Salate auf trockenem Boden
ORF.at/Viviane Koth
„Wegbereiter für Wandel“

Rolle der Landwirtschaft in der Klimakrise

Der Wassermangel in Frankreich, Italien und Spanien und bis vor Kurzem auch in Österreich zeigt: Kaum ein anderer Wirtschaftssektor bekommt die Folgen der Klimakrise so unmittelbar zu spüren wie die Landwirtschaft. Gleichzeitig wird die Branche in puncto Emissionen zunehmend selbst in die Pflicht genommen. Die Frage, wie Klimaneutralität gelingen kann, sorgt dabei auch für Kontroversen – wie aktuell die EU-Debatte rund um Pflanzenschutz zeigt.

Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ („Farm To Fork“) gilt als wesentlicher Teil des „Green Deals“, dem wohl wichtigsten politischen Projekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Papier wurde im Mai 2020 vorgelegt und soll dazu beitragen, die von der EU angepeilte Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen und das derzeitige EU-Lebensmittelsystem nachhaltiger zu gestalten.

Schon bis 2035 soll der Landnutzungssektor klimaneutral werden. Das ist ambitioniert: Laut der European Environment Agency (EEA) ist die Landwirtschaft derzeit für elf Prozent aller in der EU emittierten Treibhausgase verantwortlich, in Österreich liegt der Anteil mit rund zehn Prozent auf einem ähnlichen Niveau.

Als größte Baustellen gelten etwa Landnutzung, Wasserverbrauch und Düngemittel, die Lachgas und Stickstoff mit sich bringen. Methan, das bei der Verdauung von Rindern entsteht, ist 84-mal so schädlich für die Atmosphäre wie CO2. Global wird ein Drittel der gesamten Landfläche für die Tierhaltung genutzt, unter anderem auch für den Anbau der Futtermittel.

Konflikt um „Green Deal“

Eine einfache Lösung zur Reduktion dieser Emissionen gibt es nicht – Interessenkonflikte sind wohl unvermeidbar. Man müsse allgemein Landwirtschaft neu denken, so die Europäische Kommission 2022 – und fordert daher etwa die Förderung eines nachhaltigeren Lebensmittelkonsumverhaltens und eine Halbierung des Pestizidgebrauchs bis 2030.

„Die Rolle der Landwirte als Wegbereiter für den grünen Wandel und einen widerstandsfähigen Agrarsektor“, wie eine Debatte des EU-Parlaments heißt, ist zuletzt immer heftiger diskutiert worden. So wollen die EU-Abgeordneten der ÖVP in wesentlichen Teilen vom „Green Deal“ der Europäischen Union abweichen, weil die Landwirtinnen und Landwirte „nicht mehr mitkommen“ würden, so EVP-Politikerin Simone Schmiedtbauer.

Vor allem die Einschränkung bei Pestiziden sorgt für Konflikte. Man stelle zwar den „Green Deal“ an sich nicht infrage, doch es gebe ein „Problem des Übermaßes an Bürokratie“ sowie eine drohende Abhängigkeit von Importen. Die ÖVP sorgt sich, wie die gesamte EVP, um „weitere Belastungen“ für Bäuerinnen und Bauern und die Ernährungssicherheit Europas.

Auswirkungen in Europa bereits spürbar

Gleichzeitig sieht sich Europas Landwirtschaft bereits jetzt wegen des Wassermangels in Spanien einer Bedrohung der Ernährungssicherheit ausgesetzt. Auch in Italien könnte laut dem Verband Coldiretti die wegen der Dürre geplante Wasserrationierung in ihren Gebieten alle Grundnahrungsmittel für die mediterrane Ernährung bedrohen.

Dürreindex laut Europäischer Dürrebeobachtungsstelle, Zeitraum rechts oben auszuwählen (jeweils zu Ende des Monats), Stand 19.5.

Und auch in Frankreich brodeln Konflikte zwischen französischen Bauern und Klimaaktivistinnen, die kritisieren, dass die Agrarindustrie in Zeiten der Dürre das wenige noch verfügbare Wasser privatisieren würde.

Ärger wegen Beizmittelverbots

In Österreich zeigt man sich zwar nach dem trockenen und warmen Winter wieder zufrieden mit den Niederschlägen. Die Folgen der Dürre in Kombination mit der aktuell feuchten Witterung haben allerdings die Ausbreitung von Schädlingen wie dem Rübenderbrüssler begünstigt.

Es sei absehbar gewesen, dass der Käfer in manchen Regionen gut überwintert habe, so Andreas Pfaller von der Landwirtschaftskammer gegenüber ORF.at. „Deshalb ist auch hier der Ärger groß, dass bisher wirksame Beizmittel dieses Jahr nicht mehr zugelassen wurden. So hilft die beste Witterung nichts.“ Auch das Verbot von Neonikotinoiden sorge für Unverständnis und Probleme bei Zuckerrüben.

Anstatt Pflanzenschutz „durch Verbieten von Mitteln zu reduzieren“ solle man auf innovative technische Lösungen setzen, um Unkraut und Schaderreger im Bestand zu erkennen. „Damit kann man dann auch eine Reduktion von Wirkstoffen erzielen.“ Man habe zudem einen Schädlingswarndienst entwickelt, um zu vermeiden, dass man chemische Mittel, wenn, dann nur effizient und zum richtigen Zeitpunkt einsetze.

Traktor mit Güllefass
ORF.at/Georg Hummer
Mit Hilfe neuer Technologien soll Düngen effizienter werden

Technologien sollen Abhilfe schaffen

Im Sinne der Nachhaltigkeit sei es richtig, natürliche Schädlingsbekämpfung zu verbessern, so Biodiversitätsexperte Helmut Gaugitsch vom Umweltbundesamt. „Aber es wird derzeit sehr kontroversiell diskutiert, weil Pflanzenschutzmittel nach wie vor als ertragssichernde Bewirtschaftungsmaßnahme für Landwirte gesehen werden. Da braucht es neue Denk- und Praxisansätze, und wir müssen zukünftig anders wirtschaften als bisher.“

Neue Technologien könnten hier Abhilfe schaffen. „Etwa ‚Smart Farming‘ und ‚Precision Farming‘ werden als Hoffnungsträger in der Landwirtschaft gesehen, um zielgerichteter zu arbeiten und zum Beispiel nur dann zu bewässern, wenn es wirklich notwendig ist.“ Durch Drohnen im Feld könne gezielter gegen Unkraut vorgegangen werden. Beim Düngen gebe es etwa die Möglichkeit, Sensoren zu verwenden und die Stickstoffmenge effizient und gezielt nach Bedarf auszubringen.

„Vertical Farming“, also der Anbau von Gemüse und Obst, das übereinander in Etagen wächst, wird etwa von der Schweizer „Handelszeitung“ als Lebensmittelproduktion der Zukunft gepriesen. Dabei handle es sich aber um eine „sehr sterile“ Art, Pflanzen zu kultivieren, so Pfaller. Zudem sei Österreich ein „tourismusstarkes Land, das auch von der Kulturvielfalt in der Landschaft lebt. Und deswegen hoffe ich nicht, dass wir zukünftig nur Hallen stehen haben, wo man ‚Vertical Farming‘ betreibt.“

Vertikaler Farm in San Francisco
Reuters/Carlos Barria
Eine „Vertical Farm“ in den USA

Auch Konsumenten in die Pflicht nehmen

Aber nicht nur die Lebensmittelproduzenten, auch die Konsumentinnen nimmt die EU-Strategie in die Verantwortung. Die Umstellung auf eine stärker pflanzlich orientierte Ernährung mit weniger rotem und verarbeitetem Fleisch und mehr Obst und Gemüse würde nicht nur Krankheiten, sondern auch die Umweltauswirkungen des Lebensmittelsystems reduzieren, heißt es in dem Strategiepapier.

In Österreich nimmt der Verzehr von Fleisch laut Landwirtschaftsministerium zwar seit den 1980er Jahren kontinuierlich ab. Würden Österreicherinnen und Österreicher gemäß den Richtlinien der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung ihren Fleischkonsum aber um zwei Drittel reduzieren, könnten 28,2 Prozent an Treibhausgasemissionen eingespart werden, so Berechnungen der Universität für Bodenkultur (BOKU).

Kühe auf Weide
ORF.at/Roland Winkler
Der Konsum von Rindfleisch nimmt in Österreich ab

Man unterstütze mit vielen Maßnahmen eine klimafreundliche tierische Produktion und ein emissionsminderndes Wirtschaftsdüngermanagement, heißt es auf ORF.at-Anfrage aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Weiterentwicklung pflanzlicher Produktion zähle „selbstverständlich“ ebenfalls zu den Anliegen. Bei Ernährungsgewohnheiten treffe die Kaufentscheidung aber der Konsument, die Nachfrage beeinflusse die Produktion.

Potenzial in Züchtung und Böden

Auch im Agrarumweltprogramm (ÖPUL 2023) bzw. der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sind für Österreich Klimawandelanpassungen vorgesehen. Laut Landwirtschaftskammer setzt man derzeit auf Maßnahmen, die Pflanzen, Betriebsmittel und Böden klimafitter gestalten sollen.

Aktuell wird die nationale Klimawandelanpassungsstrategie aktualisiert, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Im Bereich der Züchtung sehe man noch viel Potenzial, so Pfaller von der Landwirtschaftskammer. Etwa, indem man auf Pflanzen setze, die Hitzezeiten besser überdauern oder resistenter gegen Schädlinge sind. Auch Lebensmittelverschwendung sei ein Stichwort und beginne bereits auf dem Feld.

EU-Strategie richtiger Ansatz

Die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie sei grundsätzlich ein richtiger Ansatz, da sie strategische Vorgaben auf EU-Ebene schaffe, ist Gaugitsch überzeugt. Es sei etwa wichtig, die natürliche Schädlingsbekämpfung zu verbessern und auf nachhaltige Ernährungssysteme zu setzen. Die Themen Fleischkonsum, Tierwohl und pflanzliche Ernährung seien wichtige Hebel und müssten differenziert betrachtet werden.

Während etwa das Halten von Tieren auf Almen einen wichtigen Beitrag für biologische Vielfalt sowie den Tourismus leiste, müsse man eben auch bedenken, dass eine Produktion tierischer Lebensmittel in der Regel wasser- und treibhausgasintensiver sei als eine pflanzliche Produktion. „Was man daraus schlussfolgert und wie eine gute Balance in einem zukünftigen Ernährungssystem aussehen kann, ist letztendlich politisch und gesellschaftlich zu klären.“

Die EU-Strategie könne ein „Gamechanger“ für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem sein, heißt es auch in dem Journal „Nature Food“. Ihr Erfolg werde jedoch letztlich von der Umsetzung in naher Zukunft abhängen.