Loreen galt schon vor Monaten als Favoritin für den Bewerb, hatte sie doch 2012 mit „Euphoria“ schon einmal gewonnen. Die düstere Inszenierung und ein dystopischer Look in Dunkelbeige mit extrem langen Fingernägeln taten dem Erfolg keinen Abbruch. Loreen ist nun die erste Frau, die den Song Contest zweimal gewonnen hat – und ihn nach 2016 wieder nach Schweden zurückbringt.
583 Punkte hatte sie schließlich am Konto, 340 stammen von den aus Expertinnen und Experten bestehenden nationalen Jurys. Nach deren Abstimmung hatte sie bereits doppelt so viele Punkte wie Israel, das schließlich auf Platz drei landete. Loreen nahm die Trophäe unter Tränen, aber recht verhalten entgegen. „Das ist überwältigend. Ich bin so froh und so dankbar“, sagte die 39-Jährige.
Schweden: Loreen – „Tattoo“
Finnland geschlagen
Als erster Verlierer musste sich der Finne Käärijä geschlagen geben, mit 526 Punkten fehlten ihm schließlich 57 auf den Sieg. Von den Jurys bekam er lediglich 150. In der Halle in Liverpool und in den sozialen Netzwerken war aber klar, dass er mit der brachialen Nummer „Cha Cha Cha“ das Publikum im Sturm erobert hat. Käärijä überzeugte mit wildem Rap zu harten Beats – und einer exaltierten Bühnenshow. Seine knallgrünen Puffärmel wurden schnell zum Markenzeichen.
Finnland: Käärijä – „Cha Cha Cha“
Israel mit Tanzeinlage auf Platz drei
Mit gehörigem Abstand und 326 Punkten eroberte Noa Kirel für Israel den dritten Platz. Sie lieferte damit eine kleine Überraschung, obwohl sie zum erweiterten Favoritenkreis gezählt wurde. Ihr „Unicorn“ galoppierte auf der Bühne auch ganz schön flott dahin. Allerdings beschloss sie beim letzten Drittel des Songs aufs Singen zu verzichten und stattdessen eine Einlage im Bodenturnen abzuliefern. Beeindruckend, aber ein bisschen neben der Kernaufgabe in einem Gesangswettbewerb – und erstaunlich, dass sie dafür auf den zweiten Platz bei den Jurys kam.
Israel: Noa Kirel – „Unicorn“
Österreich höher gehandelt als Platz 15
Unter den im Vorfeld recht hochgesteckten Erwartungen lief es für die Österreicherinnen Teya & Salena, die mit ihrem selbstgeschriebenen Song „Who the Hell Is Edgar?“ den Bewerb mit Startnummer eins eröffnet hatten. Wettbüros hatten sie unter den Top Ten gesehen, in Medien und den sozialen Netzwerken wurden sie hoch gehandelt.
Teya & Salena – „Who the Hell Is Edgar?“
Mit 104 Punkten nach der Jurywertung auf Platz acht, ging es mit nur 16 Publikumspunkten dann hinunter auf Platz 15. Die beiden zeigten sich nach der Show allerdings keineswegs enttäuscht: Es sei ihr Traum in Erfüllung gegangen, ins Finale zu kommen. „Wir waren im Finale! Es war voll die Gaudi und hat Megaspaß gemacht“, so die beiden. Die ganze Show sei großartig gewesen: „Auch nur ein kleiner Teil davon zu sein, ist eine große Ehre.“
Italien setzt Erfolgslauf fort
Italien setzte seinen Erfolgslauf beim Song Contest fort: Ab 2017 war man immer unter den ersten sechs Ländern, diesmal wurde es für Marco Mengoni mit „Due Vite“ Rang vier. Der Song steht zwar in der großen Tradition italienischer Liedermacherei, war aber wahrscheinlich der am wenigsten eingängige italienische Beitrag der vergangenen Jahre.
Die norwegische Kandidatin Alessandra bewies, dass auch recht trashige Song-Contest-Nummern noch ziehen können. Ihre Wikingerhymne „Queen of Kings“ mit Kinderliedmelodie, aber kräftigem Gestampfe kam auf Platz fünf, mehr als 200 der insgesamt 265 Punkte steuerte das Publikum bei.
Norwegen: Alessandra – „Queen of Kings“
Ganz ähnlich verlief der Abend für den Vorjahressieger, die Ukraine. Auch hier hatten die Jurys nur rund 50 Punkte übrig, dennoch landete das Duo Tvorchi mit dem leicht sakral angehauchten Elektropopsong „Heart of Steel“ schließlich dank Publikum auf Platz sechs. Im Vorfeld waren sie sogar noch weiter vorne vermutet worden.
Belgien punktete mit Feelgood-Song
Gustaphe aus Belgien, der mit Boy George nicht nur die Hutliebe, sondern auch eine ähnliche Stimmfarbe teilt, wurde dafür belohnt, dass er einen der eher rarer gesäten Feelgood-Songs mit House- und Soul-Elementen auf die Bühne brachte: Es wurde Platz sieben. Dahinter landete Alika aus Estland mit „Bridges“ als bestplatzierte Ballade des Abends. Gesanglich beeindruckt waren hier vor allem die Jurys.
Allen Hair-Crimes und Klimabedenken (ein Auto auf der Bühne!) zum Trotz beeindruckten die australischen 80er-Rocker Voyager doch viele Fans und kamen damit auf Platz neun. Die Top Ten komplettierte die tschechische Sechs-Frauen-Band Vesna mit „My Sister’s Crown“. Sie bewiesen, dass auch eine recht komplexe Nummer mit politischem und feministischem Anspruch ziemlich erfolgreich sein kann. Einen Rang dahinter belegte Monika Linkyte für Litauen. Eigentlich hatte man den sehr dahinschunkelnden Song „Stay“ weiter hinten erwartet.
Trauerspiel für Deutschland und Großbritannien
Das fast erwartbare Trauerspiel wurde der Abend für Deutschland und Großbritannien. Für das Nachbarland wurde es wieder der letzte Platz, wenigstens blieb der Dark-Rock-Band Lord of the Lost die Höchststrafe von null Punkten erspart. 18 Pünktchen sollten es werden, davon sechs vom österreichischen Publikum. Der ironiefreie Auftritt mit wild aussehenden Latexverkleidungen wollte nicht recht mit der musikalisch solide-braven Rocknummer „Blood & Glitter“ zusammenpassen, die allerdings textlich genrebedingt „arg“ wirken musste.
Nichts geworden ist es auch mit einer dauerhaften Versöhnung von Großbritannien als Teilnehmerland: So sehr die Britinnen und Briten als Gastgeber beeindruckten, so wenig konnte Mae Muller mit „I Wrote a Song“ überzeugen. Stimmlich teilweise arg neben der Spur wirkte der Song dann doch ein bisschen billig und reichte nur für den 25. und damit vorletzten Platz.
Kroatisches Spektakel
Für den durchgeknalltesten Act des Jahrgangs musste man bis zur Startnummer 25 warten. Die kroatische Rockkabarettband Let 3 lieferte gefühlt drei Songs in einem und beinharte wie nach einem Strip im Feinripp auch beinbehaarte Politsatire. Die Jurys goutieren so etwas traditionell überhaupt nicht, dank Publikum wurde es noch Platz 13.
Kroatien: Let 3 – „Mama SC!“
Etwas netter im Auftreten komplettierte Nachbarland Slowenien die Riege der Bands im Finale: Joker Out loteten mit „Carpe Diem“ aus, wie weit man mit einer Indie-Nummer im Song Contest kommen kann: Nicht besonders weit, wie Platz 21 zeigt.
Unterkühltes Frankreich, irritierendes Spanien
Frankreich muss jetzt schon fast 50 Jahre auf einen Sieg beim Bewerb warten. Auch Sängerin La Zarra konnte daran nichts ändern. Von einer Art Säule ein leicht unterkühltes Elektrochanson herabsingend blieb sie, Überraschung, recht unnahbar. Zumindest gelang ihr das Kunststück, genau den Platz – den 16. – nach der Jurywertung auch am Ende zu halten.
Zu sehr spanisches Dorf blieb für die internationalen Zuseherinnen und Zuseher Blanca Paloma und ihr sehr atmosphärisch gehaltenes „Eaea“. Dabei waren dem spanischen Beitrag im Vorfeld viel bessere Chancen eingeräumt worden, bei den Jurys noch Neunte, wurde sie insgesamt 17.
Kein gutes Jahr für Ethnopop
Ethnopop, diesmal nur von Albanien und Moldawien im Repertoire, hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Der Familienauftritt der Sängerin Albina brachte Albanien auf Platz 22. Moldawien setzte die zuletzt so beliebte Flöte in Kombination mit Dance-Beats, die Darbietung von Pasha Parfeni versank dann aber leider knietief in Esomystik, sodass es nur Rang 18 wurde.
Wirklich düster und apokalyptisch wurde es beim Serben Luke Black. Mit seiner Imitation von Trent Reznor von der US-Band Nine Inch Nails schaffte er es nur auf Platz 24.
Traurige Männer bleiben traurig
Die Erfolgsära von traurigen oder nachdenklichen Männerballaden scheint vorbei. Gewann 2019 der Niederländer Duncan Laurence noch mit „Arcade“ den Bewerb, bewahrheitete sich auch heuer wieder die Regel, dass Imitation von ehemals funktionierenden Rezepten keine ganz zündende Idee ist. So landete der für Zypern singende Australier Andrew Lambrou mit „Break a Broken Heart“ immerhin auf dem zwölften Rang, Remo Forrer aus der Schweiz wurde mit „Watergun“ nur 20.
Zypern: Andrew Lambrou – „Break a Broken Heart“
Großes Lob an das Gastland
Großes Lob von allen Seiten gab es für den Veranstalter Großbritannien: Die Show ging ziemlich reibungsfrei über die Bühne, die ihrerseits technisch und optisch alle Stücke spielte. Aus dem Moderationsteam stach vor allem die Schauspielerin Hannah Waddingham heraus, die für die größten Lacher des Abends sorgte. Und Lob und Anerkennung gab es auch dafür, wie stark das Siegerland 2022, die Ukraine, in die Austragung eingebunden wurde. 2024 wird der Song Contest dann in Schweden starten, bei den perfektionistischen Skandinavierinnen und Skandinaviern darf man sich schon jetzt Großes erwarten.