Raketen werden von Belgorod aus gestartet
AP/Vadim Belikov
Auf russischem Boden

Offene Fragen nach Angriffen in Belgorod

Nach Angriffen in der russischen Grenzstadt Belgorod sind nach russischen Angaben die eingedrungenen Kämpfer zurückgedrängt und „eliminiert“ worden. Russland sieht darin einen Akt des Terrors und macht die Ukraine verantwortlich. Diese „Sabotage“ sei ein Grund, die „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine fortzuführen, so der Kreml. Zu den Angriffen bekannten sich zwei russische Gruppen.

Die Lage war auch am Mittwoch angespannt, die Angaben nicht überprüfbar. Die russischen Behörden gaben zwar Entwarnung und hoben den verhängten Alarmzustand wieder auf, der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, bestätigte später aber eine Drohnenattacke. Dabei sei allerdings nur ein Auto beschädigt worden.

Nach russischer Darstellung waren am Montag Bewaffnete mit gepanzerten Fahrzeugen aus der Ukraine kommend in die russische Grenzregion Belgorod eingedrungen, wo es Beschuss und Explosionen gab. Die russische Seite sprach von einem Toten und 13 Verletzten. Vorübergehend war auch ein Anti-Terror-Einsatz angeordnet, erstmals seit Beginn des russischen Überfalls im Februar 2022.

„Anti-Terror-Operation“ beendet

Ähnliche Regeln waren etwa im Jahr 1999 im Verlauf des militärischen Vorgehens Russlands in Tschetschenien eingeführt worden, Polizei und Armee erhalten dadurch zusätzliche Befugnisse. Das russische staatliche Ermittlungskomitee leitete zudem ein Strafverfahren wegen Terrorismus ein. Der rechtliche Zustand der „Anti-Terror-Operation“ sei beendet, teilte Gladkow am Mittwoch mit.

Mehr als 70 ukrainische Terroristen seien getötet sowie vier gepanzerte Fahrzeuge und fünf Geländewagen zerstört worden, sagte Militärsprecher Igor Konaschenko. Die Armee ging dabei den Angaben zufolge mit Luftangriffen und Artilleriefeuer vor. In einem Video zeigte das Verteidigungsministerium mutmaßliche Schläge aus der Luft gegen die Angreifer.

Rechtfertigung für Krieg

Zu eigenen Verlusten machte Moskau keine Angaben. Laut Konaschenkow hatten sich einige Angreifer auf ukrainisches Territorium zurückgezogen. Sie seien aber bis zur völligen Liquidierung bekämpft worden. Die am Montag verübte Attacke auf die Region Belgorod sei die „Antwort des Kiewer Regimes auf die Niederlage in Artjomowsk“, behauptete der General. In Moskau wird die ukrainische Stadt Bachmut nach ihrem vorherigen Namen Artjomowsk genannt.

Im Kreml riefen die Angriffe auf russischem Boden „tiefe Besorgnis“ hervor, wie Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag sagte. Er sah die Angriffe durch „ukrainische Kämpfer“ als Grund für eine Fortführung des Kriegs gegen die Ukraine. Die Kämpfe in Belgorod würden Anstrengungen von Russland erfordern, so Peskow. „Diese Anstrengungen werden fortgesetzt wie auch die militärische Spezialoperation, um künftig solches Eindringen zu verhindern.“ Als militärische Spezialoperation bezeichnet Moskau seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Kiew weist Beteiligung zurück

Zu den Angriffen vom Montag hatten sich zwei russische Gruppen, das „Russische Freiwilligenkorps“ und die „Legion Freiheit Russlands“, bekannt. Sie stehen auf der Seite der Ukraine, Kiew aber distanzierte sich offiziell von der Attacke. Es handle sich um eine „interne Krise in Russland“, hieß es. „Kiew hat nichts damit zu tun“, schrieb Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Montag auf Twitter. Es gebe Guerillagruppen in Russland, die aus russischen Bürgern bestünden.

Zerstörtes Wohnzimmer in Belgorod
AP
Zerstörung in Belgorod: Laut Russland vertrieb man die „Terroristen“ nach einem Tag aus dem Gebiet

„Das sind ukrainische Kämpfer. In der Ukraine gibt es von der Abstammung her viele Russen, aber das sind trotzdem ukrainische Kämpfer“, sagte hingegen Peskow. Die „Legion Freiheit Russlands“ teilte im ukrainischen Fernsehen mit, sie wolle eine „entmilitarisierte Zone entlang der Grenze“ schaffen. Die Einheiten riefen die Bevölkerung auf, keinen Widerstand zu leisten. „Wir sind nicht Ihre Feinde.“ Die Freiheit sei nahe, hieß es auf Telegram.

In den vergangenen Monaten gab es wiederholt Berichte über Beschuss auch in russischen Regionen nahe der Grenze. Anfang Mai gab es Gerüchte, die Ukraine könnte Belgorod angreifen, um die Region anschließend gegen ukrainische Gebiete einzutauschen.

Wiederholt Sabotage in Russland

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Region sind seit Monaten im permanenten Alarmmodus. Zahlreiche Evakuierungsanordnungen folgten einander in kurzen Intervallen, im April hatte zudem ein russischer Kampfjet über Belgorod Munition verloren. Wiederholt gab es Explosionen und laut russischen Angaben auch tote Zivilisten.

Kämpfe in ukrainischer Grenzregion

Die Lage in der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine ist weiter unklar. Ukrainische Nationalisten, die von Russland für den Angriff auf russisches Gebiet verantwortlich gemacht werden, seien zurück auf ukrainisches Gebiet gedrängt worden, teilte das russische Verteidigungsministerium heute mit. Mehr als 70 Angreifer seien getötet worden.

Auch anderswo in Russland gab es wiederholt Sabotageakte, etwa auf Munitionsdepots und Bahnknotenpunkte. Der letzte aufsehenerregende Fall ereignete sich erst im März, als in der Region Brjansk kurzzeitig mehrere öffentliche Gebäude erobert wurden. Auch damals war das als rechtsextrem geltende „Russische Freiwilligenkorps“ involviert.

Einfluss begrenzt

Die „Legion Freies Russland“ hingegen war an den Kämpfen in Bachmut beteiligt. Gegenüber der „New York Times“ („NYT“) gaben einige ihrer Kämpfer die Gründe an, gegen die eigenen Landsmänner zu den Waffen zu greifen. Dabei handle es sich etwa um moralische Empörung über die Invasion, der Wunsch, die Wahlheimat Ukraine zu verteidigen oder eine Abneigung gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Kämpfer hätten inzwischen das Vertrauen der ukrainischen Kommandeure errungen, um gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, so die Zeitung.

Klar scheint allerdings auch, dass deren Einfluss begrenzt ist. Es gebe überhaupt keine Belege dafür, dass solche Gruppen in Russland breite Anziehungskraft hätten, so Michael Colborne von der Rechercheplattform Bellingcat zur „New York Times“. Die Mitgliederzahlen bewegten sich in den Hunderten. Die Unterstützung der Russinnen und Russen für den Kurs des Kreml werde dadurch nicht beeinträchtigt. Das Eindringen in russisches Territorium aber ist ein Propagandaerfolg nach der Niederlage in Bachmut. Russland konnte seine eigene Grenze nicht schützen.