Die Ergebnisse verschlechterten sich in den meisten Vergleichsländern, wie die am Dienstag veröffentlichte „Progress in International Reading Literacy Study“ (PIRLS) zeigt. In Österreich erreichten die Schülerinnen und Schüler bei PIRLS 2021 530 Punkte, 2016 waren es noch 541 gewesen.
Für PIRLS werden Kinder der vierten Klasse Volksschule im Lesen getestet. An der im Fünfjahresrhythmus durchgeführten Studie nahmen 2021 knapp 60 Länder teil. Im Rahmen der insgesamt 80-minütigen Erhebung erhielten die Kinder Texte, zu denen Fragen beantwortet werden mussten. Anschließend wurden demografische Daten und die Einstellung der Kinder zum Lesen erhoben. Die Ergebnisse wurden anonymisiert und hatten keinen Einfluss auf die Noten.
Nur teilweise vergleichbar
Die Auswirkungen der Pandemie zeigten sich bereits bei der Studiendurchführung: Nur 43 Länder, darunter Österreich, führten die Tests wie geplant im Frühling 2021 durch. 14 weitere verschoben sie pandemiebedingt um ein halbes Jahr. Damit konnten die Daten nicht mehr verglichen werden.

So erreichten etwa die irischen Schüler europaweit die besten Resultate, hatten zum Testzeitpunkt aber schon ein halbes Schuljahr mehr hinter sich als etwa die österreichischen. Vergleichsdaten mit 2016 gab es überhaupt nur für 32 Staaten, weil manche der restlichen Länder fünf Jahre davor nicht teilgenommen hatten.
Von den 32 Vergleichsländern erreichten die Schüler in 21 schlechtere Ergebnisse als 2016, in acht gab es keine oder kaum Änderungen, drei verbesserten sich. In Österreich hielt sich die Verschlechterung in Grenzen: Nach 541 Punkten im Jahr 2016 erreichten die Schüler heuer im Schnitt 530 Punkte – das entspricht in etwa dem Ergebnis von 2011 (529), während 2006 538 Punkte erreicht worden waren.
Schwankungen auch ohne Pandemie üblich
Solche Bewegungen nach oben oder unten in den Leseergebnissen sind nicht ungewöhnlich, heißt es in der Studie. Für Dirk Hastedt, Geschäftsführer der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA), die die Studie durchführt, spiegeln sich in den Ergebnissen durchaus die negativen Auswirkungen der Pandemie wider – „aber die Verluste dürften weniger ausgeprägt sein als von vielen erwartet“. Man habe von einigen Forschenden gehört, dass ein ganzes Schuljahr verloren gegangen sei, sogar von einer „Lost Generation“ sei die Rede gewesen, so Hastedt zur APA.
Leseschwäche: Jedes fünfte Kind betroffen
Jedes fünfte Kind in Österreich hat eine Leseschwäche. Das zeigt das Ergebnis des Lesetests PIRLS, der 2021 in 43 Ländern weltweit durchgeführt wurde. Und auch beim Lesen gilt: Je höher die Bildung der Eltern, desto besser das Abschneiden der Kinder.
In zwei skandinavischen Staaten habe man testweise die gleichen Schüler ein Jahr später noch einmal getestet. Resultat: Deren Ergebnisse seien um 42 bzw. 46 Punkte besser gewesen. „Elf Punkte sind also weit weg von einem ganzen Schuljahr.“ Generell sei es auch so, dass bestimmte Leistungsschwankungen zwischen einzelnen Jahren zu erwarten sind.
„Es ist auch ganz schwierig zu unterscheiden, was ein coronabedingter Effekt und was auf Änderungen beim Lehren und Lernen zurückzuführen ist.“ Der Leistungsrückgang in Österreich könne also durchaus auch im normalen Schwankungsbereich liegen – zwischen 2011 und 2016 sei das Ergebnis (ganz ohne Pandemie) um praktisch den gleichen Wert zurückgegangen.
Fast überall Rückgänge
Auf die Gesamtauswertung bezogen müsse man aber sagen, dass die Pandemie durchaus eine Rolle gespielt habe, sagte Hastedt. Anders als in vergangenen Testdurchläufen, als in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten Punktezugewinne registriert wurden, habe man diesmal in fast allen Rückgänge bzw. eine Stagnation verzeichnet.
PIRLS
Die Studie testet die Leseleistung von Schülern am Ende der vierten Klasse Volksschule. Die Kinder lesen Informationstexte und literarische Texte und beantworten dazu Fragen. Per Fragebogen werden außerdem Hintergrundinformationen erhoben, von denen angenommen wird, dass sie mit der Lesekompetenz in Verbindung stehen, z. B. sozialer Hintergrund, Lesegewohnheiten, schulisches Umfeld.
Die besten Leseleistungen erzielten 2021 die Kinder in Singapur (587) – hier gab es sogar bessere Ergebnisse als 2016 (576). Es folgten Hongkong (573), Russland (567), England (558), Finnland und Polen (je 549) sowie Taiwan und Schweden (je 544). Vor Österreich liegen noch Bulgarien, Tschechien, Australien (je 540), Dänemark, Norwegen (je 539), Italien (537) und Macao (536).
In etwa gleichauf mit Österreich platziert sind die Slowakei (529) und die Niederlande (527), knapp dahinter folgt Deutschland (524). Österreich liegt damit wie schon bei der letzten Erhebung 2016 deutlich über dem internationalen Durchschnitt (509) und im EU-Schnitt (527). Doris Wagner, Sektionschefin im Bildungsministerium, sagte am Dienstag vor Journalisten, dass der Leistungsrückgang nicht so dramatisch ausfiel wie vielfach prognostiziert. Sie führte das auf die vom Ministerium ergriffenen Fördermaßnahmen während bzw. nach der Pandemie zurück. Diese hätten „vieles aufgefangen“.
Fünftel in Österreich leseschwach
Mädchen erreichten international im Schnitt eine um 16 Punkte bessere Leseleistung. In Österreich betrug der Unterschied 14 Punkte (Buben: 523, Mädchen: 537). Der Unterschied zwischen Buben und Mädchen habe sich damit seit den vergangenen Tests (2006: zehn Punkte, 2011: acht Punkte, 2016: sechs Punkte) deutlich vergrößert. „Das ist eine unschöne Entwicklung.“
Rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Österreich gehören zu den schwachen Leserinnen und Lesern, das sind weniger als im internationalen Schnitt (25 Prozent). Demgegenüber befinden sich sieben Prozent in der Spitzengruppe der besten Lesenden, das liegt genau im internationalen Schnitt.
Erbgut Bildung
Deutlich größer als in anderen Staaten sind in Österreich die Leistungsunterschiede nach Bildungsstand bzw. Beruf der Eltern. International erzielten jene 30 Prozent der Schüler mit hohem sozioökonomischem Status im Schnitt 543 Punkte, jene 48 Prozent mit mittlerem Status 501 und jene 22 Prozent mit niedrigem Status nur 457 Punkte. Insgesamt beträgt der Abstand zwischen niedrigem und hohem Status damit 86 Punkte.
In Österreich ist der Abstand mit 98 Punkten sogar noch höher. „Das ist ein dramatischer Unterschied, das sollte uns beunruhigen“, meinte Hastedt. Allerdings fallen hierzulande nur elf Prozent in die Gruppe mit niedrigem sozioökonomischem Status (470 Punkte im Schnitt) und dafür 41 Prozent in jene mit hohem (568 Punkte im Schnitt). Angesichts der kleineren Gruppe könne Österreich hier eventuell leichter gegensteuern.
Weiterer zumindest einigermaßen positiver Aspekt: In Österreich ist die Leistungskluft seit der letzten Studie zumindest nicht gestiegen. „Die Schere ist nicht weiter aufgegangen“, sagte der Direktor des Instituts des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen (IQS), Robert Klinglmair. Das IQS wickelt die Studie in Österreich ab.
Bildungsniveau steigt insgesamt
Wie wichtig in Österreich der sozioökonomische Hintergrund auch bei den Jobchancen ist, belegen die neuesten Daten der Statistik Austria. Laut diesen steigt das Bildungsniveau im Land stetig, ein hoher Bildungsabschluss sorgt für mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Anteil an Hochschul- und Akademieabsolventinnen und -absolventen habe sich seit 1981 mehr als vervierfacht, der Bevölkerungsanteil mit höchstens Pflichtschulausbildung habe sich mehr als halbiert. „Damit liegt Österreich im europäischen Mittelfeld“, so Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas.

Die Arbeitslosenquote liegt bei Personen im Alter von 15 bis 74 Jahren mit höchstens Pflichtschulabschluss bei 11,7 Prozent, bei jenen mit einem BMS- oder Lehrabschluss bei 3,5 Prozent. Bei Absolventen höherer Schulen liegt die Arbeitslosenquote bei 4,6 Prozent und bei Personen mit einem Hochschulabschluss bei 3,3 Prozent. Laut Thomas ist die Lehre ein „Beschäftigungsturbo“, denn hierbei gelinge der Berufseinstieg am schnellsten, „weil viele nach dem Lehrabschluss ihre Karriere im Unternehmen fortsetzen“.
Der Berufseinstieg erfolge generell unterschiedlich: Am kürzesten dauert er bei Personen mit einem Lehrabschluss, die innerhalb von 32 Tagen nach Abschluss ihre erste Erwerbstätigkeit beginnen. Nach der BHS gelingt der Berufseinstieg 119 Tage nach dem Abschluss. Für Personen, die höchstens die Pflichtschule abgeschlossen haben, dauert es mit 234 Tagen bis zur ersten Erwerbstätigkeit am längsten, geht aus der aktuellen Publikation „Bildung in Zahlen 2021/22“ der Statistik Austria hervor.
Kritik der Opposition
Die aktuellen Ergebnisse bestätigten „einmal mehr, dass in Österreich Bildung weiterhin stark vererbt wird“, so SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. „Die Regierung muss hier endlich handeln und die Vererbung von Bildung beenden“, so Tanzler, die das SPÖ-Ganztagsschulmodell bewarb. „Wir wollen eine Schule, in die Kinder morgens ohne Schultasche kommen und die sie nachmittags ohne Hausübung verlassen“.
Die FPÖ bemängelte, man habe wegen „der überschießenden und völlig unverhältnismäßigen Corona-Maßnahmen der schwarz-grünen Regierung in regelmäßigen Abständen vor Bildungsrückständen und Bildungsverlusten bei den Schülern gewarnt“ und auch die verordneten Schulschließungen kritisiert. "Jetzt belegt auch diese Studie die Auswirkungen der falschen Maßnahmen von ÖVP und Grünen – das ist ein Totalversagen der schwarz-grünen Bildungspolitik“, sagte FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl. Spätestens jetzt müsse ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek vorhandene Budgetmittel zielgerichtet einsetzen.
Organisationen betonen soziale Ungleichheit
Die Arbeiterkammer (AK) sah am Dienstag bestätigt, dass die Bildungsentwicklung in Österreich auf der Stelle trete. Die PIRLS-Ergebnisse seien „vielleicht angesichts der Folgen der Pandemie nicht überraschend“, zeigten allerdings, dass in der Lesekompetenz kaum Fortschritte gemacht worden seien.
Zudem zeige sich, dass sozioökonomische Voraussetzungen des Elternhauses die zentrale Ursache für Unterschiede in der Lesekompetenz seien. Für die Zukunft sei das heimische Bildungssystem nicht gerüstet, man brauche einen Neustart.
Die Volkshilfe kritisierte, das österreichische Schulsystem schreibe soziale Ungleichheit besonders stark fort. „Deutlicher als im Schnitt anderer EU-Länder wirkt der sozioökonomische Status der Eltern sich negativ auf die Lesekompetenzen der Kinder aus. Das ist aber leider kein Zufall, sondern die Folge eines veralteten, sozial undurchlässigem Schulsystems“, so Volkshilfe-Präsident Ewald Sacher.
Wirtschaft und Industrie loben Lehre
Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) freuten sich über die Ergebnisse in puncto Lehre, diese bestätigten die Attraktivität. IV und NEOS betonten zudem, die Lehre müsse gestärkt werden. So brauche es „deutlich verbesserte Bildungs- und Berufsorientierung an Schulen, einen strukturierten Einstieg in die neunte Schulstufe und verbesserte Anschlussstellen an den Hochschulbereich (Lehre mit und nach Matura)“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. NEOS-Lehrlingssprecher Yannick Shetty forderte Handlungen der Politik angesichts eines Rückgangs bei den Lehrbetrieben.