Lockheed Martin F-16
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US-Kehrtwende

Mit F-16-Zusagen rückt Krim ins Visier

Mit der Zusage, dass sich die USA nicht gegen die Lieferung von amerikanischen F-16-Kampfjets an die Ukraine stellen und sogar Piloten ausbilden werden, hat US-Präsident Joe Biden am Wochenende laut Beobachtern eine erstaunliche politische Wende vollzogen. Denn bisher hatte er sich stets gegen eine Unterstützung mit Kampfflugzeugen ausgesprochen. Auch wenn noch sehr viele Fragen und Details offen sind, rückt mit einer F-16-Lieferung für Kiew ein Ziel ins Visier: die von Russland annektierte Krim.

Mit seiner diplomatischen Tour, zunächst in mehrere europäische Hauptstädte und dann zum G-7-Gipfel nach Hiroshima in Japan, konnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj offenbar mindestens ein Ziel erreichen: Die schon monatelang geforderte Lieferung von westlichen Kampfjets nimmt jetzt konkrete Form an.

Der britische Premierminister Rishi Sunak und der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatten mit der „Kampfjetkoalition“ den Anfang gemacht, in Japan vollzog sich dann die Kehrtwende in der US-Politik. Biden gab grundsätzlich den Weg dafür frei, im Rahmen einer Koalition von Verbündeten Jets des US-amerikanischen Typs F-16 an die Ukraine zu liefern.

Zusage, Russland nicht anzugreifen

Biden begründete seine Kehrtwende bei den Kampfjets mit einer veränderten Situation. So machte er deutlich, dass es bei Fortschritten der Ukrainer zu einer Situation kommen könnte, in der sie Waffen größerer Reichweiten brauchen, als ihnen bisher zur Verfügung stehen. Er habe eine „eindeutige Zusage von Selenskyj“, die F-16 nicht zu nutzen, um „in russisches geografisches Territorium“ vorzustoßen, sagte Biden in Hiroshima. Aber überall dort, wo sich russische Truppen in der Ukraine aufhalten, werden sie die Flugzeuge verwenden, so Biden.

Joe Biden und Volodymyr Zelenskyy
AP/Susan Walsh
Biden und Selenskyj auf dem G-7-Gipfel

Krim als potenzielles Ziel

Biden zielte damit wohl auf die Halbinsel Krim ab, die seit 2014 von Russland besetzt ist. Explizit erwähnt wurde die Krim vom nationalen Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan: „Wir haben gesagt, dass wir nicht zulassen werden, dass die Ukraine Waffen aus US-Produktion einsetzt, um Russland zu treffen. Und wir glauben, dass die Krim zur Ukraine gehört“, sagte Sullivan. Für Russland ist die Krim mittlerweile Teil der Russischen Föderation, das Gros der Staaten und die allermeisten Experten und Expertinnen für Völkerrecht sehen sie allerdings nach wie vor als ukrainisches Territorium.

Eine politische Kehrtwende dementierte Sullivan: Die Entscheidungen über Waffenlieferungen seien von Anfang an den Erfordernissen im Kriegsgeschehen gefolgt. Nun sei man „an einem Punkt angelangt, an dem es an der Zeit ist, in die Zukunft zu blicken“. Und da kämen die Kampfjets ins Spiel.

Rückeroberung bisher stark bezweifelt

Selenskyj hatte von Anfang an als Kriegsziel auch die Rückeroberung der Krim genannt. Doch selbst seine westlichen Verbündeten ließen das in den vergangenen Monaten meist unkommentiert stehen: Man ging eher davon aus, dass im Falle von Friedensverhandlungen die Krim wohl an Russland fallen würde, wenn dafür der Krieg beendet wäre. Auch dass die Ukraine die militärische Stärke haben könnte, sogar die Krim zurückzuerobern, war praktisch gänzlich ausgeschlossen worden. Mittlerweile – und das zeigen die Aussagen von Sullivan – scheinen sich die Einschätzungen verändert zu haben.

Laut Russland „nutzlos“

Russland wiederum bezeichnete die mögliche Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine als nutzlos für den Kriegsverlauf. Die Pläne des Westens und auch die Ausbildung ukrainischer Piloten an den F-16 würden nicht dabei helfen, gegen Russland die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, sagte der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow am Montag der Moskauer Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Rjabkow betonte, die Versuche des „kollektiven Westens“ unter Führung der USA, Angriffe auf die Sicherheit Russlands zu verüben, hätten keinen Erfolg. Russland sei klar, dass alle irgendwie diskutierten Waffengattungen über kurz oder lang auch in der Ukraine landen würden. Rjabkow sagte auch, dass Russland nicht zulassen werde, dass die mit US-Waffen angedrohten Schläge gegen die Krim in die Tat umgesetzt würden.

Leere Drohungen aus Moskau?

Phillips P. O’Brien, Professor für strategische Studien an der schottischen Universität St. Andrews, sieht indes auch solche Drohungen aus Russland bei den USA ins Leere gehen: Von einem Reporter gefragt, was er dazu sage, dass Russland die F-16-Lieferung als „kolossales Risiko“ bezeichne, hatte Biden geantwortet: „Ist es auch, für sie.“ Die USA würden sich durch solche Drohungen nicht mehr einschüchtern lassen, schrieb O’Brien. Er vermutet, dass die US-Geheimdienste die russische Rhetorik von Nuklearschlägen als leere Drohungen einstufen.

Wer liefert wann?

Umgekehrt bleiben für die F-16-Lieferung etliche offenen Fragen, allen voran, wer denn die Kampfflugzeuge der Ukraine eigentlich liefern soll – und wie eine Übergabe aussehen könnte, die nicht als Einmischung des Westens bzw. der NATO in den Konflikt gewertet werden kann. Expertinnen und Experten schätzen, dass eine Lieferung wohl frühestens im Herbst vonstattengehen könnte.

Und wiewohl mehrere Staaten, auch die USA, eine Ausbildung von Piloten schon zugesagt haben, werde es wohl lange dauern, bis die Jets tatsächlich einsatzfähig sind, heißt es in einer CNN-Analyse. Nach ein paar Monaten Einschulung könne man die F-16 schon fliegen, für militärische Manöver würde die Ausbildung aber meist jahrelang dauern, zitiert der Sender erfahrene US-Piloten.

Stationierung als offene Frage

Ein Vorteil der F-16 sei, so CNN, dass derzeit rund 2.200 F-16 im Einsatz seien. Damit sei sichergestellt, dass es genügend Ersatzteile gibt. Allerdings sei der Jet recht wartungsintensiv – und nicht nur Piloten, sondern auch Personal dafür müsse ausgebildet werden. Und schließlich bleibe die Frage, wo man die Kampfflugzeuge in der Ukraine stationiere: Für entsprechend lange Start- und Landebahnen gebe es nur eine Handvoll Optionen – und diese seien freilich auch Russland bekannt.