Der regierungsnahe TV-Sender TRT Haber sah Erdogan Sonntagabend bei 52,7 Prozent, Kilicdaroglu bei 41,4. Laut TRT Haber sind 50 Prozent der Wahlurnen ausgezählt. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete einen Stimmenanteil von rund 51 Prozent für Erdogan, vor Kilicdaroglu mit 43 Prozent.
Allerdings bezogen sich die Zahlen nur auf etwas über 60 Prozent der ausgezählten Stimmen, die zudem überwiegend aus Hochburgen der islamisch-konservativen Regierung stammten. Die ersten Daten lassen daher noch keine Rückschlüsse auf das Endergebnis zu. Anfangs war Erdogan der Agentur zufolge nach 25,7 Prozent der ausgezählten Stimmen noch bei 54,3 Prozent gelegen.
Livebericht zur Wahl in der Türkei
ORF-Korrespondentin Katharina Wagner berichtet aus Istanbul, wie die ersten Trends einzuordnen sind und inwieweit die Wahl korrekt abgelaufen ist.
Opposition sieht sich voran
Die oppositionelle CHP, politische Heimat von Präsidentschaftskandidat Kilicdaroglu, zeigte sich empört. CHP-Sprecher Faik Öztrak warf Anadolu „Manipulation“ vor. Öztrak sprach von „äußerst positiven Daten“ für die CHP. Kilicdaroglu zeigte sich Sonntagabend optimistisch. „Wir liegen vorn“, so der 74-Jährige.
Die ebenfalls zur CHP gehörenden Bürgermeister von Istanbul und Ankara, Ekrem Imamoglu und Mansur Yavas, erklärten, der Oppositionskandidat liege nach Auszählung von 24 Prozent der Stimmen in Führung. Imamoglu rief die türkische Bevölkerung auf, die Wahlergebnisse der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nicht zu beachten.
Zudem warf die Opposition der Regierungspartei taktische Manöver bei der Stimmauszählung nach den Wahlen vor. In Hochburgen der Opposition lege die islamisch-konservative AKP bewusst Einspruch gegen die Ergebnisse ein, sagte Imamoglu. Dadurch werde die Auszählung langsamer gemacht, und das Ergebnis falle zunächst zugunsten der Regierung aus.
Regierung sieht „Schmutzkampagne“
Die türkische Regierung warf der Opposition eine „diktatorische Haltung“ während der Stimmauszählung bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vor. Frühzeitig ein Ergebnis bekanntzugeben ist „politischer Raub“, sagte der Sprecher der regierenden AKP, Ömer Celik, am Sonntagabend. Celik ortete eine „Schmutzkampagne“.
Hohe Wahlbeteiligung erwartet
Die Wahlkommission in der Türkei hatte das Verbot zur vorzeitigen Veröffentlichung von Wahlergebnissen Sonntagabend zwei Stunden früher als erwartet aufgehoben. Die Wahlbeteiligung dürfte laut unbestätigten Meldungen jenseits der 90 Prozent liegen, was von Beobachterinnen und Beobachtern als Vorteil für Kilicdaroglu gewertet wurde. Der Oppositionskandidat lag zuletzt in den Umfragen voran, vor allem in den Großstädten. Wenn keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit erlangt, ist am 28. Mai eine Stichwahl fällig.

Der seit über zwei Jahrzehnten regierende Erdogan ist inzwischen der mächtigste Staatschef der Türkei seit Atatürk. Allerdings hat seine Popularität gelitten, unter anderem wegen der hohen Inflation, die die Lebenshaltungshaltungskosten für viele Menschen in der Türkei drastisch erhöht.

Kilicdaroglu hat angekündigt, die Türkei wieder zu einer parlamentarischen Demokratie zu machen, die Befugnisse des Präsidenten zu beschneiden und die Unabhängigkeit der Justiz zu sichern. Zudem will er die Friedenssicherung zum zentralen Bestandteil seiner Außenpolitik machen.
Wahlbeobachter aus Österreich im Einsatz
Die Wahl wird von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beobachtet. Teil der Mission sind auch die österreichischen Politikerinnen und Politiker Selma Yildirim und Stefan Schennach (SPÖ), Stephanie Krisper (NEOS), Andreas Minnich (ÖVP) und Christan Ries (FPÖ). Sie habe den Eindruck, dass die „Wahlbeteiligung immens hoch ist“, berichtete Yildirim gegenüber der APA aus dem Istanbuler Stadtteil Üsküdar.
Die Auszählung laufe sehr transparent ab, so Yildirim. Auf eigene Faust in der Türkei unterwegs ist die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic. „Die Nerven liegen blank“, berichtete sie der APA aus der Region Agri im Osten der Türkei. „Manipulationen sind an der Tagesordnung“, sagte sie.