Militärfahrzeug in Belgorod
Reuters/Telegram/Governor of Belgorod Region
Angriffe in Belgorod

Schoigu kündigt „harte Reaktion“ an

Die an die Ukraine grenzende russische Region Belgorod ist in der Nacht auf Mittwoch nach Angaben der Behörden erneut von Angriffen getroffen worden. Es habe „zahlreiche“ Drohnenangriffe gegeben, erklärte Regionalgouverneur Wjatscheslaw Gladkow im Onlinedienst Telegram. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte für den Fall erneuter Angriffe eine harte Reaktion an.

Schoigu bekräftigte am Mittwoch Angaben vom Vortag, dass das Militär nach dem Angriff „mehr als 70 ukrainische Terroristen“ getötet habe. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Schoigu erklärte dem Verteidigungsministerium zufolge vor Offizieren, Russland werde weiterhin „schnell und extrem hart auf solche Aktionen ukrainischer Kämpfer“ reagieren.

Gladkow sagte via Telegram, die Luftabwehr habe „einen Großteil“ abgewehrt, dennoch hätten die Angriffe Schäden an Fahrzeugen, Häusern und öffentlicher Infrastruktur verursacht. Menschen seien nicht zu Schaden gekommen, so Gladkow weiter. Dem Gouverneur zufolge wurden durch die Angriffe in der Nacht auf Mittwoch mehrere Wohnhäuser, Bürokomplexe und Fahrzeuge beschädigt, der genaue Umfang der Schäden werde noch ermittelt. Zudem sei eine Gaspipeline im Bezirk Graiworon beschädigt und ein Feuer ausgelöst worden.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu
Reuters/Russisches Verteidigungsministerinm
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu

Moskau: Beschuss und Explosionen

Nach russischer Darstellung waren am Montag Bewaffnete mit gepanzerten Fahrzeugen aus der Ukraine kommend in die russische Grenzregion Belgorod eingedrungen, wo es Beschuss und Explosionen gab. Die russische Seite sprach von einem Toten und 13 Verletzten.

Seit Beginn der russischen Offensive in der Ukraine war die Grenzregion schon wiederholt beschossen und waren Dutzende Menschen getötet worden. Bei dem nun erfolgten Angriff handelte es sich aber um den schwerwiegendsten Vorfall dieser Art auf russischem Staatsgebiet seit Februar 2022.

Die Hintergründe blieben weiterhin unklar. Zu dem Angriff hatten sich zwei russische, gegen Präsidenten Wladimir Putin gerichtete Gruppen bekannt – die Miliz „Freiheit für Russland“ und das „Russische Freiwilligenkorps“.

Zerstörtes Haus in Belgorod
Reuters/Telegram/Governor of Belgorod Region
Ein zerstörtes Haus in Belgorod

Ukraine: Innerrussische Krise

Moskau beschuldigt Kiew, den Überfall geplant zu haben, um von der angeblichen Niederlage im ostukrainischen Bachmut abzulenken. Die Ukraine weist jede Verantwortung zurück, Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar hatte am Dienstag von einer „innerrussischen Krise“ gesprochen. Es handle sich um eine „interne Krise in Russland“, hieß es. „Kiew hat nichts damit zu tun“, schrieb Präsidentenberater Mychailo Podoljak bereits am Montag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Es gebe Guerillagruppen in Russland, die aus russischen Bürgern bestünden.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte am Mittwoch erneut, Moskau sei durch das Geschehen in Belgorod nicht beunruhigt. Soldaten, Grenzschützer und „zuständige Dienste“ machten ihre Arbeit, sagte Peskow vor Journalisten. Bereits am Dienstag bezeichnete er die Angriffe durch „ukrainische Kämpfer“ als Grund für eine Fortführung des Krieges gegen die Ukraine.

Die Gefechte auf eigenem Staatsgebiet werden als Rückschlag für Russland gewertet, dessen Armee derzeit in der Ukraine kaum mehr voranzukommen scheint – während die Ukraine sich Angaben aus Kiew zufolge auf eine Offensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete vorbereitet.

Zerstörtes Wohnzimmer in Belgorod
AP
Zerstörung in Belgorod

„Anti-Terror-Operation“ in Belgorod beendet

Vorübergehend war auch ein Anti-Terror-Einsatz in Belgorod angeordnet worden, erstmals seit Beginn des russischen Überfalls im Februar 2022. Ähnliche Regeln waren etwa im Jahr 1999 im Verlauf des militärischen Vorgehens Russlands in Tschetschenien eingeführt worden, Polizei und Armee erhalten dadurch zusätzliche Befugnisse. Das russische staatliche Ermittlungskomitee leitete zudem ein Strafverfahren wegen Terrorismus ein. Der rechtliche Zustand der „Anti-Terror-Operation“ sei beendet, teilte Gladkow am Mittwoch mit.

Mehr als 70 ukrainische Terroristen seien getötet sowie vier gepanzerte Fahrzeuge und fünf Geländewagen zerstört worden, sagte Militärsprecher Igor Konaschenko. Die Armee ging dabei den Angaben zufolge mit Luftangriffen und Artilleriefeuer vor. In einem Video zeigte das Verteidigungsministerium mutmaßliche Schläge aus der Luft gegen die Angreifer.

Zu eigenen Verlusten machte Moskau keine Angaben. Laut Konaschenkow hatten sich einige Angreifer auf ukrainisches Territorium zurückgezogen. Sie seien aber bis zur völligen Liquidierung bekämpft worden. Die am Montag verübte Attacke auf die Region Belgorod sei die „Antwort des Kiewer Regimes auf die Niederlage in Artjomowsk“, behauptete der General. In Moskau wird die ukrainische Stadt Bachmut nach ihrem vorherigen Namen Artjomowsk genannt.

Weitere Angriffe angekündigt

Unterdessen kündigte der Anführer der russischen Miliz neue Vorstöße an. „Ich denke, Sie werden uns wieder auf der anderen Seite sehen“, sagte Denis Kapustin, Kommandeur des Russischen Freiwilligenkorps (RVC), am Mittwoch vor Reporterinnen und Reportern auf der ukrainischen Seite der Grenze. Er stellte sich mit seinem Rufnamen „White Rex“ vor.

„Ich kann die bevorstehenden Dinge nicht verraten, ich kann nicht einmal die Richtung verraten.“ Die russisch-ukrainische Grenze sei ziemlich lang. „Es wird wieder einen Ort geben, an dem es heiß hergeht.“ Der RVC hat die jüngsten Angriffe auf Ziele in Bolgorod für sich reklamiert.

Wiederholt Sabotage in Russland

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Region sind seit Monaten im permanenten Alarmmodus. Zahlreiche Evakuierungsanordnungen folgten einander in kurzen Intervallen, im April hatte zudem ein russischer Kampfjet über Belgorod Munition verloren. Wiederholt gab es Explosionen und laut russischen Angaben auch tote Zivilisten.

Auch anderswo in Russland gab es wiederholt Sabotageakte, etwa auf Munitionsdepots und Bahnknotenpunkte. Der letzte aufsehenerregende Fall ereignete sich erst im März, als in der Region Brjansk kurzzeitig mehrere öffentliche Gebäude erobert wurden. Auch damals war das als rechtsextrem geltende „Russische Freiwilligenkorps“ involviert.

Einfluss begrenzt

Die „Legion Freies Russland“ hingegen war an den Kämpfen in Bachmut beteiligt. Gegenüber der „New York Times“ („NYT“) gaben einige ihrer Kämpfer die Gründe dafür an, gegen die eigenen Landsmänner zu den Waffen zu greifen. Dabei handle es sich etwa um moralische Empörung über die Invasion, den Wunsch, die Wahlheimat Ukraine zu verteidigen, und eine Abneigung gegen den russischen Präsidenten Putin. Die Kämpfer hätten inzwischen das Vertrauen der ukrainischen Kommandeure errungen, um gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, so die Zeitung.

Klar scheint allerdings auch, dass deren Einfluss begrenzt ist. Es gebe überhaupt keine Belege dafür, dass solche Gruppen in Russland breite Anziehungskraft hätten, so Michael Colborne von der Rechercheplattform Bellingcat gegenüber der „New York Times“. Die Mitgliederzahlen bewegten sich in den Hunderten. Die Unterstützung der Russinnen und Russen für den Kurs des Kreml werde dadurch nicht beeinträchtigt. Das Eindringen in russisches Territorium aber ist ein Propagandaerfolg nach der Niederlage in Bachmut. Russland konnte seine eigene Grenze nicht schützen.