Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj
Reuters/Valentyn Ogirenko
Von der Leyen in Kiew

Viel Symbolik am Europatag

Bereits zum fünften Mal seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag Kiew besucht. Der gewählte Termin war kein Zufall, sondern sollte einmal mehr als symbolischer Akt verstanden werden. So ging es darum, in dem von Russland angegriffenen Land den Europatag zu feiern. Im Gespräch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj waren Munition, Geld und die EU-Beitrittsperspektive die Themen.

Von der Leyen zog ein positives Fazit ihrer Reise in die ukrainische Hauptstadt. Man habe ausführlich über die Fortschritte und die noch ausstehenden Arbeiten für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen gesprochen, sagte sie am Dienstagabend auf der Rückreise. Es sei wichtig gewesen, diese Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt zu führen. Sie sei nach diesem Besuch mehr denn je beeindruckt von der Entschlossenheit der Ukrainer.

Bereits bei ihrer Ankunft hatte von der Leyen ihre Anwesenheit in Kiew als „wichtiges Symbol“ bezeichnet. Die Ukraine sei „Teil unserer europäischen Familie“, so die Kommissionschefin. Ihr Besuch in Kiew sei „auch ein Zeichen für eine entscheidende und sehr praktische Realität: Die EU arbeitet in vielen Fragen mit der Ukraine Hand in Hand.“ Von der Leyen begrüßte „nachdrücklich die Entscheidung von Präsident Selenskyj, den 9. Mai zum Europatag zu machen“.

Selenskyj hatte erst am Vortag ein Dekret unterzeichnet, dem zufolge in Zukunft auch in der Ukraine der Europatag begangen werden soll. Dieser markiert den Jahrestag der Schuman-Erklärung. Sie wurde am 9. Mai 1950 von dem damaligen französischen Außenminister Robert Schuman vorgeschlagen, um einen neuen Krieg zwischen den Nationen Europas undenkbar zu machen. Schumans Vorschlag gilt als Geburtsstunde dessen, was heute EU genannt wird.

Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj
APA/AFP/Sergei Supinsky
Von der Leyen und Selenskyj in Kiew

Ukraine pocht auf rasche Fortschritte bei EU-Beitritt

Selenskyj drängte bei dem Besuch von der Leyens auf rasche Fortschritte in Sachen EU-Beitritt. Der Zeitpunkt sei schon lange gekommen, um diese Unsicherheit in den Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU zu beseitigen, so Selenskyj. „Es ist an der Zeit, eine positive Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu treffen“, sagte er auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit von der Leyen.

Das Land arbeite „unermüdlich und intensiv“ daran, die Voraussetzungen für den Start von Beitrittsverhandlungen zu erfüllen, sagte die Kommissionspräsidentin. Und das trotz der Schwierigkeiten, Reformen in einem blutigen Krieg durchzuführen. „Für diese herausragende Arbeit möchte ich meinen tiefen Respekt zollen“, so von der Leyen. „Sie wissen, dass Sie während des gesamten Prozesses auf unsere Unterstützung und unsere Expertise zählen können.“

EU stellt neue Sanktionen in Aussicht

Ferner, sagte Selenskyj, rechne er damit, dass die EU schon bald weitere Sanktionen gegen Russland verhängen werde. Von der Leyen erläuterte die jüngsten Vorschläge zu einem solchen – mittlerweile elften – Sanktionspaket. So soll zum Beispiel durch eine Verschärfung bestehender Transitverbote dafür gesorgt werden, dass bestimmte Hightech-Produkte und Flugzeugteile nicht mehr über Drittstaaten nach Russland kommen.

Zudem bestätigte von der Leyen den bereits am Freitag bekanntgewordenen Vorschlag für ein neues Instrument zum Kampf gegen Sanktionsumgehungen. Als drittes Element nannte von der Leyen ein Handelsverbot mit Unternehmen aus Russland und Drittstaaten, die Sanktionen bewusst umgehen. Über den Vorschlag der Kommission sollen am Mittwoch erstmals die ständigen Vertreterinnen und Vertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel beraten. Ziel ist es, das elfte Sanktionspaket noch in diesem Monat zu beschließen.

Angriffe auf Hauptstadt halten an

Von der Leyens Besuch war von umfassenden Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Denn noch bevor sie in der Früh in Kiew eintraf, war laut ukrainischen Angaben in der Nacht eine weitere russische Angriffserie aus der Luft auf die Hauptstadt durch die Luftabwehrsysteme abgewehrt worden. „Die Luftabwehrsysteme arbeiten in den Außenbezirken von Kiew“, teilte die Verwaltung via Telegram mit. Russland hatte bereits tags zuvor Kiew mit zahlreichen Drohnen angegriffen.

Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj
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Bereits zum fünften Mal seit Kriegsbeginn besuchte von der Leyen die Ukraine

Scholz: „Lassen wir uns nicht einschüchtern“

Gleichzeitig mit dem Kiew-Besuch von der Leyens warf der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem russischen Präsidenten Wladimir Putin militärisches „Machtgehabe“ vor. Putin lasse an diesem 9. Mai „seine Soldaten, Panzer und Raketen aufmarschieren“, sagte Scholz vor dem Europaparlament in Straßburg. „Lassen wir uns nicht einschüchtern von solchem Machtgehabe! Bleiben wir standhaft in unserer Unterstützung der Ukraine!“, sagte Scholz.

Putin hatte anlässlich seiner Rede zum 78. Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland auf dem Roten Platz in Moskau sein Land im Krieg gegen die Ukraine als angebliches Opfer dargestellt. „Gegen unser Vaterland wurde ein echter Krieg entfesselt“, sagte er. Die westliche Elite säe Hass und Russophobie. „Sie versuchen, unser Land zu zerstören“, behauptete Putin.

In Anspielung auf die Militärparade in Moskau sagte Scholz in Straßburg, die friedliche Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg stehe „im klaren Kontrast zu dem Säbelrasseln in Moskau“. Putin hatte dem Westen vorgeworfen, einen „Krieg“ gegen Russland zu führen. In seiner Grundsatzrede warb Scholz für eine „geopolitische EU“, die es mit Russland, aber auch China aufnehme. Die USA müssten dabei „Europas wichtigster Verbündeter“ sein.

Europatag: Rede des deutschen Kanzlers Scholz

Anlässlich des Europatags hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im Europäischen Parlament in Straßburg eine Grundsatzrede gehalten. Um auch in der Zukunft in der Welt eine Rolle zu spielen, müsse die EU geopolitischer agieren, so Scholz.

UNO-Chef Guterres: Keine Hoffnung auf Kriegsende

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sagte unterdessen, er habe derzeit keine Hoffnungen auf ein baldiges Ende des russischen Angriffskriegs. „Ich glaube, dass Friedensverhandlungen im Moment leider nicht möglich sind. Beide Seiten sind davon überzeugt, dass sie gewinnen können“, sagte Guterres im Interview mit der spanischen Zeitung „El Pais“ (Dienstag-Ausgabe).

Russland sei „im Moment nicht bereit, aus den besetzten Gebieten abzuziehen“. „Und ich glaube, dass die Ukraine die Hoffnung hat, sie zurückzuerobern.“ Die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes bezeichnete er als „sehr gering“. „Die chinesische Initiative war sehr wichtig, um zu betonen, dass eine nukleare Eskalation inakzeptabel ist.“

Einsatz für Getreidedeal

Da die Aufnahme von Friedensgesprächen derzeit nicht möglich sei, konzentriere man sich darauf, „einen Dialog mit beiden Seiten zu führen, um konkrete Probleme zu lösen“. Man arbeite dieser Tage intensiv daran, eine Verlängerung des bis zum 18. Mai gehenden Getreidedeals zu erreichen. Dazu bereite man „ein Treffen der vier Parteien (Russland, Ukraine, UNO, Türkei, Anm.) in Istanbul“ vor, sagte der frühere Ministerpräsident von Portugal.

In Kiew zeigte sich der Berater im Präsidentenbüro, Mychailo Podoljak, verwundert über Guterres’ Äußerungen. Frieden sei ihm zufolge gemäß der UNO-Charta durch einen Abzug der russischen Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet erreichbar. Zugleich forderte er einen Ausschluss Russlands aus dem Sicherheitsrat und den Vereinten Nationen.