Bauer steht in Wasser neben überschwemmten Pflanzen
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Unwetter in Italien

Nach Flut „Obstnotstand“ befürchtet

Die Überschwemmungen in der norditalienischen Adria-Region Emilia-Romagna haben dramatische Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Allein in den Obstplantagen seien „mindestens“ zehn Millionen Bäume wohl irreparabel geschädigt und müssten nun gerodet werden, heißt es in einer ersten Bilanz des Landwirtschaftsverbandes Confagricoltura. In einer der größten Obstbauregionen des Landes werden nun umfangreiche Ernteausfälle befürchtet. Damit einher geht wohl ein weiterer Preisanstieg bei den zuletzt ohnehin deutlich teurer gewordenen Lebensmitteln.

Die Folgen des Hochwassers für Italiens Landwirtschaft dürften über Jahre spürbar sein, heißt es dazu vom Landwirtschaftsverband Coldiretti. Das vom Hochwasser betroffene Gebiet wird wegen seiner großflächigen Marillen-, Pfirsich-, Nektarinen-, Zwetschken-, Apfel-, Birnen-, Kiwi- und Erdbeerplantagen etwa von der Nachrichtenagentur ANSA als Italiens „Fruit Valley“ (Obsttal) bezeichnet. Nach der Überschwemmung drohe dort und damit für ganz Italien nun ein „Obstnotstand“, wie es beim Nachrichtenportal Today dazu heißt.

Nach Angaben von Coldiretti werden beispielsweise mehr als 20 Prozent der italienischen Marillen und über zehn Prozent der Pfirsiche und Nektarinen in der Region erzeugt. So wie Coldiretti rechnen auch Italiens Obstgroßhändler mit deutlich spürbaren Folgen für die Lebensmittelversorgungskette des Landes. „Mindestens 50.000 Arbeitsplätze bei Landwirten und Beschäftigten auf dem Land, in der Industrie und in Verarbeitungs- und Verarbeitungsgenossenschaften sind gefährdet“, sagte Confagricoltura.

Bis zu 20 Prozent weniger Obst

Fabio Massimo Pallottini, Präsident der Großhandelsvereinigung Italmercati, rechnet infolge der Unwetterschäden bei Obst, Gemüse und Getreide mit einem deutlichen Rückgang sowohl bei Quantität als auch bei Qualität, „der mit einem Anstieg der Kosten einhergeht“. Nach Berechnungen von Italmercati könnte es bereits in den kommenden Wochen zu einem Rückgang des Obstangebots um 15 bis 20 Prozent kommen.

Man erwarte „ein echtes Erdbeben in unserem Sektor“, so Pallottini. Die Überschwemmungen haben Pallottinis Angaben zufolge saisonale Produkte wie Birnen, Äpfel, Zwetschken, Kiwis und Weinreben, die noch nicht in der vollen Reifephase sind, in der Hochwasserregion weitgehend zerstört.

Auch Viehzucht betroffen

Rund 5.000 Landwirtschaftsunternehmen sind Medienberichten zufolge in der Emilia-Romagna von den Überschwemmungen betroffen. Confagricoltura-Präsident Carlo Carli bezifferte die Schäden für die Landwirtschaft auf 1,5 Milliarden Euro. Allein die Wiederanpflanzung einer Obstplantage ist mit bis zu 50.000 Euro pro Hektar sehr teuer, und es wird vier bis fünf Jahre dauern, bis die volle Produktion wiederhergestellt werden kann.

Überflutete Ernte in Italien
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Die von Überschwemmungen betroffenen Obstanbaugebiete in der Emilia-Romagna werden in Italien vielfach als „Fruit Valley“ (Obsttal) bezeichnet

Die Unwetter verursachten auch schwere Schäden in der Viehzucht. In einem Viehzuchtbetrieb in der Provinz Ravenna ertranken rund 600 Schweine. Schutz, Wasser und Nahrung müssen für mehr als 250.000 Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen gesichert werden, die in den überschwemmten Ställen der Romagna gehalten werden. In der Gegend befinden sich etwa 400 Geflügelfarmen mit Hühnern, Legehennen und Puten sowie fast 45.000 Bienenstöcke, von denen viele weggeschwemmt wurden, so Coldiretti.

Ruf nach Sondergesetz

Die Regierung will Zugang zum EU-Solidaritätsfonds beantragen, um die überschwemmten Gebiete zu unterstützen. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat für kommenden Dienstag eine Ministerratssitzung anberaumt, bei der erste Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Gebiete beschlossen werden sollen. Von der Region Emilia-Romagna kam in diesem Zusammenhang bereits der Ruf nach einem Sondergesetz für die durch das Unwetter betroffenen Landwirtschaftsbetriebe.

Confagricoltura drängt zudem zu Tempo. Es gehe darum, all jenen „die verzweifelt versuchen, die Schäden in den Lagern und Verarbeitungsbetrieben, Ställen, Gewächshäusern und Baumschulen zu begrenzen“, schnellstmöglich zu helfen. Benötigt werde „jede Art von Hilfe: Lebensmittel dort, wo sie knapp sind, Lebensmittel in Dörfern, die nicht erreichbar sind, weil die Straßen blockiert oder durch Erdrutsche ausgehöhlt sind; Futtermittel für das Vieh; Bagger und Hochdruckreiniger für die verschiedenen Reinigungs- und Wiederherstellungsarbeiten“.

14 Tote, 36.000 mussten Häuser verlassen

In der im Nordosten Italiens gelegenen Emilia-Romagna war am Dienstag und Mittwoch letzter Woche so viel Regen niedergegangen wie sonst in einem halben Jahr. Zahlreiche Flüsse traten über die Ufer. Bis Sonntag kamen mindestens 14 Menschen ums Leben.

Bericht aus Norditalien

Alexander Hecht (ORF) berichtet aus Norditalien über die derzeitige Lage. Des Weiteren erzählt er, wie stark die Schäden nach den Überschwemmungen sind und wie man als Außenstehender helfen kann.

Zwischenzeitlich wurden in der Region rund 36.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben, etwa 10.000 Menschen konnten nach Angaben der örtlichen Behörden vom Sonntag wieder nach Hause zurückkehren. Zum Ende der Woche hörte es vielerorts auf zu regnen, die Alarmstufe Rot wurde in Teilen der Region jedoch bis Montag verlängert. Am Sonntag besuchte auch Regierungschefin Giorgia Meloni die Unwetterregion. Sie hatte wegen der heftigen Unwetter ihre Teilnahme am G-7-Gipfel in Japan abgekürzt.