Oppositionskandidatin Thaksin Shinawatra
Reuters/Athit Perawongmetha
Thailand wählt

Familienclan fordert Militär heraus

Thailand steht am Sonntag vor einer entscheidenden Wahl. Seit fast zehn Jahren wird das Land von einer konservativen, vom Militär gestützten Regierung angeführt. Den Umfragen zufolge hat die junge Oppositionsbewegung, angeführt von Paetongtarn Shinawatra, einer Nachkommin der reichen Shinawatra-Familie, gute Chancen auf einen Machtwechsel. Die Militärregierung hat die Verfassung allerdings stark zu ihrem Vorteil verändert, sodass selbst ein Wahlsieg der Opposition eine Regierungsbildung schwierig machen würde.

Wie ambitioniert die oppositionelle Spitzenkandidatin Shinawatra den Griff nach der Macht vorantreibt, zeigte sie, als sie kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes Anfang Mai Journalistinnen und Journalisten ins Krankenhaus in Bangkok einlud. „Ich bin bereit, zum Wahlkampf zurückzukehren. Wir müssen den Erdrutschsieg für Pheu Thai schaffen“, sagte die 36-Jährige mit Blick auf die guten Umfragewerte ihrer Partei.

Die guten Umfragewerte hat Shinawatra vermutlich auch ihrer Familie zu verdanken. Ihr Vater, der Milliardär Thaksin Shinawatra, und ihre Tante Yingluck Shinawatra waren in Thailand jeweils mehrere Jahre an der Macht. Beide wurden durch Militärcoups entmachtet und leben im Exil. Im stark polarisierten Königreich hat die Familie aber weiter viele Anhängerinnen und Anhänger.

Thailand: Entscheidende Parlamentswahl

In Thailand steht eine Parlamentswahl an, die sich für das beliebte Urlaubsland als richtungsweisend ergeben könnte. Das Militärregime könnte laut Umfrage durch die Oppositionsbewegung unter ihrer Anführerin Paetongtarn Shinawatra entmachtet werden. Die 36-Jährige ist die Tochter von Ex-Premier Thaksin Shinawatra, der seit seiner Entmachtung 2006 durch einen Militärcoup im Exil lebt. Auch der progressiven Move-Forward-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat werden gute Chancen eingeräumt.

Auch weitere Oppositionspartei kann punkten

Allerdings liegt auch die zweite große Oppositionspartei, die progressive Move-Forward-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat gut im Rennen. Die Partei punktet mit einem selten klaren Wahlprogramm, verspricht etwa ein Ende der Wehrpflicht und Maßnahmen gegen die hohe Luftverschmutzung, mit der das Land seit Monaten Negativschlagzeilen macht.

Thailand stehe an einem Scheideweg, brachte es der 42-jährige Harvard-Absolvent Limjaroenrat im Wahlkampf auf den Punkt. „Ein Weg führt uns dahin, uns endlich in ein vollständig demokratisches Land zu verwandeln.“ Der andere, der des regierenden konservativen Establishments, scheint vielen überholt und beharrt auf Traditionen wie dem umstrittenen Lese-Majeste-Gesetz, das extrem lange Haftstrafen für Majestätsbeleidigung gegen den König vorsieht.

Menschen stehen an, um zu wählen
Reuters/Athit Perawongmetha
Am Sonntag haben bereits viele die Möglichkeit einer vorzeitigen Stimmabgabe genutzt

Regierungschef im Vorteil

Die letzte Wahl fand 2019 statt, fünf Jahre nach einem Militärputsch von 2014, bei dem der damalige Putschgeneral Prayut Chan-o-cha an die Macht kam. Dank einer vom Militär eingeführten neuen Verfassung wurde er 2019 als Regierungschef im Amt bestätigt. Ein Jahr später folgten Massenproteste, bei denen erfolglos eine Reform der Monarchie und eine Neuwahl gefordert wurden.

Auch am Sonntag ist Chan-o-cha im Vorteil. In allen Umfragen liegen der 69-Jährige und seine Partei United Thai Nation (UTN) zwar hinten – allerdings entscheiden gemeinsam mit den 500 gewählten Abgeordneten auch 250 nicht gewählte Senatorinnen und Senatoren darüber, wer Regierungschef wird. Diese wurden 2018 vom Militär ernannt und gelten als loyal gegenüber Chan-o-cha. Um ins Amt zu kommen, muss ein Kandidat die Mehrheit der 750 Sitze auf sich vereinen, also 376 Stimmen. Ein schwieriges Unterfangen für die Opposition.

Thailändischer Premier Prayuth Chan-ocha
Reuters/Jorge Silva
Der ehemalige Putschgeneral und Regierungschef Prayut Chan-o-cha gibt sich im Wahlkampf siegessicher

Schwierige Regierungsbildung

Die größte Oppositionspartei Pheu Thai rund um Shinawatra wird voraussichtlich Verbündete finden müssen, um regieren zu können. Koalitionen sind in Thailand üblich und können sehr groß sein: An der scheidenden Regierung sind mehr als ein Dutzend Parteien beteiligt. Pheu Thai schloss ein Bündnis mit Chan-o-chas UTN oder der Palang Pracharath (PPRP), die ebenfalls vom Militär gestützt wird, aus. Als Partner bietet sich vor allem Move Forward an. Und auch die Demokratische Partei und Bhumjaithai könnten eine Mehrheit sichern.

Wie auch immer das Votum ausfällt, von einer Schicksalswahl in dem beliebten Urlaubsland ist schon jetzt die Rede. Viele Szenarien sind denkbar. Es könnten wieder Proteste und Chaos drohen, beides ist Thailand nicht fremd. Ebenso wenig wie Militärcoups: Von denen gab es seit den 1930er Jahren im Königreich mehr als ein Dutzend.

„Putsche darf es nicht wieder geben“, sagte Chan-o-cha im März. Der Wissenschaftler Alexandre Barthel von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok hält sie jedoch nicht für ausgeschlossen: „Wenn Pheu Thai eine Mehrheit erhält, kann es sein, dass das Militär erneut eingreift. Nicht unbedingt sofort, aber ein, zwei oder drei Jahre später.“

Hohes Demokratiebewusstsein bei Jüngeren

Bei vielen im Land ist die Sehnsucht nach Veränderung groß. Viele Thailänderinnen und Thailänder fordern mehr demokratische Rechte und Fortschritt in ihrem Land. „Gerade bei jungen Leuten scheint das Bewusstsein für die Demokratie in den letzten Jahren gestiegen zu sein“, sagte Celine Caro, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Thailand, gegenüber der dpa.

Diese beobachteten ganz genau, ob der Wahlprozess respektiert werde und die neue Regierung am Ende die Präferenzen der Wähler widerspiegle. Ob es friedlich bleibt, weiß derzeit niemand. „Die Wochen nach der Wahl werden zeigen, ob eine Konsolidierung der Demokratie in Thailand möglich ist“, sagte Caro.

Wirtschaft als Wahlkampfthema Nummer eins

Das Thema, das die Menschen im Land unterdessen am meisten bewegte und den Wahlkampf überwiegend bestimmte, ist die Wirtschaft. Zwar kann Thailand laut Weltbank in diesem Jahr mit einem Wachstum von 3,6 Prozent rechnen, jedoch hauptsächlich getrieben durch die Erholung der gebeutelten Tourismusbranche nach der CoV-Pandemie.

Wahlplakate auf Straße in Thailand
Reuters/Chalinee Thirasupa
Für viele Thailänderinnen und Thailänder war vor allem Wirtschaft ein wichtiges Wahlkampfthema

Viele Marktverkäufer, Fabrikarbeiter und Landwirte wissen schon lange nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird auch in Thailand größer. Taxifahrer in Bangkok erzählen, dass sie oft 16 bis 17 Stunden arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren. Häufig komme es vor, dass ihnen am Steuer die Augen zufielen. „Es muss sich etwas ändern, ich werde deshalb für die Opposition stimmen“, zitierte die dpa einen Taxifahrer.

Umwelt und Klima nur Randthemen

Themen, die im Wahlkampf untergegangen sind, waren Umwelt und Klima. Denn trotz durch Brände verursachten Smogs, rekordverdächtiger Hitzewellen und zunehmender Überschwemmungen haben grüne Bewegungen bei Thailands Wählern bisher wenig Zuspruch gefunden. Die Grünen Thailands kamen bei der Wahl 2019 auf weniger als ein Prozent der Stimmen.

Die nördliche Stadt Chiang Mai, beliebt bei Rucksacktouristen, hat in diesem Jahr sogar traurige Berühmtheit erlangt, als sie Peking und Neu-Delhi auf der Liste der Städte mit der schlechtesten Luft überholte. Thailand und Südostasien im Allgemeinen gehören zu den Regionen, die am anfälligsten für den Klimawandel sind. Laut einem Klimabericht des Instituts ISEAS-Yusof Ishak von 2022 meinten 66 Prozent der Thailänder, dass die Parteien den Klimawandel nicht hoch genug bewerteten.