Vizekanzler Werner Kogler, Sozialminister Johannes Rauch und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig
IMAGO/Martin Juen
Vage Ergebnisse

Viel Kritik nach „Lebensmittelgipfel“

Nach dem „Lebensmittelgipfel“ am Montag hat Kritik nicht lange auf sich warten lassen. Die fiel teils recht scharf aus. Die Opposition warf der Bundesregierung Versagen vor, SPÖ und FPÖ kündigten Misstrauensanträge an, erneut wurden Forderungen nach Eingriffen in die Preise laut. Gerade an diesem Punkt gehen die Standpunkte sehr weit auseinander. Unter dem Strich waren die Ergebnisse des „Gipfels“ eher vage geblieben.

Der Hauptgrund dafür sind naturgemäß unterschiedliche Interessen bei Produzenten und Produzentinnen, Handel und Konsumenten, aber auch unterschiedliche Meinungen von Experten zu Streitfragen wie etwa einen Eingriff in die Preise und die aktuell debattierte temporäre Senkung der Mehrwertsteuer (MwSt). Entsprechend den unterschiedlichen Interessenlagen fiel auch die Kritik am „Gipfel“ aus.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die aktuell um den Parteivorsitz kämpft, kündigte in einer Reaktion eine Nationalratssondersitzung samt Misstrauensantrags gegen die Regierung an. „Es ist fünf nach zwölf“, schrieb sie in einer Aussendung. Die SPÖ-Chefin forderte etwa einen Mietpreisdeckel, die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und die Einsetzung einer Antiteuerungskommission.

„Das Totalversagen der Bundesregierung im Kampf gegen die Teuerung ist seit Monaten evident", schrieb Rendi-Wagners parteiinterner Herausforderer, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil in einer Aussendung. Die Bevölkerung zahle die Zeche „für die Weigerung der Regierung, rechtzeitig in die Märkte einzugreifen“ – das gelte nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für den Energie- und Wohnbereich. Gegenkandidat Nummer zwei, Andreas Babler, hob am Montag seine Kampagne „Jetzt eingreifen – Gierflation stoppen“ aus der Taufe.

Expertinnendiskussion zum „Lebensmittelgipfel“

Der von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) organisierte Lebensmittelgipfel ist ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Nun werde es weitere Beratungen zu den hohen Lebensmittelpreisen geben. Zu Gast im ZIB2-Studio waren die Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, Monika Köppl-Turyna, und die Volkswirtin und Gewerkschafterin Helene Schuberth.

Auch FPÖ kündigt Misstrauensantrag an

„Diese Regierung lässt die heimische Bevölkerung auch bei den Lebensmittelpreisen weiterhin eiskalt im Stich“, so FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Aussendung. „Wer sich auf diese Bundesregierung verlässt, der ist verlassen.“ Der Lebensmitteleinkauf werde bei vielen Menschen zu einem finanziellen Balanceakt. „Und was macht die Regierung? Sie präsentiert keine Konzepte, sondern erklärt uns heute nur, was alles nicht geht“, so Kickl. Freiwillige Preisbremsen und eine Senkung der Mehrwertsteuer seien zwar offenbar diskutiert worden, „das war’s dann aber auch“. Auch er kündigte für die FPÖ einen Misstrauensantrag gegen die Regierung an.

„Als es darum ging, Geld mit der Gießkanne zu verteilen und die Inflation damit nur zu befeuern, konnte es der Regierung nicht schnell genug gehen“, so NEOS-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. „Jetzt, da es ums Löschen des von ihr angefachten Brandes geht, haben ÖVP und Grüne plötzlich die Ruhe weg.“ Die Bundesregierung müsse endlich handeln. Die Lösung sei ganz einfach: „ÖVP und Grüne müssen nur damit aufhören, den Leuten so viel Geld wegzunehmen“, so Loacker.

AK spricht von „massiven Übergewinnen“

Andere hegen einen anderen Verdacht hinter der hohen Teuerung, unter ihnen die Arbeiterkammer (AK). Mittlerweile werde „immer klarer: Die Preiskrise geht mit massiven Übergewinnen einher. Viele Unternehmen erhöhen ihre Preise deutlich mehr, als es die gestiegenen Kosten rechtfertigen würden“, so der AK-Bereichsleiter für Wirtschaft, Tobias Schweitzer. Die AK forderte unter anderem erneut eine Mietpreisbremse „und die Abschöpfung der Übergewinne durch eine wirksame Übergewinnsteuer“.

Ruf nach Mietpreisbremse und „Energiegrundsicherung“

„Ärmere entlasten, Preise dämpfen“, forderte das Netzwerk Armutskonferenz in einer Aussendung und sprach sich für eine Preisdatenbank mit evidenzbasierten Zahlen, eine „in der Krise funktionierende“ Sozialhilfe, eine Mietpreisbremse und eine „Energiegrundsicherung“ aus. „Die drei Hauptposten in finanziell knappen Haushalten sind Wohnen, Energie und Lebensmittel“, wobei den größten Anteil die Wohnkosten ausmachten. Aus diesem Grund sollten Mieterhöhungen vom Verbraucherpreisindex (VPI) entkoppelt werden.

Handel bietet „gerne Gespräche an“

„Als Handel treten wir gerne in Gespräche mit der Regierung, um Rezepte gegen die hohe Inflation zu finden“, bot Christian Prauchner, Obmann des Bundesgremiums Lebensmittelhandel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), an. Aber: „Die gesamte Lebensmittelkette“ sei stark „von der Kostenexplosion des vergangenen Jahres insbesondere im Energiebereich, aber auch bei Rohstoffen, Verpackungsmaterialien, Logistik und Lohnkosten betroffen“. Der Handel sei „somit nicht Verursacher, sondern selbst Betroffener der aktuellen Teuerungswelle“.

Industrie sorgt sich um Wirtschaftsstandort

Die Industriellenvereinigung (IV) schließlich sorgt sich wegen der hohen Teuerungsrate um den Wirtschaftsstandort. „Die hohe Inflation in Österreich wird zunehmend zur Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen. Steigende Kosten können nur in beschränktem Ausmaß weitergegeben werden, um die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Industrie auf internationalen Märkten nicht zu gefährden“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer in einer Presseaussendung. Es brauche „rasch inflationsdämpfende Maßnahmen“.

„Komplett unterschiedliche Meinungen“

Zu dem Gespräch im Sozialministerium hatten Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) Vertreter aus Produktion, Lebensmittelhandel und Industrie sowie Experten geladen.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) beim Lebensmittel-Gipfels
APA/Helmut Fohringer

Kogler zog danach ein positives Zwischenresümee, wies aber auch darauf hin, dass es in vielen Punkten naturgemäß unterschiedliche Interessen zwischen Produzenten und Handel, aber auch keine übereinstimmende Meinung zwischen diesen und Experten gebe, besonders etwa beim Thema Eingriff in Preise, wo „Experten komplett unterschiedliche Meinungen“ vertraten.

Beim Thema Preistransparenz sprach Kogler von mehreren konstruktiven Vorschlägen und „Apps, die bald entstehen könnten“. Zum Thema Preiskontrolle verwies er auf die aktuelle Untersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die „auf Hochtouren“ laufe.

Erzeugerpreis und Supermarktkassa

Landwirtschaftsminister Totschnig wies darauf hin, dass die Teuerung auch die Produzenten, also die Landwirtschaft, stark belaste. Der hohe Dieselpreis etwa ließ die Betriebskosten steigen, Düngemittel wurden insbesondere mit dem Krieg in der Ukraine deutlich teurer.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) beim Lebensmittel-Gipfels
APA/Helmut Fohringer
Zu dem „Gipfel“ hatte die Regierung Vertreter und Vertreterinnen aus Produktion, Handel und Experten geladen

Die Erzeugerpreise seien in den letzten Monaten gesunken, aber davon bemerke man oft sehr wenig an der Supermarktkassa. Ein Punkt, den auch Kogler angesprochen hatte, war die Zusammenarbeit mit Tafeln bzw. Sozialmärkten. Hier gebe es seitens der Landwirtschaft Potenzial, so Totschnig. Das Verhältnis von Ein- und Verkaufspreisen müsse klarer nachvollziehbar werden – „wo ist jetzt welche Preisgestaltung passiert“?

Nachvollziehbarkeit der Preisgestaltung

Konsumentenschutz- und Sozialminister Rauch hielt an seiner Einschätzung – einige Experten ziehen diese in Zweifel – fest, dass nämlich das Preisniveau in Österreich deutlich über dem Deutschlands liege (wobei sich die MwSt-Sätze unterscheiden, Anm.). Jedenfalls sei es nicht ausreichend nachvollziehbar, wie die Preisgestaltung entlang der Linie Produktion und Handel aussieht.

„Lebensmittelgipfel“ ohne konkretes Ergebnis

Lebensmittel waren in den letzten Monaten im Schnitt um gut 15 Prozent teurer als vor einem Jahr. Einige Gründe für die Preissteigerungen liegen auf der Hand, einige sind strittig. Montagvormittag beschäftigte sich ein „Lebensmittelgipfel“ vor allem mit Preistransparenz, Wettbewerb und der Streitfrage Mehrwertsteuersenkung. Bundesregierung und Handel zogen ein positives Zwischenresümee. Was sich aber deutlich zeigte: Die Positionen liegen sehr weit auseinander.

Zum Thema Senkung der Mehrwertsteuer betonte Rauch, dass eine solche ausschließlich dann Sinn habe, wenn sichergestellt sei, dass sie auch an die Konsumenten weitergegeben werde und kein Umverteilungseffekt von unten nach oben stattfinde. Einige EU-Staaten haben die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel bereits gesenkt.

Handel sieht Preise „kostengetrieben“

Der Handel hatte im Vorfeld des „Lebensmittelgipfels“ eine Verantwortung für die Preissteigerungen zurückgewiesen. Folglich nannte sie der Geschäftsführer des Handelsverbandes, Rainer Will, in seinem Statement nach dem Termin im Sozialministerium ausschließlich kostengetrieben. Konkret sprach er die Energiepreise an.

Man müsse Ursache und Wirkung unterscheiden, so Will. Ursache seien „ganz klar die massiv gestiegenen Energiekosten, zum Teil deutlich höhere Personal-, Finanzierungs-, Logistik- und Rohstoffpreise sowie alle indexbasierten Kosten wie Mieten, die in 2023 erstmals voll durchschlagen“, so der Handelsverband in einer Aussendung.