Indigene bei einem Protest in Brasilien
Reuters/Ueslei Marcelino
Brasilien

Indigenen droht Landverlust und Vertreibung

Die Rechte von Brasiliens Indigenen sind in Gefahr. Das Parlament stimmte diese Woche dafür, Schutzgebiete einzuschränken und dem neu gegründeten Indigenenministerium wichtige Befugnisse zu entziehen. Kommen die zwei Gesetze wie geplant, droht den Indigenen Landverlust und Vertreibung. Auch für die Umwelt wären die Folgen fatal.

Am Mittwoch sprach sich die Abgeordnetenkammer mehrheitlich dafür aus, dass die Zuständigkeit für die Zuteilung neuer indigener Schutzgebiete an das Justizministerium zurückgehen würde. Und das Umweltministerium würde die Aufsicht über die Registrierung ländlicher Flächennutzung verlieren – ein entscheidendes Werkzeug im Kampf gegen illegale Abholzung.

Der Senat muss dem Gesetz zustimmen. Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hatte das Ministerium für die indigene Bevölkerung bei seiner Rückkehr ins Amt in diesem Jahr geschaffen. Die dem Ressort zugeteilten Befugnisse waren jedoch nur vorläufig und bedurften noch der Zustimmung des Parlaments.

Indigene bei einem Protest in Brasilien
Reuters/Amanda Perobelli
Indigene protestieren gegen das geplante Landgesetz

Begrenzung von Schutzgebieten

Die Abstimmung am Mittwoch war die zweite Niederlage für Lula innerhalb von 24 Stunden. Am Dienstag hatten die Abgeordneten bereits ein Gesetz verabschiedet, das die Ausweitung und Zuteilung indigener Schutzgebiete erschwert. Es sieht vor, dass nur Land als Schutzgebiet anerkannt werden darf, das am Tag der Verkündung der Verfassung am 5. Oktober 1988 von indigenen Völkern bewohnt wurde.

Kritiker bemängelten, dass Indigene dann keine Stammesgebiete mehr zurückbekommen könnten, aus denen sie bereits zuvor vertrieben wurden. Zudem könnten Eindringlinge, die indigene Gebiete zurückgeben mussten, Anspruch auf Entschädigung anmelden. Ferner könnte es künftig eine rechtliche Grundlage dafür geben, isolierte indigene Völker zu kontaktieren, beispielsweise um „staatliche Maßnahmen von öffentlichem Nutzen zu vollstrecken“.

„Gesetzmäßiger Völkermord“

Kurz vor der Abstimmung im Parlament hatten Indigene gegen das Gesetz demonstriert und eine nahe der Millionenmetropole Sao Paulo gelegene Autobahn blockiert. Sie entzündeten Feuer, sangen Lieder und brachten den Verkehr zum Erliegen. Die Militärpolizei setzte laut Medienberichten Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschoße ein, um die Straße zu räumen.

Indigenenministerin Sonia Guajajara kritisierte das Gesetz: „Das Projekt stellt einen gesetzmäßigen Völkermord dar, weil es isolierte Völker direkt betrifft. Es erlaubt Dritten den Zugang zu Gebieten, in denen Menschen leben, die noch keinen Kontakt zur Gesellschaft hatten.“ Guajajara zeigte sich „frustriert“ darüber, dass Lula nicht dagegen vorgehe. Auch dieses Gesetz muss noch den Senat passieren. Dann wird es Lula vorgelegt, der noch sein Veto einlegen kann.

Der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2010 zufolge leben rund 800.000 Indigene in Brasilien, die meisten von ihnen in über 730 Reservaten, die 13,75 Prozent der Landesfläche ausmachen. Unter der Regierung des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro war die Zuteilung von Land an Indigene ins Stocken geraten. Auch die Abholzung des Amazonas-Regenwalds nahm stark zu.

Rückschlag für Umweltpolitik

Lula hatte zu seinem Amtsantritt im Dezember eine Abkehr von der Politik seines Vorgängers versprochen und erklärt, sich energisch für den Schutz der Indigenen und des Amazonas-Waldes einzusetzen. Erst im April zeichnete er sechs neue indigene Gebiete aus und garantierte den Ureinwohnern die ausschließliche Nutzung der natürlichen Ressourcen darauf. Das Land darf nicht verkauft werden, auch Bergbau ist untersagt.

Experten sehen die Schutzgebiete als Bollwerk gegen die Abholzung des Amazonas-Regenwalds. Lulas ehrgeizige Pläne drohen jedoch an der politischen Realität zu scheitern. Auch wenn er im vergangenen Jahr die Präsidentschaftswahl gewonnen hat, so fehlt ihm im Parlament eine Mehrheit. Rechte und konservative Gruppen verfügen gemeinsam über einen Großteil der Stimmen und üben Druck auf die neue linke Regierung aus, unter anderem, um deren Umweltpolitik zu blockieren.

„Was wir gerade erleben, ist ein Realitätsschock“, sagte Marcio Astrini, Vorstand des Ökothinktanks Observatorio do Clima. „Wir haben einen sehr reaktionären Kongress, der im Grunde die Antiumweltpolitik von Bolsonaro fortführen will. Er versucht um jeden Preis, die Umweltgesetzgebung zu schwächen und indigene Rechte auszuhebeln.“ Lula müsse sich entscheiden: Geht er auf die Interessen des Kongresses ein oder hält er an seinen Versprechen als Präsident der Republik fest?, so Astrini.