Bundeskanzler Karl Nehammer am ehemaligen Appellplatz Gusen
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Mit Blick in die Zukunft

Republik gedachte in Gusen der KZ-Opfer

Am ehemaligen Appellplatz des KZ Gusen in der Mühlviertler Gemeinde Langenstein hat die Republik am Donnerstag der Opfer der Konzentrationslager und der Befreiung der Lager Mauthausen und Gusen durch die US-Armee am 5. Mai 1945 gedacht. Das frühere Nebenlager soll neu gestaltet werden. Ein Überlebender teilte dazu seine Ansichten.

Am Donnerstag beging das offizielle Österreich, so wie auch schon im Vorjahr, zunächst eine nicht öffentliche Zeremonie in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Danach begann das Gedenken auf dem ehemaligen Appellplatz in Gusen, einem Nebenlager von Mauthausen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP), mehrere Mitglieder der Bundesregierung sowie Abgeordnete von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS vertraten die Republik. Botschafter der Opfernationen sowie der Chairman der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem, Dani Dayan, und der Gusen-Überlebende Stanislaw Zalewski waren ebenfalls anwesend.

Inhaltlich stand die Feier im Zeichen des aktuell laufenden Beteiligungsprozesses zur Erweiterung der KZ-Gedenkstätte Gusen, nachdem Österreich im Vorjahr Flächen des ehemaligen Lagers gekauft hat. Anstatt großer Reden gab es heuer dementsprechend einen Blick nach vorne – mehrere an dem Prozess Beteiligte umrissen das Wertegerüst, auf dem die Gedenkstätte fußen soll, von Internationalität über Toleranz und Würde bis hin zu Wertschätzung und Begegnung.

„Antisemitismus, Rassismus, Totalitarismus, Diktatur, Abschaffung der Meinungsfreiheit und Abschaffung der Demokratie führen zu dem, was wir hier sehen“, sagte Nehammer. Er wünsche dem Projekt alles Gute und versprach: „Die Unterstützung der Bundesregierung ist sichergestellt.“ Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte zuvor in einer Aussendung betont, „die laufende Neugestaltung der Gedenkstätte Gusen soll einen Ort der Erinnerung und der Begegnung für die nächsten Generationen ermöglichen“.

Gedenkfeiern in Mauthausen und Gusen

Am Donnerstag vor 78 Jahren hat die US-Armee die Konzentrationslager Mauthausen und Gusen in Oberösterreich befreit. Die Staats- und Regierungsspitze gedenkt dort der Opfer des Nationalsozialismus.

36.000 Todesopfer

Im KZ Mauthausen und seinen mehr als 40 Nebenlagern wurden zwischen 1938 und 1945 etwa 190.000 Menschen gefangengehalten, rund 90.000 überlebten nicht. Gusen war zwar offiziell auch nur ein Nebenlager, in vielen Jahren war die Zahl der Toten dort aber deutlich höher als im Stammlager. Heute geht man davon aus, dass in Gusen 71.000 Gefangene aus ganz Europa interniert waren, von denen etwa 36.000 zu Tode kamen. Die Bedingungen waren besonders hart.

Die Häftlinge mussten dort unter enormem Blutzoll eine unterirdische Stollenanlage errichten, in der die Nazis unter dem Decknamen „Bergkristall“ eine geheime Rüstungsproduktion betrieben. Als die US-Armee die Lager Mauthausen und Gusen am 5. Mai 1945 erreichte, waren viele Häftlinge so geschwächt, dass sie in den Tagen und Wochen nach ihrer Befreiung starben.

Große Beteiligung an Neugestaltung

Während das Zentrum des ehemaligen Hauptlagers Mauthausen 1947 der Republik Österreich mit der Auflage übergeben wurde, eine Gedenkstätte zu errichten, und sich das Gedenken seither auf diesen Ort konzentrierte, geriet das Nebenlager Gusen zunehmend in Vergessenheit. Nur eine kleine Gedenkstätte erinnerte an die Opfer, was zuletzt immer wieder für Diskussionen gesorgt hatte. Vor allem Polen – Heimatland vieler Opfer – machte Druck für ein würdiges Gedenken und wollte das Areal sogar selbst kaufen.

TV-Hinweis

ORF2 und die TVthek übertragen am Freitag um 11.00 Uhr live aus der Wiener Hofburg die „Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus“. Davor und danach stehen zwei Porträts von Opfern des Holocaust auf dem Programm – mehr dazu in tv.ORF.at.

Im Vorjahr erwarb die Republik Österreich einige Flächen und Gebäudereste, darunter den ehemaligen Appellplatz, den Schotterbrecher und zwei SS-Verwaltungsgebäude. In den kommenden Jahren sollen sie in die bestehende Gedenkstätte Gusen integriert werden. In den Beteiligungsprozess zur Neugestaltung in Gusen seien derzeit rund 100 Personen aus 20 Nationen eingebunden, schilderte die Direktorin der Gedenkstätte Mauthausen, Barbara Glück.

Der 97-jährige Überlebende Zalewski hatte schon im Vorfeld scharfe Kritik daran geübt, dass das Areal nach dem Zweiten Weltkrieg parzelliert wurde und wichtige Erinnerungsorte verschwanden. Von KZ-Erinnerungsstätten erwarte er sich, dass sie die Erfahrungen der Insassen nachvollziehbar machten, erläuterte Zalewski bei einem Pressegespräch in Wien.

Zalewski, Präsident des Verbands ehemaliger polnischer KZ-Häftlinge, gilt als einer der letzten lebenden Zeitzeugen des KZ Gusen. Der Fahrzeugtechniker war wegen seiner Teilnahme am polnischen Widerstand 1943 von den NS-Besetzern inhaftiert und über das KZ Auschwitz-Birkenau schließlich in das KZ Gusen gekommen. Dort verbrachte er 545 Tage.

Zeitzeuge Zalewski im Gespräch

Der 97-jährige Stanislaw Zalewski, der als politischer Häftling während des NS-Terrorregimes drei Konzentrationslager überlebt hat, berichtet, wie er diese Zeit überleben konnte.

Zalewski äußerte konkrete Vorstellungen: „Jeder, der in eine Gedenkstätte kommt, soll sich nach einer gewissen Zeit so fühlen, als wäre er selbst Insasse in einem NS-Konzentrationslager.“ Deshalb solle auch die Infrastruktur so bleiben, wie sie zur Zeit des Lagerbetriebes gewesen sei. Der KZ-Überlebende plädierte auch dafür, gegebenenfalls Teile zu rekonstruieren. Auch solle Wissenschaft an Ort und Stelle betrieben werden. Kritik übte Zalewski auch an einer neuen „Virusepidemie“ namens „patriotischer Egoismus“: „Das bedeutet, dass jeder meint, er hätte recht gehabt und er hätte am meisten gelitten.“

Gedenkfeier zum 78. Jahrestag der Begfreiung der KZ Mauthausen und Gusen
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Polaschek, Karner, Nehammer und Glück gemeinsam mit Zalewski

Fonds soll Schulklassen bei Besuch helfen

Die Bundesregierung will jedenfalls mehr Besuche in den Gedenkstätten ermöglichen. Dazu richtete sie einen neuen Fonds zur Förderung ein. Damit werden ab 2023/24 Schulklassen der achten Schulstufe (vierte Klasse AHS/Mittelschule/Sonderschule) mit bis zu 500 Euro unterstützt, um die KZ-Gedenkstätte Mauthausen und Gusen sowie die ehemaligen Außenlager Ebensee und Melk zu besuchen. Insgesamt ist der Fonds mit jährlich 1,5 Mio. Euro dotiert. ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek und Karner erinnerten in Aussendungen an die große Bedeutung des Vermittlens eines umfassenden Bewusstseins.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, erklärte, die Stärkung der Erinnerungskultur durch einen Besuch an einer KZ-Gedenkstätte sei „ein wichtiger Beitrag für die Bewusstseinsbildung und den Kampf gegen Antisemitismus“. Das sei „speziell im Hinblick darauf, dass leider immer weniger Zeitzeugen in Kontakt mit jungen Menschen treten können“, wichtig. Der nächste Schritt sei, ein Schoah-Zentrum auf die Agenda zu setzen.

Eine Lichtinstallation in Gusen im Rahmen der Gedenkfeier anlässlich des 78. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Mauthausen und Gusen
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Die Licht- und Klanginstallation „#eachnamematters“ zeigte Namen der Opfer

Mehrere Veranstaltungen

Nach der Feier erinnerte die Licht- und Klanginstallation „#eachnamematters“ in Kooperation mit der Ars Electronica im Eingangsbereich des Stollensystems – auch hier hat die Republik Areale erworben – an die Opfer. Die Namen von Zehntausenden KZ-Opfern wurden breitflächig projiziert und gleichzeitig verlesen. Der Gedenkfeier in Gusen folgen in den kommenden Tagen noch zahlreiche weitere anlässlich der Befreiung Österreichs vom NS-Terrorregime: Am 7. Mai werden Abordnungen aus aller Welt zur traditionellen Befreiungsfeier in Mauthausen erwartet, am Montag steigt am Wiener Heldenplatz das „Fest der Freude“.