Menschen in Südafrika lesen ein Buch mit einer Kerze
Reutrs/Siphiwe Sibeko
Südafrika

Stromkrise als Symbol des Scheiterns

Die Nachfrage nach Strom übersteigt in Südafrika bei Weitem das Angebot. Damit das Netz nicht zusammenbricht, wird jeden Tag für viele Stunden der Strom abgestellt. Dieses „Load-Shedding“ wird sich in den kommenden Wintermonaten noch verstärken – und damit die Nöte der Menschen und der Wirtschaft. Die Ursachen liegen in Korruption auf höchster Ebene, Missmanagement und Sabotage.

Offiziellen Angaben zufolge hat das „Load-Shedding“ im vergangenen Jahr mehr als 650.000 Jobs vernichtet und verursacht tägliche Verluste von umgerechnet bis zu 50 Millionen Euro. Die südafrikanische Zentralbank hat die Wachstumsprognose für heuer wegen der Stromausfälle von 1,1 Prozent auf 0,3 Prozent gesenkt.

In diesem Winter muss Südafrikas staatlicher Stromversorger Eskom die Abschaltungen wohl auf ein noch nie dagewesenes Niveau erhöhen, warnte jüngst ein leitender Angestellter des Unternehmens. Wurde bisher auf einer achtstufigen Skala nie die Stufe sechs überschritten, droht nun Stufe acht – das Land hätte dann nur mehr die Hälfte der Zeit Strom.

Mutter und Kind erledigen zusammen Schularbeiten bei Kerzenschein
APA/AFP/Shiraaz Mohamed
Mit Kerzenlicht müssen sich Millionen Menschen in Südafrika begnügen – Besserung ist nicht in Sicht

Katastrophenfall und neuer Minister

In Südafrika kommt es schon seit 15 Jahren immer wieder zu großflächigen Stromausfällen. Das Land mit seinen 60 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist reich an Kohlevorkommen und stützt sich bei der Energiegewinnung weiter zu knapp 80 Prozent auf seine veralteten und schlecht gewarteten Kohlekraftwerke, die zunehmend störanfällig sind.

Anfang Februar hatte Präsident Cyril Ramaphosa wegen der Stromkrise den Katastrophenfall ausgerufen, um zusätzliche finanzielle Budgetmittel freisetzen zu können. Im März ernannte Ramaphosa einen eigenen Elektrizitätsminister und versprach: „Dieser Minister wird so lange im Amt bleiben, wie es nötig ist, um die Energiekrise zu lösen.“

Beruhigung brachte der Schritt nicht, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) schrieb: „Wir brauchen keinen Minister für Elektrizität. Am Ende haben wir auch noch einen Minister für Schlaglöcher, einen Mi­nister für Latrinen“, sagte Velenkosini Hlabisa, Chef der Inkatha Freedom Party (IFP). Eskom ist dem Ministerium für Öffentliche Unternehmen un­terstellt. Zusätzlich gibt es ein eigenes Ministerium für Energie und Bergbau.

Südafrikanischer Präsident Cyril Ramaphosa
Reuters/Esa Alexander
Die Erwartung an Präsident Ramaphosa war groß – die Enttäuschung ist es ebenso

Vergangenheitsbewältigung ohne Vision

Eskom hat in Südafrika eine quasimonopolistische Stellung inne, rund 95 Prozent der Energie kommen aus den Kraftwerken des Unternehmens. Bis in die 1990er Jahre hinein florierte das Geschäft, doch ab der Jahrtausendwende versackte Eskom immer tiefer in Schulden und wäre ohne staatliche Rettungsschirme bankrott.

Nach dem Machtantritt des African National Congress (ANC) 1994 hatte die ehemalige Anti-Apartheid-Bewegung die Elektrifizierung der schwarzen Townships vorangetrieben: Inzwischen sind über 90 Prozent der südafrikanischen Haushalte ans Stromnetz angeschlossen.

Allerdings vergaß die Regierungspartei, den gestiegenen Verbrauch auch zu sichern. Ein spätes Gegensteuern der Regierung mit den neuen Kraftwerken Kusile und Medupi im Nordosten des Landes brachte keine Erleichterung. Die Kraftwerke waren zu teuer, zu spät fertig und keineswegs so leistungsfähig wie erwartet.

Blick auf Kohlenkraftwerk Kusile in Südafrika
Reuters
Neuere Kraftwerke wie Kusile brachten keine Linderung der Krise

Nahe am „gescheiterten Staat“

Die Wurzel des Problems liege bei der Regierung, zitierte der deutsche „Tagesspiegel“ Energieexpertin Lungile Mashele, die 15 Jahre lang für verschiedene Unternehmen im afrikanischen Energiesektor arbeitete. „Wir haben in Südafrika keine Energiekrise – wir haben eine politische Krise“, sagte Mashele. Die Regierung habe zwar enormen Einfluss auf Eskom, bestimme etwa die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer mit, verschleppe aber wichtige politische Beschlüsse, bereichere sich am Geschäft und greife in entscheidenden Situationen nicht ein.

Einige Städte und Bezirke würden seit Jahren ihre Rechnungen bei Eskom nicht bezahlen, etwa das Township Soweto in Johannesburg. „Die Regierung greift aber aus Eigeninteresse nicht ein, weil in Soweto ihre Wählerbasis sitzt.“ „Der ANC ist auf allen Ebenen involviert. Er ist so tief verstrickt, dass er nicht weiß, wie er sich daraus befreien soll. Sie treiben uns in die schreckliche Lage eines ‚gescheiterten Staates‘“, sagte der südafrikanische politische Kommentator und Autor Justice Malala jüngst der BBC.

Protest in Pretoria
Reuters/Alet Pretorius
Die Wut in der Bevölkerung wächst – nicht nur aufgrund des „Load-Shedding“

Plünderung von höchster Ebene

Einen Höhepunkt der Korruption erreichte Südafrika unter Präsident Jacob Zuma (2009–2018). Von „state capture“, der Ausplünderung des Staats durch eine Clique rund um den Präsidenten und seine Freunde, war die Rede – eines der lukrativsten Ziele war damals Eskom. Nach Ende seiner Amtszeit wurde Zuma in 16 Punkten wegen Betrugs, Korruption und Erpressung angeklagt.

Zumas Nachfolger Ramaphosa hatte 2018 noch ein großes Versprechen abgegeben: „Ich werde sehr hart dafür arbeiten, das südafrikanische Volk nicht zu enttäuschen.“ Die Korruption sollte beseitigt werden. Vier Jahre später entging der 70-Jährige nun knapp einem Amtsenthebungsverfahren, zudem sieht er sich mit einer zunehmenden Spaltung seiner Partei konfrontiert.

Gwede Mantashe
Reuters/Shelley Christians
Gwede Mantashe

„Sucht man nach einem Politiker, der die aktuellen Kämpfe und Widersprüche des ANC – der ehemaligen Befreiungsbewegung, die einst von Nelson Mandela angeführt wurde – verkörpert, werden viele Gwede Mantashe nennen“, schrieb die BBC. Der 67-Jährige ist ein ehemaliger Bergarbeiter und Gewerkschaftsfunktionär und war einst Führer der Kommunistischen Partei Südafrikas. Als Generalsekretär des ANC schützte er jahrelang Zuma vor Korruptionsermittlungen, ehe er den Mann unterstützte, der ihn 2018 absetzte – Ramaphosa. Der Präsident ernannte Mantashe daraufhin zum Energieminister, den Posten hat er trotz aller Missstände immer noch inne. „Ramaphosa wird inzwischen das Rückgrat eines Regenwurms nachgesagt“, schrieb der „Standard“.

Ein Widersacher Mantashes, zugleich ein Sinnbild des staatlichen Scheiterns, ist Andre de Ruyter, ein weißer Manager aus der Privatwirtschaft, der im Dezember 2019 den Chefsessel bei Eskom übernommen hatte. Er versuchte die maroden Kraftwerke zu sanieren und setzte dabei weiter auf Unterbrechungen in der Stromversorgung. Mantashe warf de Ruyter daraufhin vor, an einem Staatsumsturz mitzuwirken. Er drossele absichtlich die Stromproduktion, um die Südafrikanerinnen und Südafrikaner gegen den ANC aufzuhetzen, behauptete Mantashe.

„Mafia“ unterhöhlt Staatskonzerne

Als der Präsident ihn angesichts der Anschuldigungen nicht in Schutz nahm, trat de Ruyter zurück. Im Dezember 2022 wurde der Manager nach eigenen Angaben außerdem Opfer eines Giftanschlags. In der Konzernzentrale sei ihm mit Kaliumcyanid vergifteter Kaffee serviert worden – mehrere Ärzte hätten eine Vergiftung bestätigt.

De Ruyter hatte mehrfach Sabotage, kriminelle Aktivitäten im Konzern und fehlende politische Unterstützung beklagt. Gegenüber dem Fernsehsender eNCA sagte de Ruyter, es gebe Anzeichen dafür, dass einige ANC-Mitglieder Eskom als „Futtertrog“ betrachteten. „Nicht Millionen, sondern mindestens eine Milliarde Rand“ (50 Millionen Euro) würden „jeden Monat gestohlen“. In dem Interview und in einem kürzlich erschienenen Buch zeichnete er ein Bild von „Mafia“-Banden mit Dutzenden von gut ausgebildeten „Soldaten“, die bereit wären, jeden zu töten, der die Kohleindustrie säubern und auf erneuerbare Energien umstellen wolle.