Ukrainischer Panzer in Bachmut
Reuters
Angeblich drohende Umkesselung

Kreml dementiert Durchbruch der Ukraine

Bei den in Bachmut kämpfenden russischen Truppen läuten nach Darstellung des Kriegskorrespondenten des russischen Staatsfernsehens die Alarmglocken. Angesichts der ukrainischen Angriffserfolge an den Flanken der in der Stadt kämpfenden Söldnertruppe Wagner drohe eine umfassende Einkesselung, schrieb Jewgeni Poddubny am Donnerstag auf Telegram. Das russische Verteidigungsministerium widersprach indes Berichten über Durchbrüche ukrainischer Truppen an mehreren Frontabschnitten.

„Die Gesamtlage im Gebiet des speziellen militärischen Einsatzes ist unter Kontrolle“, teilte das Ministerium unter Verwendung der von der Regierung verordneten Bezeichnung für den Krieg in der Ukraine mit. Das Dementi erfolgte ungewöhnlich rasch. Das Ministerium äußerte sich allerdings nicht speziell zur Lage in Bachmut und Angaben Jewgeni Prigoschins, des Chefs der Wagner-Truppe, und von russischen Militärbloggern über die zunehmend schlechte Lage der russischen Truppen.

Prigoschin hatte zuvor mehrfach vor einem drohenden Kessel aufgrund ungesicherter Flanken gewarnt. Poddubny berichtete auch von ukrainischen Durchbrüchen bei Kämpfen in der Umgebung von Soledar, das nur wenige Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt. Am Freitag lud Prigoschin den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu einem Lokalaugenschein nach Bachmut ein. Russischen Verbänden warf er „Flucht“ vor, während die Front einbreche.

Viele Gerüchte von Militärbloggern

Bei Soledar sei es ukrainischen Verbänden gelungen, die russischen Linien zu durchbrechen. „Die Lage ist schwierig“, schrieb Poddubny. Die russischen Streitkräfte hatten Soledar erst Ende Jänner nach wochenlangen schweren Kämpfen eingenommen. Zuletzt war bekanntgeworden, dass offenbar die Verbände der russischen Armee bei Bachmut nicht mehr mit den Wagner-Söldnern kooperierten. Der Kreml dementierte einen Durchbruch bei Soledar.

Laut BBC berichtete der putinfreundliche russische Militärblogger Sascha Kots, Kiew habe seine Offensive bereits begonnen. Als Hinweis darauf habe er genannt, dass Kolonnen von Tiefladern mit westlichen Panzern auf der Umfahrungsstraße von Charkiw gesichtet worden seien. Laut dem US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) sind die Aussagen Ausdruck einer zunehmenden „Panik“ in Russland zu Spekulationen über eine ukrainische Gegenoffensive.

Kiew: Russische Luftschläge, um Vorrücken zu stoppen

Der ukrainische Armeesprecher Serhij Tscherewatyj berichtete am Abend von verzweifelten Versuchen der russischen Einheiten, das weitere Vordringen der Ukrainer mit massiven Artillerieschlägen und Luftangriffen aufzuhalten. Die Intensität der Kämpfe habe zugenommen, sagte Tscherewatyj nach Angaben der Agentur Unian. Allein am Donnerstag seien 165 russische Soldaten getötet und weitere 216 verwundet worden, behauptete er. Seine Angaben konnten ebenso wenig überprüft werden wie die der Gegenseite.

Die ukrainischen Verbände hätten ihrerseits im Lauf der letzten Woche zwei Kilometer Richtung Bachmut vorrüken können, sagte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Sie selbst hätten keine einzige Position aufgeben müssen, die russischen Truppen hätten starke Verluste erlitten.

Enerhoatom-Chef: Kampf um AKW nicht nötig

Das Atomkraftwerk Saporischschja könnte bei einer ukrainischen Gegenoffensive nach Ansicht des Betreibers von Gefechten verschont bleiben. Es reiche aus, die russischen Besatzungstruppen im Kraftwerk vom Hinterland abzuschneiden, sagte der Chef des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom, Petro Kotin, dem US-Sender CNN. „Wir brauchen nur die Verbindung zwischen dem AKW Saporischschja und der (von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel) Krim zu kappen“, so Kotin.

Wehrschütz (ORF) zur Gegenoffensive

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz spricht über die erwartete Gegenoffensive der Ukraine. Sie ist von Waffenlieferungen des Westens abhängig und braucht laut Kiew noch etwas Vorbereitungszeit.

Das werde erreicht, sobald die ukrainischen Truppen die Großstadt Melitopol gut 90 Kilometer südöstlich des Kraftwerks in Enerhodar erobert hätten. Danach hätten die russischen Truppen nur noch die Möglichkeit, zu fliehen oder sich zu ergeben. Das mit sechs Blöcken größte Atomkraftwerk Europas in Enerhodar war unmittelbar nach dem russischen Einmarsch im März vergangenen Jahres besetzt worden.

Selenskyj vor Besuch in Italien

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird am Wochenende erneut nach Westeuropa reisen. In Rom empfängt ihn Staatspräsident Sergio Mattarella am Samstag, wie der Präsidentenpalast am Freitag bestätigte. Es ist der erste Besuch Selenskyjs in Rom seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022. Möglicherweise reist er am Wochenende auch noch weiter nach Deutschland. Bestätigt ist das aber nicht.

stark beschädigtes Gebäude in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Städte wie Mariupol wurden bei den Kämpfen gegen die russischen Truppen schwer in Mitleidenschaft gezogen

Justizreform angekündigt

Für den Weg der Ukraine in die Europäische Union hat Selenskyj einen „umfassenden strategischen Plan“ zur Reform des Strafrechts und des Strafverfolgungssystems ausgearbeitet. „Vereinfacht gesagt müssen wir ein System zur Gewährleistung von Recht und Ordnung für unser Land sicherstellen, das mit unserem Ziel eines raschen Beitritts der Ukraine zur EU im Einklang steht“, sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner allabendlichen Videoansprache.

„Die Ukraine sollte ein Ort der Stärke für Europa und die gesamte freie Welt werden und ist es bereits.“ Der Staat müsse ein Höchstmaß an Sicherheit, Freiheit und Achtung vor dem Gesetz und vor den Menschen in der Ukraine gewährleisten, betonte Selenskyj. Die Ukraine ist seit vergangenem Sommer offiziell EU-Beitrittskandidat.

Warten auf weitere Waffenlieferungen

Selenskyj hatte am Donnerstag Erwartungen gedämpft, dass die Gegenoffensive bald beginnen könnte. Dafür fehle nämlich noch Ausrüstung, sagte er in einem BBC-Interview. US-Außenminister Antony Blinken sicherte indes weitere Waffenlieferungen zu, „wenn es Lücken und Mängel gibt“. Die ukrainische Seite solle das mitteilen, „und wir werden alles tun, um das zu erfüllen“, sagte Blinken dem US-Fernsehsender PBS am Donnerstag nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform.