaure man es sehr, „dass eine Reform und Entpolitisierung der ORF-Aufsichtsgremien nicht einmal diskutiert wurde – obwohl von zahlreichen Expertinnen und Experten seit Jahren gefordert“.

Außerdem ist die Einschränkung der Textmeldungen auf ORF.at aus Sicht des Redaktionsrats „problematisch“. Könne man über wichtige Ereignisse nicht mehr berichten, weil das wöchentliche Kontingent – die Regierung hat hier 350 Meldungen angesetzt – aufgebraucht sei, widerspreche das dem Informationsauftrag des ORF. „Und das ist ganz sicher nicht im Sinne des Publikums“, so Bornemann. „Ob diese Einschränkungen dem Geschäftsmodell von privaten Medien nützen, daran gibt es massive Zweifel von Expertinnen und Experten.“

Hinsichtlich der geplanten Transparenzregeln und der damit verbundenen namentlichen Offenlegung von Mitarbeitern ab einem Jahresbruttogehalt von 170.000 Euro hielt Bornemann fest: „Es spricht wenig gegen eine Offenlegung von hohen Gehältern – allerdings ist unverständlich, warum das ausschließlich für den ORF gelten soll. Diese Transparenz muss dann für alle öffentlich finanzierten Institutionen gelten.“

Auch Gewerkschaft warnt

„Die geplanten Einschnitte beim ORF inklusive fortgesetztem und verstärktem Sparkurs sind in dieser Form abzulehnen. Es bräuchte mehr Investitionen und Geld für den heimischen Medienmarkt, um der Übermacht und Desinformation aus sozialen Netzwerken und zahlreichen Fake-News-Quellen etwas entgegensetzen zu können“, sagte auch die Vorsitzende des Wirtschaftsbereichs ORF und Töchter in der GPA, Nadja Igler in einer Aussendung. „Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem ausgewiesenen Zukunftsmarkt gezielt zu reduzieren, stärkt die Demokratie, gerade dort, wo die Jungen sind, definitiv nicht, im Gegenteil.“

„Es wird sich auch erst zeigen, ob eine Reduktion der Textangebote bei ORF.at wirklich den erhofften Nutzersprung bei kostenpflichtigen Angeboten auslöst oder ob die Nutzer und Nutzerinnen nicht vielmehr auf andere, weniger seriöse und kostenlose Medien im deutschsprachigen Raum ausweichen. Die Sicherung der Finanzierung des ORF durch die Haushaltsabgabe ist begrüßenswert, aber angesichts der weiterhin hohen Inflation ist das Festzurren der Gebühren auf drei Jahre eine weitere gezielte Schwächung“, so Igler.

Kirchenvertreter Riedl: Plus und Minus

Als positiv bewertete Christoph Riedl, Vertreter der katholischen Kirche im ORF-Publikumsrat, die geplante Haushaltsabgabe, die für Klarheit bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und insgesamt für eine gerechtere Verteilung der Kosten sorgen werde, ebenso sei zu begrüßen, dass dem ORF nun neue Möglichkeiten digitaler Präsenz offenstehen sollen.

Skeptisch betrachtete Riedl die strengen Sparauflagen durch die zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP), wonach das ORF-Budget drei Jahre lang eingefroren werden soll – bei gleichzeitig auszuweitendem Programmangebot. Auch die Beschränkung der „Blauen Seite“ ORF.at und die weiterhin fehlenden objektiven Kriterien für Medienförderung in Österreich kritisierte der kirchliche Medienexperte – mehr dazu in religion.ORF.at.

Filmproduzenten: Anlass zur Hoffnung

Als Anlass zur Hoffnung sah der Verband österreichischer Filmproduzentinnen und -produzenten (AAFP) das ORF-Gesetz. Das Bekenntnis zu mehr österreichischem Programm dürfe aber kein Lippenbekenntnis bleiben, warnte Helmut Grasser, Präsident der Film Austria. „Wir fordern, dass Gebühren wirklich ins Programm fließen.“ John Lüftner, einer der beiden Präsidenten des AAFP, beklagte indes, dass für die unabhängige Produktionswirtschaft trotz höherer Einnahmen des ORF bisher noch keine Planungssicherheit herrsche.

Alexander Glehr, ebenso Präsident des AAFP, wiederum verwies darauf, dass international ein Trend bestehe, Medienkonzerne zu Vergaben an die jeweils heimische Branche zu verpflichten. Von Religion bis Bildung, von Schlagershow bis Kabarett und Oper, von Fernseh- und Kinofilmen bis „Universum“-Dokus und Kinderprogramm seien von diesem Investitionsvolumen betroffen – auch „Dancing Stars“, die Feiertagssmesse oder „Seitenblicke“.

Mit dem Mehr an Budget müsse sichergestellt werden, dass die Österreicherinnen und Österreicher auch ein Mehr an Programm bekommen. Die drei AAFP-Vertreter forderten, dass gesetzlich festgelegt werde, 20 Prozent der Einnahmen des ORF durch die Haushaltsabgabe extern in die Programmerstellung zu investieren. Der ORF sei der größte Auftraggeber der heimischen Produktionswirtschaft.

ÖVP: „Großartige Arbeit“

„Diese Bundesregierung ist angetreten, um in unserem Land den vielfältigen Medienstandort abzusichern, die Sicherung des unabhängigen Journalismus zu gewährleisten, zu qualitätsvollem Journalismus beizutragen und die Medien unseres Landes in eine digitale Zukunft zu begleiten“, sagte ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger am Donnerstag, im Nationalrat.

Dafür würden auch finanzielle Mittel aufgebracht, verwies Egger in diesem Zusammenhang auf den Umfang der Digitalisierungsförderung des vergangenen Jahres mit 54 Millionen Euro. Weitere 25 Millionen Euro kommen heuer dazu. „Darüber hinaus beschließen wir eine Qualitätsjournalismusförderung von 20 Millionen Euro und haben gestern die Absicherung des ORF plus eine Digitalisierungsnovelle auf den Weg gebracht.“ Medienministerin Raab und alle Beteiligten hätten großartige Arbeit geleistet.