Manfred Weber und Ursula von der Leyen
Reuters/Yves Herman
Vorwahlkampf?

EVP befeuert Debatte über „Green Deal“

„Es reicht“: Die ÖVP-Europaabgeordnete Simone Schmiedtbauer hat zuletzt in Straßburg ihren Unmut über die EU-Umweltpolitik deutlich gemacht. Nicht nur die ÖVP, sondern die gesamte Europäische Volkspartei legt sich gegen Teile des „Green Deals“ ihrer Parteifreundin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen quer. Die Fraktion befinde sich im Vorwahlkampf, heißt es aus anderen politischen Lagern. Stimmt das? ORF.at hat nachgefragt.

Beurteilt man die Themensetzung der EU-Christdemokraten bei der Plenartagung in Straßburg vergangene Woche, dann bewegt Europas Konservative vor allem ein Thema: die Zukunft der Landwirtschaft. „Die Landwirtinnen und Landwirte sind an einem Punkt, wo sie nicht mehr mitkommen“, sagte Schmiedtbauer am Dienstag vor Journalisten und Journalistinnen. Der „Green Deal“ werde nicht an sich abgelehnt, sagte Schmiedtbauer.

Die ÖVP sorgt sich, wie die gesamte EVP, aber um weitere Belastungen für Bäuerinnen und Bauern und die Ernährungssicherheit Europas. Konkret sind den Konservativen zwei Vorhaben ein Dorn im Auge: Zum einen geht es um das vorgeschlagene Gesetz zur Wiederherstellung von Naturlandschaften, zum anderen um die Halbierung des Pestizidgebrauchs bis 2030. Auf einem Parteitag in München machte die größte Fraktion im Europäischen Parlament die Ablehnung jener Vorhaben zur offiziellen Linie.

Friedrich Merz, Manfred Weber und Markus Söder
APA/AFP/Christof Stache
EVP-Parteitag in München: CDU-Chef Friedrich Merz, EVP-Chef Manfred Weber und CSU-Chef Markus Söder

Experte: EVP will „First Mover Advantage“ nützen

Bauern zählen zur Kernwählerschaft der konservativen Parteien in Europa – um jene werde daher ein Jahr vor der Europawahl 2024 gebuhlt, so Kritiker. Die EVP wolle gegenüber anderen Fraktionen einen „First Mover Advantage“ (Frühstartervorteil, Anm.) nützen und die „landwirtschaftlich geneigte Kernwählerschaft“ für sich gewinnen, meint Filipe Ataide Lampe von der Denkfabrik European Policy Centre (EPC) zu ORF.at. Die Fraktion habe mit der Blockade der beiden Umweltvorhaben „auf jeden Fall“ den Vorwahlkampf eingeläutet.

Die EVP-Blockade hält der Experte gerade im Hinblick auf Ursula von der Leyen für „überraschend“. Beim „Green Deal“ handelt es sich um das wohl wichtigste politische Projekt der Kommissionspräsidentin. Dass die EVP ihrer Parteifreundin in den beiden Umweltvorhaben „in den Rücken fällt“, wunderte den Beobachter einerseits.

„Andererseits ist es aber weniger überraschend, wenn man sich überlegt, dass der European Green Deal auch so gesehen ein politischer Kompromiss oder Rundumschlag von Ursula von der Leyen war, um letztendlich mit Stimmen anderer Parteien gewählt zu werden“, so Lampe. Die EVP wolle sich nun gut ein Jahr vor der Europawahl stärker von den anderen Fraktionen „abgrenzen“, sagte er gegenüber ORF.at.

Traktor auf einem Feld
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Die EVP lehnt den Vorschlag zu nachhaltiger Nutzung von Pestiziden und zur Wiederherstellung von Naturlandschaften ab

Experte Gros ortet „kein grundsätzliches Gegensteuern“

Daniel Gros, Wirtschaftswissenschafter und Fellow der Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS), sieht in dem Vorgehen der EVP kein „grundsätzliches Gegensteuern“ gegen den „Green Deal“, wie er gegenüber ORF.at sagte. Kernelement dessen sei die Reduktion von Emissionen, so Gros – nicht aber die Vorschläge zur Reduktion von Pestiziden oder der Renaturierung.

„Aber, und das ist wichtig: Was die Kommission und was auch viele Politiker nicht genügend tun, ist zu sagen, dass es Zielkonflikte gibt“, sagte er in Anspielung auf die Interessen der Landwirtschaft und der grünen Agenda der Kommission. Eben jene Zielkonflikte würden von unterschiedlichen Fraktionen unterschiedlich bewertet, so Gros. Die Debatte solle seiner Ansicht nach aber nicht überinterpretiert werden.

Sozialdemokraten und Liberale uneins

Die EVP ist nicht die einzige Fraktion, die Kritik an den beiden Umweltvorhaben des „Green Deal“ übt: Verbündete fand die Fraktion im Parlament auch bei den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) und der Fraktion Identität und Demokratie (ID) – gemeinsam stimmten sie im April gegen mehrere Änderungsanträge zum Pestizid- und Renaturierungsgesetz.

Der EKR-Fraktion im EU-Parlament gehören unter anderem die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, die polnische Regierungspartei PiS sowie die spanische Vox an. Der ID-Fraktion – zu der auch die FPÖ zählt – gehören rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien an. Bei der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) sowie bei der liberalen Renew-Fraktion herrsche bei den beiden Umweltvorhaben Uneinigkeit, so der EPC-Experte. Den Grünen gingen die Vorhaben hingegen nicht weit genug.

„Das ist handfester europäischer Wahlkampf“

Vor allem von grüner Seite kam zuletzt scharfe Kritik am Vorgehen der EVP. Der österreichische Grünen-Europaabgeordnete Thomas Waitz ortete eine „konzentrierte Vorwahlkampfaktion“ der europäischen Konservativen. Von der „Offenheit“ der EVP-Blockade zeigte er sich überrascht. Bei der Pestizidreduktion handle es sich um eine Umwelt- und Biodiversitätsfrage, aber auch um eine Gesundheitsfrage, von der Landwirte direkt betroffen seien, kritisierte er gegenüber ORF.at.

Die Warnung vor der Versorgungsknappheit in Europa bewertete er als „völlig faktenwidriges Konstrukt“. Europaweit würden konservative Parteien jene Parolen verbreiten, so Waitz. „Das ist nicht nur ein Geplänkel, sondern das ist handfester europäischer Wahlkampf“, sagte er.

Für die Europaabgeordneten der SPÖ ist das „zunehmende Abschwächen der Klimaziele“ durch die EVP „ein Zeichen, dass sich die Agrarlobby durchgesetzt hat“, sagte Delegationsleiter Andreas Schieder. „Ich sehe, dass die EVP den Green Deal verwässern und zerstören will.“ NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon warf der Fraktion „Angstmache“ vor. Die FPÖ arbeitete sich an dem „Green Deal“ erwartungsgemäß ab und sprach von einem „Green Desaster“.

ÖVP will Zeit bis zur Wahl für „inhaltliche Arbeit“ nützen

Auf die Frage, ob sich die eigene Fraktion bereits im Wahlkampf befinde, hieß es von der ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, Angelika Winzig, in einem Statement: „Bis zur Europawahl dauert es noch länger als ein Jahr.“ Die Zeit wolle man für „intensive inhaltliche Arbeit“ nützen. In puncto Pestizidreduktion und Renaturierung warnt Winzig vor einer „Lose-lose-Situation“ für Landwirtschaft und Klimaschutz. „Da geht es um die Sicherung einer erfolgreichen Europäischen Union für die Zukunft und nicht um die Europawahl.“

Die EU-Kommission widersprach der These, wonach Vorgaben für weniger Unkrautvernichter und Schädlingsbekämpfer auf Feldern die Ernährungssicherheit gefährdeten, mehrfach. „Es ist durchaus möglich, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren, ohne die Ernteerträge oder die Qualität zu gefährden“, hatte die EU-Kommission etwa vergangenes Jahr betont. Es gebe zahlreiche Beispiele und Studien, die zeigten, dass Landwirte den Einsatz von Pestiziden reduzieren und Geld sparen könnten, ohne dass sich das auf Menge oder Qualität der Ernte auswirke.

„Knackpunkt“ für EVP

Nicht zuletzt stellt sich mit der bevorstehenden Wahl – die voraussichtlich im Juni 2024 stattfinden wird – die Frage, wen die Fraktionen als Spitzenkandidaten oder -kandidatinnen aufstellen werden. Im Falle der EVP geht es dabei auch um die Zukunft der amtierenden Kommissionspräsidentin von der Leyen.

EPC-Experte Lampe spricht von einem „Knackpunkt“. Von der Leyen habe sich die vergangenen Jahre dem Mitte-links-Lager angenähert und müsse dafür die Konsequenz im Kernlager tragen. Die EVP wisse zugleich aber auch, was sie an von der Leyen als Kommissionspräsidentin, die parteiübergreifend positiv bewertet werde, habe, sagte er. Von der Leyen selbst äußerte sich in der Debatte bisher nicht.