Touristen am Strand in Gran Canaria
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Tourismus

Zwischen später „Rache“ und Nachhaltigkeit

Kurz war es still geworden um den Overtourism, das Phänomen also, wenn ein Ort von zu vielen Touristinnen und Touristen zur gleichen Zeit besucht wird. Die Coronavirus-Pandemie brachte den Fremdenverkehr abrupt zum Erliegen, förderte aber die Hoffnung, Fehlentwicklungen der Vergangenheit entgegenwirken zu können. Der große Wandel blieb vorerst aus, das Thema Nachhaltigkeit hat dennoch an Wertigkeit gewonnen.

„Es wurde kein Schalter umgelegt“, Änderungen würden sich langsamer durchsetzen als ursprünglich gedacht, sagt Eva Brucker, Leiterin des Studiengangs Innovation und Management im Tourismus an der FH Salzburg, im Gespräch mit ORF.at. Derzeit herrsche vielfach noch der Wunsch, Entgangenes nachzuholen, Destination und Art der Reise wieder selbst bestimmen zu können – „Revenge Travel“ lautet der Name dafür, sprich: die Rache der Reiselustigen.

Diese Entwicklung sei schon 2022 zu spüren gewesen. Bis wirklich Lehren aus der Pandemie gezogen werden könnten, würden wohl noch zwei, drei Jahre vergehen, sagt Brucker. Das Gesamtbild der Urlaubsreisen wird 2023 wieder ähnlich sein wie vor der Pandemie, die Bilanzen von Reiseanbietern und Fluglinien ebenso.

Touristen in Griechenland
APA/AFP/Louisa Gouliamaki
Die Urlauberinnen und Urlauber sind zurück – mit ihnen der Overtourism

Geändertes Bewusstsein

Selbst die von riesigen Verlusten während der Pandemie gebeutelte Kreuzfahrtindustrie will 2023 die Krise endgültig hinter sich lassen. „Im Laufe dieses Jahres werden wir das Vor-CoV-Volumen an Passagieren wieder erreichen oder übertreffen“, hieß es Ende April vom Handelsverband für Kreuzfahrtschiffe (CLIA).

Dennoch habe sich etwas getan, sagt Brucker, das Bewusstsein vieler Anbieter habe sich geändert. Und auch auf Konsumentenseite habe sich die Nachfrage gewandelt, die Urgenz der Klimakrise wirke sich aus: Die Einhaltung von Grundstandards bei Themen wie Ernährung, Müllvermeidung und -verwertung und intakte Wertschöpfungsketten würde an Bedeutung gewinnen.

Die Anforderungen der Urlaubenden haben sich geändert, bestätigte auch Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (ÖVP). „In den letzten Jahren hat sich ein regelrechter Nachhaltigkeitsboom entwickelt, was sich sowohl bei den Buchungsentscheidungen der Touristinnen und Touristen als auch beim Angebot der heimischen Betriebe immer stärker zeigt. Auch die Art des Reisens wird immer umweltverträglicher.“

Touristen in Wien
ORF.at/Christian Öser
In Österreich ist der Tourismus ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, Wien hat wieder vorpandemische Besucherzahlen erreicht

Teuerung schlägt Nachhaltigkeit

„Viele potenzielle Gäste sind bereit, mehr für nachhaltige Angebote im Hotel zu bezahlen. Laut unserer aktuellen Nachhaltigkeitsstudie kann rund ein Viertel der Befragten – 23 Prozent – als nachhaltigkeitsaffin bezeichnet werden“, sagte dazu Astrid Steharnig-Staudinger, Geschäftsführerin der Österreich Werbung. Zudem würden 76 Prozent der befragten Hotels planen, in der nächsten Zeit das Thema Nachhaltigkeit zu forcieren. Bei der Tourismusförderung werde darauf ebenfalls großer Wert gelegt.

Das bestätigt auch Expertin Brucker, die Vergabe von Krediten in der Branche etwa hänge unmittelbar mit Kriterien der Nachhaltigkeit zusammen. Wie sehr das Thema bei der Urlaubsentscheidung tatsächlich ins Gewicht falle, sei schwierig festzumachen. Bruckers Einschätzung nach würden 80 Prozent sagen, Nachhaltigkeit sei wichtig, sich letztlich aber nur zehn Prozent definitiv daran halten. Zurückzuführen sei das nicht zuletzt auf die Teuerung – mehr dazu in Inflation schlägt bei Freizeit, Reisen durch. Abstriche würden zuvorderst bei der Nachhaltigkeit gemacht.

Wanderer auf dem Weg zu einer Hütte
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Das Reisen abseits der Touristenströme wird weiter zunehmen, heißt es von der ETC

Umplanung wegen Überfüllung

Die Preise sind auch ein Grund dafür, dass Reisen außerhalb der Hochsaison auf dem Vormarsch sind, wie eine aktuelle Studie der European Travel Commission (ETC) mit Erhebungen in zehn Ländern, darunter Österreich, ergab. Heuer würden mehr Europäer und Europäerinnen einen Urlaub im Frühjahr und Frühsommer planen als im klassischen Ferienmonat August. Das Umdenken hat aber noch andere Ursachen, die bis vor Kurzem weniger ins Gewicht fielen: den Wunsch, Hitzewellen und Menschenmassen zu vermeiden.

Angenehme Wetterbedingungen (18 Prozent) sind der Umfrage zufolge der wichtigste Grund für die Wahl eines Reiseziels, gefolgt von attraktiven Preisangeboten (17 Prozent) und geringer Überfüllung (elf Prozent). Den Kampf um Sonnenschirme an beliebten Stränden, um den Eintritt in bekannte Museen oder den Besuch von Lokalitäten, die in allen Reiseführern als Must-have ausgewiesen werden, wollen sich zusehends weniger Menschen antun – zumindest in der Hauptreisezeit. Die Pandemie und die mit ihr einhergegangenen Restriktionen dürften dabei bis jetzt, trotz Aufhebung aller Maßnahmen, Nachhall finden.

Passagiere am Flugahfen Wien-Schwechat
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Steigende Kosten, der Krieg in der Ukraine und Sorge vor extremen Wetterbedingungen beeinflussen heuer die Reiseentscheidung

Vorreiter vorhanden

Luis Araujo, Präsident der ETC, kommentierte die Studie mit den Worten: „Es ist ermutigend zu sehen, dass sich mehr Menschen für Reisen außerhalb der Sommerspitzenzeiten entscheiden, um Überfüllung und hohe Preise zu vermeiden. Dieser positive Trend unterstützt ein nachhaltiges Destinationsmanagement, indem die Tourismusströme gleichmäßiger verteilt werden. Wir raten allen Tourismusbetrieben, diese Trends aufmerksam zu verfolgen.“

Der Wille in der Bevölkerung sei da, sagt Brucker, positive Beispiele seien vorhanden. Sie erwähnt etwa das Boutiquehotel Stadthalle in Wien, im Besitz der früheren, langjährigen Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), Michaela Reitterer. Das Hotel nennt sich auf seiner Website das erste SDG-Stadthotel (Sustainable Development Goals) mit Null-Energie-Bilanz, was bedeutet: „Durch Photovoltaik, Solarenergie und den Verzicht auf große Energiefresser können wir im Boutiquehotel Stadthalle übers Jahr gesehen genauso viel Energie produzieren, wie wir verbrauchen.“ Ähnlich ambitioniert sei das Konzept des Hotels Ammerhauser in Salzburg.

Boutiquehotel Stadthalle
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Das Boutiquehotel Stadthalle in Wien ist beispielgebend für Nachhaltigkeit im Tourismus

Alle Seiten – Anbieter, Konsumentinnen, Politik – wüssten, was zu tun sei, sagt Brucker. Wichtig wäre, vom Reden „endlich ins Tun zu kommen“. Ohne Verzicht ließe sich das Umkippen des Klimas ins Menschenfeindliche nicht verhindern, lautet eine von vielen geteilte These. Brucker hält dem entgegen: Die Verzichtsthematik allein würde nicht reichen, ein Mehr an Innovation und Kreativität sowie der Blick auf das Gemeinwohl seien die entscheidenden Faktoren, um den Tourismus in ein neues, nachhaltiges Zeitalter zu führen.