EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola
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EU-Parlamentschefin

„Wir können Europa verbessern“

Zum ersten Mal überhaupt hat sich am Donnerstag eine EU-Parlamentspräsidentin an die Abgeordneten des Nationalrats gewandt. Roberta Metsola sprach in ihrer Erklärung im Hohen Haus von einer „Ära der multiplen Krisen“ und von einem „selbstbewussten Europa“. Man müsse künftig aber noch besser werden – „besser erklären und besser zuhören“.

„Unsere Union ist nicht perfekt. Ich verstehe den Frust vieler. Aber wir können Europa verbessern. Es ist die Zeit wert, es ist den Frust wert“, sagte Metsola im Plenarsaal des Parlaments. Es sei wichtig, dass sich die Europäische Union besser erklärt, aber auch besser zuhört. Die „Decke der Nostalgie“ sei zwar schön, aber man müsse auch nach vorne schauen. Angesichts der multiplen Krisen sei das essenzieller als je zuvor. „Wir können uns verändern, wir können uns erneuern, während wir weiter auf die Grundlagen des europäischen Projekts setzen.“

Metsola sprach den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an. „Der Überfall ist eine existenzielle Bedrohung für unsere Region. Unsere Reaktion muss angemessen und überlegt sein“, sagte sie. Es sei eine Grenze überschritten worden, und die Europäische Union könne nur durch Einigkeit darauf reagieren. Es gebe vieles zu tun, was die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik betrifft, so die Parlamentspräsidentin.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola
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Metsola sprach zu den Abgeordneten, anwesend waren auch Regierungsmitglieder

Auch andere Krisen und Herausforderungen waren Themen in ihrer Erklärung. Die hohe Inflation sei ein großes Problem für viele Menschen, die mit ihrem Einkommen nicht mehr über die Runden kommen, sagte sie. Die Folgen der Klimakrise könne man nicht ignorieren, und: Die Erholung der Wirtschaft nach der Coronavirus-Pandemie stehe noch auf schwachen Beinen. „Die Herausforderungen werden uns noch lange beschäftigen“, so Metsola.

Leichtfried: „Nicht Recht des Stärkeren“

Für den stellvertretenden Klubchef der SPÖ, Jörg Leichtfried, sei bewiesen, dass ein geeintes Europa etwas bewegen könne: „In Europa gibt es das Prinzip: nicht das Recht des Stärkeren sondern die Stärke des Rechts.“ NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger meinte, es werde im Ukraine-Krieg einen langen Atem brauchen: „Unser Lebensmodell steht am Spiel.“ Europa müsse dieses gegen Autokratismus und Faschismus bekämpfen – „as long as it takes“.

FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst warf der Union vor, „die Bastion des Friedens“ niedergerissen zu haben. Die EU habe ihr Gewicht nicht genutzt, die Situation zu entschärfen, sondern etwa mit dem Beitrittsstatus an der Eskalationsschraube gedreht. Die grüne Vizeklubobfrau Meri Disoski hatte mit Fürsts Rede einen Beitrag von „Radio Moskau“ gehört und blickte schon besorgt in Richtung Europawahl im kommenden Jahr

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bei einer Rede im Parlament in Wien
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Metsola lobte die Renovierung des Parlaments und sah das als Symbol für mehr Offenheit

Metsola forderte indes auch in Migrationsfragen „einen umfassenden paneuropäischen Ansatz“. Das Europäische Parlament habe einen schwierigen Weg bei der europäischen Asylreform aufgezeigt, der Grenzen schütze und zugleich Bedürftigen Schutz biete und mit aller Härte gegen Schlepper vorgehe. Während sich der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka, in Sachen Ukraine ganz hinter die Linie der Union gestellt hatte, übte er in der Migrationsfrage indirekt Kritik. Österreich sei in der EU ein verlässlicher Partner, werde sich aber bei Fehlentwicklungen wie beim Migrationsthema zu Wort melden.

Seit mehr als einem Jahr im Amt

Metsola, die Europäisches Recht studierte, sitzt seit 2013 im EU-Parlament, seit November 2020 war sie dessen erste Vizepräsidentin. Im Jänner 2022 wurde sie zur Parlamentspräsidentin gewählt. Sie folgte auf den unerwartet verstorbenen Sozialdemokraten David Sassoli. Die Christdemokratin ist die dritte Frau in dem prestigeträchtigen Amt.

Einen Namen machte sie sich als Verfechterin des Rechtsstaats und als Kämpferin gegen Korruption. So forderte Metsola im Umgang mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban eine klare Linie ihrer Parteienfamilie. Zuletzt schlüpfte sie wegen der Korruptionsvorwürfe rund um das EU-Parlament in die Rolle der Krisenmanagerin.

Selten genutztes Recht

Dass Metsola überhaupt im Parlament eine Rede halten durfte, geht auf eine Änderung der Geschäftsordnung zurück. Das Rederecht im Hohen Haus ist streng geregelt. Für Gäste heißt es oft: Bitte nicht stören. Seit 2015 kann der Präsident des Nationalrats nach Beratung in der Präsidialkonferenz „herausragende Persönlichkeiten der europäischen und internationalen Politik einladen, in einer Sitzung des Nationalrates eine Erklärung zu einem bestimmten Thema abzugeben“.

Erklärung von Roberta Metsola

Die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, hat sich am Donnerstag an die Abgeordneten des Nationalrats gewandt. Metsola ging auf aktuelle Krisen und die Rolle der EU ein.

Von diesem Recht wurde bisher aber äußerst selten Gebrauch gemacht. Metsola ist nach dem ehemaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und der Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Liliane Maury Pasquier, die dritte „herausragende Persönlichkeit“, die vor den Abgeordneten eine Erklärung abgab.

Die Anfang März stattgefundene Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beruhte nicht auf diesem Gesetz. Selenskyj sprach nämlich im Rahmen einer Veranstaltung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) vor der eigentlichen Nationalratssitzung. Damit sparte man quasi die Beratung in der Präsidiale, in der alle Klubs sitzen, aus.