Apple-Logo hinter weichgezeichnetem Kursverlauf
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Aufgewärmter Hype

Apples Milliardenpoker mit dem Metaverse

Lange war es still um das Metaverse, das noch im Vorjahr als „Internetnachfolger“ angepriesen wurde und Facebook gar zur Namensänderung veranlasst hatte. Apple könnte den Hype um Avatare, Virtual Reality (VR) und vor allem viel Geschäft jetzt wiederbeleben: Im Juni soll ein eigenes VR-Headset vorgestellt werden. Schon bisher stellte sich für viele die Frage nach dem praktischen Nutzen – fraglich ist, ob Apple die Antwort darauf liefern kann.

Es kann nur ein Modewort geben – und momentan heißt es künstliche Intelligenz (KI). Heuer wurde auch deshalb das Metaverse, der Liebling der Branche von 2021 bis 2022, gleich mehrfach medial zu Grabe getragen. Neben der Debatte über ChatGPT und die gesellschaftlichen Folgen gab es Tausende Kündigungen im IT-Sektor. Viele machten dafür auch das Spekulieren der Giganten auf das Metaverse verantwortlich.

Im Fokus der Kritik stand in erster Linie der Konzern von Mark Zuckerberg, der das Metaverse, also die Verschmelzung von Internet, virtueller und erweiterter Realität, mit oder ohne Virtual-Reality-Helm, als seine Zukunftsvision des Internets anpries. Zum Staunen praktisch aller Beobachter preschte er 2021 vor, benannte seine Firma von Facebook in Meta um und steckte Milliarden in die Entwicklung dieser Idee, die eigentlich aus der Science-Fiction stammt. Mit diesem Projekt sei er spätestens jetzt gescheitert, so der Tenor.

Erst Modewort, dann Fußnote – und jetzt Apple

Exemplarisch wird auf jenes „Selfie“ des Milliardärs hingewiesen, das einen Zuckerberg-Avatar vor einem virtuellen Eiffelturm zeigt, alles erstaunlich leblos und auch auf den ersten Blick als technisch wenig überzeugend zu erkennen. Zuckerbergs Vision wurde zur Lachnummer, auch zahllose andere Konzerne ruderten wieder zurück, das Metaverse nach Facebooks Vorstellung war plötzlich nur noch Fußnote. Wer heute Metas „Horizon Worlds“ besucht, findet nur noch eine Geisterstadt vor.

Und jetzt kommt Apple und rückt das Metaverse plötzlich wieder in den Fokus. Offiziell bestätigt wurde bisher wie üblich nichts, doch bereits seit Jahren wird über ein Virtual-Reality-Headset des iPhone-Herstellers spekuliert. Milliarden soll der Konzern bereits in die Entwicklung gesteckt haben, nur zizerlweis gelangte bisher Information an die Außenwelt. Diesmal soll es aber wirklich so weit sein, nachdem schon Details aus der Produktion an die Öffentlichkeit gelangten. Bei Apples Worldwide Developers Conference (WWDC) ab 5. Juni könnte jetzt auch ganz offiziell ein Headset vorgestellt werden, das möglicherweise „Reality Pro“ heißt.

Langes Hin und Her vor Apples Schritt Richtung VR

Es ist nicht das erste Mal, dass mit Apples Bekenntnis zu Virtual Reality und einem eigenen, von Facebook unabhängigen Metaverse gerechnet wurde. Schon im letzten Jahr wurde mehrfach vor Apple-Veranstaltungen gemutmaßt, dass diesmal der Schritt Richtung VR angekündigt werden soll. Mit dem Hin und Her wurde Apples Ambition zum „schlechtest gehüteten Geheimnis der Branche“, schrieb der „Guardian“ zuletzt. Deshalb ist auch bekannt, dass Apple jahrelang umdisponiert hat und aller Voraussicht nach nun etwas präsentieren wird, das nicht viel mit der ursprünglichen Idee zu tun hat.

Eine Brille, die man rund um die Uhr tragen kann, kein Helm, der die Realität zugunsten der virtuellen Realität ausblendet, so oder so ähnlich hatte man das intern bei Apple gerne gewollt, glaubt man etwa dem Apple-Experten Mark Gurman von Bloomberg. Doch das scheiterte offenbar an technischen Hürden. Jetzt ist von Headset und Kabel die Rede, beides ursprünglich absolute K.-o.-Kriterien für Apple, hieß es im Vorfeld, doch der Veröffentlichungsdruck aus der Führungsebene soll sämtliche interne Bedenken überstimmt haben.

Ein Gerät, das seine Abnehmer sucht

Die Fachpresse mutmaßt seither vor allem über technische Details und hebt dabei gerne hervor, dass Apple gut dastehe, weil man im Gegensatz zur Konkurrenz schon seit geraumer Zeit passende Chips selbst entwickelt. Für alle anderen Beobachterinnen und Beobachter stellt sich jedoch eine weitere Frage: Wen soll Apples VR-Einstieg ansprechen? Gerüchten zufolge soll das erste Gerät mehrere tausend Euro kosten, ein Vielfaches von Metas Quest-VR-Brille, die sich immerhin einige Millionen Mal verkauft hat.

Tim Cook
AP/Jeff Chiu
Apple-Chef Cook könnte einen neuen Weg für sein Unternehmen vorgeben

Auch wenn schon viel über die Möglichkeiten des Metaverse diskutiert wurde, ist Virtual Reality momentan immer noch fix mit nur einem einzigen Anwendungszweck verbunden, nämlich dem Spielen. Realitätsnahe Shooter, Abenteuerspiele, selbst ein virtueller Brettspielabend: Das alles kann VR heute schon und wird auch verhältnismäßig aktiv verwendet. Virtuelle Büros, Teammeetings, aber auch Einkaufsstraßen und andere Dinge, die in erster Linie nach lukrativem Geschäftsmodell klingen, haben ihre Nutzerinnen und Nutzer hingegen bisher nicht gefunden.

Apple-Chef fehlt sein „iPhone-Moment“

Ein Profigerät mit einem entsprechend stolzen Preis wird Durchschnittsgamer aber nicht locken können. Es bleibt also abzuwarten, mit welchem Anwendungszweck Apple sein Headset anpreisen wird und ob es dadurch automatisch zum unverzichtbaren elektronischen Spielzeug wird. Beobachterinnen und Beobachter sehen in der möglichen Präsentation eines VR-Headsets jedenfalls einen entscheidenden Moment für Apple-Chef Tim Cook: Denn dem Nachfolger des 2011 verstorbenen Apple-Mitbegründers Steve Jobs fehlte bisher sein „iPhone-Moment“. Damals krempelte das US-Unternehmen den bisherigen Smartphone-Markt komplett um.

Doch die Ausgangslage ist diesmal eine ganz andere. Telefonieren musste man potenziellen Käuferinnen und Käufern 2007 nicht erklären, doch zu kommunizieren, was das Metaverse überhaupt ist und wozu man es braucht, hat schon einige Konzerne davor vor unüberwindbare Hürden gestellt, nicht zuletzt Meta. Sollte Apple kein Ass im Ärmel haben, könnte „Reality“ schnell zum Alptraum für den Konzern werden und auch die öffentliche Diskussion über das Metaverse abwürgen.

Teure Spekulation mit der Zukunft

Zumindest vorübergehend. Denn auch wenn selbst Meta jetzt nicht mehr lautstark vom namensgebenden Metaverse schwärmt, sind viele Investitionen bereits getätigt – und egal ob Zuckerbergs Konzern oder Apple: Wer die Vision eines Internetnachfolgers ernst nimmt, wird sich der Idee länger als nur bis zum nächsten geflügelten Wort der Branche verschreiben müssen.

Dabei steht der aktuelle Hype um KI ohnehin nicht im Widerspruch zum Metaverse. Viele Entwicklungen, von Chatbots bis zum KI-gestützten Entwurf von 3-D-Szenen, fügen sich nahtlos in die Vision einer virtuellen Welt ein.

Doch wer auf diese Zukunft setzt, wird eher früher als später einen richtigen Grund finden müssen, warum das Metaverse schon jetzt relevant und unverzichtbar ist, um zumindest einen Teil der Ausgaben wieder einzuspielen. Das Versprechen, dass damit irgendwann das Internet nach heutiger Vorstellung ersetzt werde, wird für viele wohl nicht als Verkaufsargument reichen. Selbst für Apples Werbetalent dürfte das eine große, vielleicht zu große, Herausforderung werden.