Weiblicher Kindergärtner mit Kindern
Getty Images/Halfpoint Images
Sozialberufe im Vorteil

KI bringt Neuordnung für Arbeitswelt

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Gesellschaft künftig stark mitgestalten und viele Bereiche nachhaltig verändern. Vor allem in der Berufswelt wird KI ein großes Thema werden. Doch die Angst davor, deshalb den Job zu verlieren, sei nur zum Teil berechtigt, sagt Viktor Mayer-Schönberger, Datenrechtsexperte und Professor für Internet Governance an der Universität Oxford. Wichtig sei jetzt eine Neuausrichtung der Arbeitswelt. Handwerk und soziale Berufe könnten stark an Bedeutung gewinnen.

KI verfasst ganze Vorträge innerhalb weniger Sekunden, genauso wie kreative Werbetexte und komplizierte Projektkonzepte – der technologische Fortschritt in Sachen KI scheint in den vergangenen Monaten rasant vorangeschritten zu sein. Zeitgleich stellen sich immer mehr Menschen die Frage, ob ihre Arbeit bald von digitalen Automatismen übernommen werden könnte.

In einem Bericht des Investmentunternehmens Goldman Sachs von März wird geschätzt, dass künstliche Intelligenz künftig ein Viertel aller Arbeiten übernehmen könnte, die derzeit noch von Menschen erledigt werden. In der Europäischen Union und den USA, so der Bericht weiter, könnten 300 Millionen Arbeitsplätze durch die Automatisierung verloren gehen.

Viktor Mayer-Schönberger

beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Internetdatenschutz und hat mehrere Bücher über die gesellschaftlichen Folgen der Nutzung von Big Data geschrieben. Seit 2018 ist er Mitglied des Digitalrats der deutschen Bundesregierung.

„Revolution der Entscheidungen“

Die Sorge, dass der verstärkte Einsatz von KI schon bald eine Art von Massenarbeitslosigkeit verursachen könnte, teilt Mayer-Schönberger nicht. Bereits 2021 schrieb er im Buch „Framers“ darüber, warum der Mensch weder durch künstliche Intelligenz noch durch Robotik je „überflüssig“ wird. Ähnlich wie zur Zeit der industriellen Revolution vor rund 150 Jahren stehe die Menschheit jetzt aber vor einer tiefgreifenden Neuordnung.

„Es ist unzweifelhaft so, dass KI als mächtiges, technisches Werkzeug menschliches Entscheiden in Zukunft ersetzen kann, genauso wie die Dampfmaschine einst teilweise menschliche Kraftanstrengungen ersetzt hat. Doch am Ende der industriellen Revolution gab es mehr Berufe als zu Beginn, nur die Inhalte der Berufe waren völlig andere. Die manuelle Arbeit wurde immer mehr ersetzt durch eine organisatorische, eine Entscheidungsarbeit. Was wir jetzt mit KI sehen, ist, dass auch die Entscheidungsarbeit zum Teil ersetzt werden kann“, so Mayer-Schönberger. Er spricht von einer „Revolution der Entscheidungen“, in der sich die Gesellschaft bereits befinde.

Wissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger
Peter van Heesen
Mayer-Schönberger ist seit 2010 Professor an der renommierten Oxford University

„Ende für klassische Schreibtischjobs“

Das betrifft vor allem klassische „Schreibtischjobs“ im mittleren Management, der Verwaltung oder etwa auch im Bereich administrativer Arbeiten. Jobs, die in den vergangenen Jahrzehnten als relativ sicher galten, können mittlerweile durch millionenfach gesammelte Erfahrungswerte von KI übernommen und ausgeführt werden – wie etwa in der Buchhaltung, Datenverarbeitung, im Banken- oder Versicherungswesen. Die Gesellschaft stehe vor großen Herausforderungen, betont Mayer-Schönberger.

Das bestätigte auch der deutsche Ökonom Jens Südekum vor Kurzem im Interview mit der ARD. Ein verstärkter Einsatz von KI in diesen Berufsfeldern bedeutet aber auch für Südekum nicht, dass jene Menschen, die diese Jobs derzeit noch ausführen, deshalb arbeitslos würden. Eher, dass Beschäftigte künftig von lästigen Aufgaben entlastet werden und deshalb mehr Zeit für Tätigkeiten haben, bei denen Menschen unverzichtbar sind.

Wissenschaftler berechnen „Risikoindex“

Welche Berufsfelder in Zukunft durch Automatismen ersetzt werden könnten, damit hat sich auch ein Team von Forschern aus der Schweiz um den KI-Experten Dario Floreano beschäftigt und einen Automatisierungsrisikoindex (ARI) berechnet.

Die Forschenden untersuchten dafür 976 Berufe und bewerteten sie anhand ihres Index. Ein ARI von 1 bedeutet, dass eine Maschine den Menschen künftig in allen erforderlichen Fähigkeiten übertrifft, während ein ARI von 0 bedeutet, dass Robotertechnologien nicht eine einzige erforderliche Fähigkeit des Menschen ersetzen können.

Eine Grafik zeigt das Automatisierungsrisiko verschiedener Berufsgruppen
Grafik: ORF; Quelle: Science Robotics/Dario Floreano und Rafael Lalive, EPFL

KI als Mittel gegen Arbeitskräftemangel?

Neben aller Befürchtungen der Arbeitswelt, von KI ersetzt zu werden, bestehe gleichzeitig eine große Chance, soziale Berufe, etwa in der Pflege, der Pädagogik oder der mentalen Gesundheit, aufzuwerten, neu auszurichten und schließlich auch attraktiver zu machen, sagt Mayer-Schönberger.

„Weil sich die Inhalte der Arbeit verändern, bedarf es auch einer Veränderung in unseren Köpfen. In der industriellen Revolution hat die Menschheit darauf geantwortet, indem es einen riesigen Boom im Dienstleistungsbereich gab. Heute sprechen wir davon, dass wir in gewissen Berufen einen großen Fachkräftemangel haben. Bis zu einem gewissen Grad wird uns die KI dabei helfen, diesen Mangel überwinden zu können“, prognostiziert der Wissenschaftler.

Allein im Bereich der Pflege würden laut Gesundheitsministerium in Österreich aufgrund der demografischen Entwicklung bis 2030 jährlich bis zu 6.700 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden.

Menschliche Dienstleistungen nicht ersetzbar

Die KI könne hier maximal mit neuer Technik unterstützend wirken, aber niemanden ersetzen, ist sich Mayer-Schönberger sicher: „Alle menschlichen Dienstleistungen wird es auch weiterhin geben. Auch jene Berufe, in denen Kreativität eine wichtige Rolle spielt, kann man nicht einfach durch KI ersetzen, wie etwa im Handwerk, wo neue und individuelle Ideen gefragt sind. Aber wenn das die zukünftigen Schwerpunkte menschlicher Arbeit sind, erfordert das eine Veränderung in unserer Gesellschaft, denn dann müssen wir unser Bildungssystem und unsere Denkmuster darauf ausrichten.“

„Es geht künftig um soziale Dimension“

Die entscheidende Frage für den Wissenschaftler lautet nicht: Gibt es durch KI weniger oder mehr Arbeitsplätze? Der Oxford-Professor stellt viel mehr die Frage: Wie werden sich Arbeitsplätze künftig verändern? „Und wie können wir den Menschen helfen, diese Veränderungen zu bewältigen und mitzugestalten? Es wird künftig stark um das Unterstützen der eigenen Kreativität, der Eigenständigkeit und der sozialen Kompetenz gehen. Es geht um die soziale Dimension und die kreative Dimension, und nicht um Fähigkeiten wie pure Intelligenz oder Gedächtnis.“