Einer Person beim Zählen der Stimmen
Reuters/Dylan Martinez
Streit über Ergebnisse

Nächtlicher Wahlkrimi in der Türkei

Nach der Präsidentschaftswahl in der Türkei wird weiter ausgezählt. Sowohl die von den regierungsnahen Medien als auch von der Opposition veröffentlichten Zahlen deuten auf eine Stichwahl zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu hin. An den bisher offiziell bekannt gemachten Angaben gibt es Zweifel und scharfe Kritik der Opposition.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete Sonntagnacht, Erdogan liege bei einem Auszählungsstand von 89 Prozent mit 49,94 Prozent der Stimmen vor Kilicdaroglu (44,3 Prozent). Die Opposition sah Kilicdaroglu bei 47,7 Prozent, Erdogan bei 45,8 Prozent nach der Auszählung von rund 130.000 Wahlurnen. Der Kandidat eines ultranationalistischen Parteienbündnisses, Sinan Ogan, lag laut Anadolu bei 5,3 Prozent. Bleibt es bei diesem Ergebnis, käme es am 28. Mai zu einer Stichwahl.

Auch bei den ebenfalls am Sonntag stattgefundenen Parlamentswahlen deutete sich ein knappes Rennen an. Nach Öffnung von 82,7 Prozent der Wahlboxen hat die Erdogan-Allianz nach Angaben von Anadolu eine knappe Mehrheit von 50,5 Prozent der Stimmen. Das Bündnis um Kilicdaroglu käme laut Anadolu nur auf 34,5 Prozent der Stimmen. Selbst mit der Unterstützung der Allianz um die prokurdische HDP (9,5 Prozent) würde sie eine absolute Mehrheit verfehlen.

Opposition sieht taktische Manöver

Die Opposition zog die offiziellen Angaben allerdings in Zweifel und warf Erdogans islamisch-konservativer Regierungspartei AKP „taktische Manöver“ bei der Auszählung vor. Die AKP lege bewusst Einspruch gegen die Ergebnisse in Hochburgen der Opposition ein, kritisierten die Bürgermeister von Ankara und Istanbul, Mansur Yavas und Ekrem Imamoglu.

Staatliche Stellen würden bewusst falsche Zahlen verbreiten, um die Werte von Erdogan zu schönen. Die beiden Stadtchefs sind Parteikollegen von Kilicdaroglu in der CHP. Kilicdaroglu rief die Wahlbehörden auf, so schnell wie möglich auszuzählen. „Das Land kann die Ungewissheit nicht mehr länger tolerieren“, sagte der 74-Jährige.

ORF-Korrespondentin Wagner zur Türkei-Wahl

ZIB-Korrespondentin Katharina Wagner spricht unter anderem über den Streit über die Auszählungsergebnisse sowie darüber, ob es in zwei Wochen eine Stichwahl geben wird.

Seine Anhängerinnen und Anhänger rief Kilicdaroglu dazu auf, bis zum Ende der Auszählung bei den Wahlurnen zu bleiben. „Verlasst die Urnen und die Wahlkommissionen niemals“, sagte er. „Wir bleiben hier, bis jede Stimme ausgezählt ist.“

Zahlreiche Provinzen, in denen die Opposition traditionell stark sei, seien noch nicht ausgezählt worden, sagte Kilicdaroglu. „An den Urnen, an denen wir einen hohen Stimmanteil haben, blockieren sie das System mit aufeinanderfolgenden Einsprüchen“, sagte er Richtung AKP. In Ankara gebe es etwa bei 300 Wahlurnen Einsprüche, in Istanbul rund 780. „Es gibt Urnen, gegen die elfmal Einspruch erhoben wurde. Was ihr da blockiert, ist der Wille der Türkei. Mit Einsprüchen könnt ihr nicht verhindern, was kommen wird“, sagte Kilicdaroglu.

Erdogan und AKP attackieren Opposition

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die Äußerungen der Opposition während der laufenden Auszählung auf dem Kurznachrichtendienst Twitter als „Raub des nationalen Willens“. AKP-Sprecher Ömer Celik warf der Opposition eine „diktatorische Haltung“ während der Stimmauszählung vor, weil sie Ergebnisse frühzeitig bekanntgebe.

Die nationale Wahlbehörde erklärte in der Nacht auf Montag, dass bisher 87 Prozent der im In- und Ausland abgegebenen Stimmen in ihr System eingetragen worden seien. In Österreich dürfte Erdogans AKP bei den türkischen Wahlberechtigten deutlich über 70 Prozent der Stimmen geholt haben. Rund 64 Millionen Menschen im In- und Ausland waren zur Stimmabgabe aufgerufen.

Hohe Wahlbeteiligung erwartet

Die Wahlkommission in der Türkei hatte das Verbot zur vorzeitigen Veröffentlichung von Wahlergebnissen Sonntagabend zwei Stunden früher als erwartet aufgehoben. Die Wahlbeteiligung dürfte laut unbestätigten Meldungen jenseits der 90 Prozent liegen, was von Beobachterinnen und Beobachtern als Vorteil für Kilicdaroglu gewertet wurde. Der Oppositionskandidat lag zuletzt in den Umfragen voran, vor allem in den Ballungszentren.

Türkei-Wahl: Knappes Rennen zeichnet sich ab

Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei zeichnet sich ersten Ergebnissen zufolge ein knappes Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu ab.

Der seit über zwei Jahrzehnten regierende Erdogan ist inzwischen der mächtigste Staatschef der Türkei seit Atatürk. Allerdings hat seine Popularität gelitten, unter anderem wegen der hohen Inflation, die die Lebenshaltungshaltungskosten für viele Menschen in der Türkei drastisch erhöht.

Unterstützer von Präsident Recep Tayyip Erdogan
AP/Emrah Gurel
Erdogan-Anhängerinnen und -Anhänger: Der Langzeitmachthaber lag in Umfragen hinter dem Oppositionskandidaten

Kilicdaroglu hat angekündigt, die Türkei wieder zu einer parlamentarischen Demokratie zu machen, die Befugnisse des Präsidenten zu beschneiden und die Unabhängigkeit der Justiz zu sichern. Zudem will er die Friedenssicherung zum zentralen Bestandteil seiner Außenpolitik machen.