Ein Löschflugzeug im Einsatz in Nordportugal im Juli 2022
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Katastrophen

EU stockt Einsatzreserven auf

Naturkatastrophen sind in den letzten Jahren im Zuge der Klimakrise häufiger geworden, ihre Folgen oft schwerwiegender. Die EU will sich mit dieser, wie es heißt, neuen Realität nicht abfinden, sondern möglichst gut vorbereitet sein. Die Einsatzinfrastruktur für Katastrophen wurde personell und technisch ausgebaut.

Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarcic, nannte die Entwicklung „unumkehrbar“ sowie das „new normal“ und den Klimawandel eine wachsende Herausforderung für den Katastrophenschutz. „Wir können es nicht mehr abwenden, dass es immer schlimmer wird. Aber wir können uns darauf vorbereiten.“ Für heuer hat die EU etwa die Einsatzreserve zur Bekämpfung von Waldbränden aus der Luft mehr als verdoppelt.

Im vergangenen Sommer hatte die Union 13 Flugzeuge und Hubschrauber als strategische Reserve zur Verfügung. Der Sommer 2022 war der heißeste in Europa seit den Aufzeichnungen und jener mit der bisher zweitgrößten Zahl von Waldbränden. „Die Zeit der Waldbrände beginnt immer früher und dauert länger“, sagte der 55-jährige slowenische Politiker im Gespräch mit dem European Newsroom (ENR) in Brüssel.

Waldbrandgefahr besonders hoch eingeschätzt

Durch die lange Trockenheit in Teilen Europas im Frühjahr wird die Waldbrandgefahr heuer als besonders hoch eingeschätzt. Die EU hat sich dafür gerüstet, es stehen für den Sommer in den Mitgliedsstaaten 28 Flugzeuge und Hubschrauber zur Wasseraufnahme bei der Bekämpfung von Flächenbränden auf Abruf bereit – als dritte Welle, wenn die Brandbekämpfung des betroffenen Landes an seine Grenzen stößt und auch die Hilfe von Nachbarstaaten erschöpft ist.

Feuerwehrleute in Spanien beim Kampf gegen die Flammen in einem Weizenfeld in Tabara (Zamora) im Juli 2022
Reuters/Isabel Infantes
EU-Katastrophenschutz will auf die Waldbrandsaison in Risikogebieten vorbereitet sein

In den Katastrophenschutzmechanismus sind die EU-Mitgliedsländer sowie neun weitere Staaten eingebunden. Hilfsansuchen können von jedem Land der Erde oder von UNO-Organisationen gestellt werden. Wie hoch die Solidarität in der Katastrophenhilfe ist, schilderte Lenarcic anhand zweier Beispiele: Auch die vom russischen Angriffskrieg schwer getroffene Ukraine habe nach den schweren Erdbeben von Februar Rettungsteams in die Türkei geschickt.

„In solchen Fällen zählt jede Sekunde“

Für die kommende Waldbrandsaison sei die Stationierung von über 400 spezialisierten Feuerwehrleuten aus zehn EU-Staaten in Hochrisikogebieten in Portugal, Frankreich und Griechenland vereinbart. „Es ergibt absolut Sinn, zusätzliche Kräfte bereits an Ort und Stelle zu haben. In solchen Fällen zählt jede Sekunde“, so der slowenische Politiker.

Eine Frau vor ihrem überfluteten Haus in Bologna (Italien)
AP/LaPresse/Guido Calamosca
Beim Hochwasser in Italien vorletzte bzw. letzte Woche trafen schnell internationale Hilfszusagen ein

Koordiniert wird die Hilfe aus dem Kontrollraum des Emergency Response Coordination Centre (ERCC) der EU in Brüssel. Dort wird von einem mehrköpfigen Team die Lage rund um die Uhr beobachtet und im Notfall sofort gehandelt. Bei der jüngsten Flutkatastrophe in Norditalien etwa sei der Hilfsmechanismus von Italien an einem Samstag kurz vor Mitternacht aktiviert worden, so Lenarcic. Innerhalb weniger Stunden habe es neun Hilfsangebote von Mitgliedsländern (darunter Österreich) gegeben. Kurz darauf seien bereits erste Hochleistungspumpen aus Slowenien und der Slowakei dort gewesen.

Mehr als 100 Hilferufe pro Jahr

In der ersten Zeit des Katastrophenschutzmechanismus der EU habe es jährlich rund 20 Aktivierungen des Systems gegeben, mittlerweile sind es über 100 pro Jahr, sagte der verantwortliche Kommissar. So standen etwa 2021 rund 60 Prozent der Hilfsansuchen in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie.

90.000 Tonnen Material für Ukraine

Der Krieg in der Ukraine sorge seit dem russischen Angriff auf das Land für einen Dauereinsatz in der Krisenkoordination. 120-mal habe Kiew um Hilfe ersucht, wobei die Liste der von der Ukraine nachgefragten Dinge von Generatoren bis zu Schulbussen reiche.

Extremwetter

Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen, klar ist laut Weltklimarat aber: Durch die Klimakrise werden Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen, Stürme und Hitze häufiger und intensiver. Das heißt: Niederschläge und Stürme werden stärker, Hitzewellen heißer und Dürren trockener.

90.000 Tonnen Material seien zur Verfügung gestellt worden, so Lenarcic. Man beobachte auch die Lage rund um das AKW Saporischschja genau. Die Hoffnung sei, dass Katastrophen, die wie 1986 in Tschernobyl zum Austritt von Radioaktivität führten, ausblieben. „Aber Hoffnung ist keine gute Vorbereitung auf die Zukunft.“

Das gelte auch für den Klimawandel. Man wisse, dass dieser eine deutliche Zunahme von Hitze- und Trockenperioden, Waldbränden, aber auch Überflutungen bringe. „Wir sind bereits mitten drinnen.“ Dagegen gebe es Maßnahmen zur Vorbereitung, um die Effekte abzumildern, aber auch zur Vermeidung. „Der europäische ‚Green Deal‘ ist Vermeidung.“ Denn wenn man nicht alle Anstrengungen unternehme, die Emissionen zu senken und die Auswirkungen der Erderwärmung zu begrenzen, würden die Folgen in jeder Hinsicht katastrophaler. „Der Grüne Wandel wird nicht billig. Aber es wird noch viel teurer werden, wenn wir nichts unternehmen.“