Bruno Kreisky am Verbandstag 1968 des Österreichischen Arbeitsbauernbund in Eisenstadt
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SPÖ-Parteitag 1967

Vor der Ruhe war der Sturm

Der anstehende SPÖ-Parteitag Anfang Juni wird gern mit der Kampfabstimmung der Bundespartei 1967 verglichen. Tatsächlich gibt es starke Parallelen, doch auch deutliche Unterschiede, wie etwa auch Bruno Kreiskys früherer Berater, Wolfgang Petritsch, gegenüber ORF.at meint. So waren es vor allem die Lager, die einander unerbittlich gegenüberstanden, nicht so sehr die Kontrahenten Kreisky und Hans Czettel selbst.

Knappe 43 Prozent hatte das Ergebnis der Nationalratswahl 1966 gelautet – damals ein Grund für die SPÖ, als großer Wahlverlierer vom Platz zu gehen. Die ÖVP hatte nach Kriegsende zum zweiten Mal die absolute Mandatsmehrheit errungen. Diese Wahl, die gerade zurückliegende „Olah-Krise“ und schwere Verwerfungen innerhalb der Partei wurden zum Anlass für eine Neuaufstellung. Doch an die Spitze wollte sich keiner stellen.

Die Zahl der angesichts der Parteikrise kompromissfähigen Kandidaten war überschaubar, einzig Karl Waldbrunner, damals Zweiter Nationalratspräsident, wäre im Sinne des Hausfriedens infrage gekommen. Doch er winkte aus gesundheitlichen Gründen ab. Übrig blieb die ratlose Partei, deren Spaltung sich noch lange hätte ziehen können.

Die regelrecht verfeindeten Lager stellten jeweils eigene Kandidaten auf: Die Wiener Landespartei und die Gewerkschaft setzten auf den früheren Innenminister Czettel, die Steiermark, später auch Kärnten und Oberösterreich bevorzugten Ex-Außenminister Kreisky. Bruno Pittermann, der scheidende Parteichef, wollte Kreisky ebenso verhindern wie der mächtige Gewerkschaftschef Anton Benya.

Kreisky sah sich als „gute Nummer zwei“

Kreiskys späterer Berater Petritsch, 1967 gerade 19 Jahre alt und zehn Jahre später Sprecher des Kanzlers, erinnerte sich im Gespräch mit ORF.at: Als Außenminister habe sich Kreisky als „gute Nummer zwei“ gesehen, so der Diplomat. In den Jahren 1966 und 1967 habe sich aber immer stärker herauskristallisiert, dass er auch an der Spitze der Partei stehen kann.

Kreisky nach dem Parteitag 1967

Der frisch gewählte SPÖ-Chef versuchte gleich nach seiner Kür, im Gespräch mit dem ORF die Wogen zu glätten.

Selbst habe Kreisky damit aber nicht gerechnet, so Petritsch. Viele Personen in- und außerhalb der Partei hätten ihn überredet, anzutreten. Auch weil sich zu dieser Zeit viele gesellschaftliche Umbrüche zusammengebraut haben, sei Kreisky mit seinem „Weitblick“ schon als „Kandidat der Zukunft und der Öffnung“ wahrgenommen worden. „Er war ganz sicher nicht der Kandidat des Establishments“, so Petritsch, der damit allen voran die Gewerkschaft und die Wiener Landesorganisation meint.

Czettel, der widerwillige Kandidat

Auch Czettel war wenig begeistert, als man an ihn mit der Bitte um seine Kandidatur herantrat. Der gelernte Schlosser, ehemalige Gemeinderat und einst jüngste Nationalratsabgeordnete war trotz seiner Vergangenheit in der Hitlerjugend eingefleischter Sozialdemokrat. Czettel wurde 1964 Innenminister und trat damit die Nachfolge des skandalträchtigen Franz Olah an. Die Personalie sollte schon damals die Partei wieder befrieden, nachdem Olahs Parteiausschluss mit folgenden Gegendemonstrationen der Gewerkschaft die SPÖ fast an den Rand der Spaltung gebracht hatte.

Versammlung der SPÖ unter Kreisky
ORF
Kreisky gewann die Kampfabstimmung im Parteivorstand, am Parteitag am 1. Februar erhielt er knapp 70 Prozent der Stimmen.

Parteichef aber wollte er nicht werden. Von Kreisky-Gegner Pittermann widerwillig als Nachfolger nominiert, sagte Czettel am Parteitag am 1. Februar 1967 in der Wiener Stadthalle, er sei wegen der festgefahrenen Situation gefragt worden, ob er sich aufstellen lasse.

Die „Olah-Krise“

Vorwürfe gegen Innenminister und ÖGB-Chef Franz Olah sorgten für schwere Turbulenzen in der SPÖ. Olah hatte 1959 der „Kronen Zeitung“ Gewerkschaftsgelder zukommen lassen, später organisierte er Geld für die FPÖ, wohl um eine Weichenstellung in Richtung Koalition vorzunehmen. Er wurde auch verdächtigt, Geheimakten über politische Gegner angelegt zu haben. 1964 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.

„Ich habe darauf geantwortet, dass ich bis jetzt jeden, der mich für diese Funktion in Erwägung stellte, ersucht habe, von derartigen Vorschlägen Abstand zu nehmen. Selbstverständlich stehe ich noch immer auf diesem Standpunkt. Sollte aber in einer besonders kritischen Situation unserer Partei der Parteitag aufgrund eines Antrages des neugewählten Parteivorstandes eine derartige Entscheidung treffen, so werde ich dasselbe tun, was jeder ernstdenkende Funktionär in dieser Situation tun müsste, nämlich eine solche Berufung nicht ablehnen“, so Czettel.

Er wolle das aber keinesfalls als Gegenkandidatur zu Kreisky verstanden wissen. „Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich weder eine politische noch eine persönliche Ursache habe, in dieser letzten Phase als ein Gegenkandidat des Genossen Kreisky gewertet zu werden.“ Bereits vor dem eigentlichen Parteitag erhielt Kreisky im Parteivorstand 33 Stimmen, Czettel nur 19, womit es formal nur einen Kandidaten gab.

Brandreden und schlechtes Ergebnis

Am 1. Februar 1967 kam es dennoch zu erbitterten Rededuellen zwischen den Parteiflügeln, mit Brandreden für und hauptsächlich wider die gegnerischen Kandidaten. Gerade Benya wetterte leidenschaftlich gegen Kreisky, der so ziemlich alles vertrete, wogegen die SPÖ sei. Er unterstellte Kreisky auch diverse Querschüsse und Intrigen.

Doch Kreiskys Anhänger waren stärker, bei der Abstimmung der beiden Lager setzte er sich als einziger Kandidat mit dem wenig berauschenden Ergebnis von 69,8 Prozent durch. Zum Vergleich: 2021 schaffte Pamela Rendi-Wagner 75,3 Prozent der Delegiertenstimmen, ein Ergebnis, das damals als historisch schlecht bezeichnet wurde.

Klare Aufgabe

Kreisky und Czettel wussten, was nun zu tun war. Sie machten sich sofort daran, die Gräben in der Partei zuzuschütten. Kreisky besetzte wichtige Positionen mit Vertretern aller Flügel, Czettel wurde 1966 stellvertretender Klubchef im Nationalrat und stellte sich solidarisch hinter Kreisky. Ein Jahr nach dem Parteitag gaben sie gemeinsam mit Ex-Verkehrsminister Otto Probst dem ORF ein langes Interview, das die Einigkeit der erneuerten SPÖ verdeutlichen sollte.

Interview mit Probst, Kreisky und Czettel

Ein Jahr nach dem konfrontativen Parteitag gaben Kreisky und Czettel zusammen mit Otto Probst, zuvor Verkehrsminister, ein ausführliches Interview. Das Gespräch führten für den ORF Alfons Dalma, Franz Kreuzer und Hellmuth Bock.

Ein besonderes Anliegen Kreiskys sei es gewesen, sich mit Benya auszusöhnen, so Petritsch. Auch wenn Benya sein ganzes Leben ein Kreisky-Skeptiker geblieben sei, so hätten die beiden Antipoden einander ergänzt. „Kreisky wusste, er muss sich um Benya bemühen, um die Partei zu einen“, sagte der frühere Kanzlersprecher. Wenn der langjährige ÖGB-Funktionär ins Büro von Kreisky kam, stand der SPÖ-Chef auf und ging auf ihn zu. „Das ist bei Kreisky besonders gewesen. Weil bei den anderen hat er gesagt: ‚Komm rein, setz dich hin.’“

Filzmaier: Kampfabstimmung „schlicht Demokratie“

Die Kampfabstimmung damals und die nun anstehende könne man durchaus vergleichen, so der Politologe Peter Filzmaier zu ORF.at. „Ich halte das Wort Kampfabstimmung, das sich die Parteien selbst eingehandelt haben, an sich für problematisch. Ein anderes Wort wäre schlicht Demokratie“, so Filzmaier. Auch 1967 seien die Wiener SPÖ sowie große Teile der Gewerkschaft anderen Bundesländern entgegengestanden. Damals habe es ebenfalls die Hoffnung auf eine klare Entscheidung gegeben. Doch habe Kreisky danach auch genügend Zeit gehabt, um die Partei wieder zu versöhnen. Zudem sei die Vorgeschichte nicht ganz so konfliktträchtig gewesen wie die Situation in der SPÖ heute.

Bruno Kreisky beim Sitzen
ORF
Kreisky am Parteitag: Der Anfang des „Sonnenkanzlers“

Unerwarteter Durchmarsch

Auch Petritsch sieht starke Parallelen. 1967 sei es auch vorrangig darum gegangen, die Partei zu einen. Gleichzeitig warnte der Ex-Diplomat aber davor, Vergangenheit und Gegenwart zu sehr zu vergleichen. Damals seien die Zuordnungen leichter gewesen, die Globalisierung habe keine starke Rolle gespielt, und beide Großparteien hätten sich in Richtung absolute Mehrheit orientiert. „Die Ausgangslage ist heute eine andere als damals.“

Der Parteiapparat sei damals „zwar verknöchert, aber solide“ gewesen. Bei der Abstimmung 1967 stellte sich dann die Frage: Welcher Bewerber um den Vorsitz hat das Potenzial, als künftiger Spitzenkandidat Wahlen zu gewinnen? Für viele sei klar gewesen, dass das nur mit Kreisky der Fall war. Als dieser die Abstimmung dann gewann, habe er gleich gesagt, die SPÖ werde noch zwei Perioden brauchen, um aus der Rolle der Opposition an die Spitze der Regierung zu kommen.

„Das hat sich letztlich als positiver Irrtum herausgestellt“, so Petritsch. Mit Kreisky gewann die SPÖ 1970 die Nationalratswahl, die SPÖ wagte mit Unterstützung der FPÖ eine Minderheitsregierung. Bei den folgenden drei Wahlen errang sie die absolute Mehrheit.