Leere Arbeitsplätze in einem Büro
ORF/Patrick Bauer
Trotz steigender Joblosigkeit

Arbeitskräftemangel weiter „allgegenwärtig“

Die Wirtschaftsdynamik in Österreich schwächt sich ab und lässt die Arbeitslosigkeit wieder steigen, wie die Zahlen von Ende Mai zeigen. Doch weiterhin gibt es einen Arbeitskräftemangel mit zahlreichen offenen Stellen. Laut einer Umfrage des Kreditschutzverbands („KSV 1870“) ist der Arbeitskräftemangel „allgegenwärtig“. Das führe für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu hohen Zusatzbelastungen.

Ende Mai gab es im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,9 Prozent mehr Personen ohne Stelle. Arbeitslose und Schulungsteilnehmende zusammengerechnet waren 320.602 Personen ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich leicht um 0,2 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent. Die Arbeitslosigkeit war im April im Jahresabstand das erste Mal seit zwei Jahren gestiegen. Je nach Bundesland ist die Quote unterschiedlich – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Für ÖVP-Arbeits- und -Wirtschaftsminister Martin Kocher fällt der Anstieg der Arbeitslosigkeit „moderat“ aus. Im Frühjahr seien saisonale Schwankungen der Arbeitslosigkeit „nichts Ungewöhnliches“, so Kocher am Donnerstag in einer Aussendung.

Ukraine-Geflüchtete erfasst

„Natürlich fallen positive Effekte am Arbeitsmarkt aufgrund der abgekühlten Konjunktur in diesem Jahr schwächer aus als noch im Vorjahr, das von einer außerordentlich guten Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung geprägt war“, so Kocher weiter. Allerdings seien die Wirtschaftsforscher für die zweite Jahreshälfte und das kommende Jahr optimistischer. Die hohe Inflation drücke jedenfalls auf die Stimmung in der Wirtschaft. „Die Aussichten sind nicht so rosig, wie wir sie gerne hätten“, so Kocher. Grundsätzlich hielt er fest: „Die Lage am Arbeitsmarkt ist glücklicherweise besser, als wir das befürchtet haben, aber wir haben Herausforderungen.“

Wirtschaftsminister Martin Kocher
APA/Tobias Steinmauerer
ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher

Seit 21. April haben Ukrainerinnen und Ukrainer einen völlig freien Arbeitsmarktzugang in Österreich und werden deswegen in der Arbeitslosenstatistik erfasst. Von den 9.000 zusätzlichen Arbeitslosen und Schulungsteilnehmern Ende Mai sind laut AMS-Vorstand Johannes Kopf etwa 4.400 Vertriebene aus der Ukraine.

KSV: Hohe Zusatzbelastung für Mitarbeiter

Die Konjunktureintrübung in Österreich macht sich auch auf dem Stellenmarkt bemerkbar. Beim AMS waren Ende Mai über 117.000 offene Stellen als sofort verfügbar gemeldet, ein Minus von rund 15 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Tourismus, Bau, aber auch die Industrie suchen laut dem AMS-Chef „nicht mehr so viele Arbeitskräfte wie voriges Jahr“.

Der immense Arbeitskräftemangel ist laut Kreditschutzverband (KSV 1870) allerdings weiterhin „allgegenwärtig“ und betrifft laut Umfrage 58 Prozent der Firmen, 26 Prozent sogar sehr. Das führt bei bestehenden Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu einer hohen Zusatzbelastung. Zudem müssen Firmen neue Aufträge auch wegen zu wenig Personals häufig ablehnen. Laut ÖVP-Wirtschaftsbund-Auswertung sind derzeit fast 216.000 Jobs ausgeschrieben.

„Der Mangel an Arbeitskräften ist eines der zentralen Themen der Gegenwart. Hier braucht es schleunigst einen Schulterschluss zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Wirtschaft“, fordert KSV-Chef Ricardo-Jose Vybiral in einer Aussendung. Besonders dramatisch gestalte sich die Lage in der Industrie, wo sieben von zehn Betrieben über fehlende Mitarbeiter klagten.

Wo das meiste Personal fehlt

Auf Branchenebene sei es vor allem die Bauwirtschaft (76 Prozent), die mit fehlendem Personal zu kämpfen hat. Laut Wirtschaftsbund sind im Bereich Bau, Baunebengewerbe, Holz, Gebäudetechnik 23.423 Stellen offen. Auf Bundesländerebene fehlt es derzeit vor allem in Kärnten (73 Prozent) und Oberösterreich (67 Prozent) an Arbeitskräften. Dagegen sieht sich in Vorarlberg nur jedes fünfte Unternehmen (20 Prozent) vom Personalmangel unmittelbar betroffen, so der KSV.

Der Tourismus ist auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Das sagte der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf. 44 Prozent der in diesem Sektor Beschäftigten habe eine österreichische Staatsbürgerschaft. Vor 15 Jahren seien es noch zwei Drittel gewesen – mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Das AMS Wien will den Arbeitssuchenden Saisonjobs außerhalb Wiens schmackhaft machen. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt dafür – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kellner bei der Arbeit
ORF.at/Carina Kainz
Im Gastgewerbe und im Tourismus fehlt es an Personal

Den Arbeitsmarkt als Herausforderung sieht auch der ÖGB. Dessen leitende Sekretärin Ingrid Reischl betonte, dass sie kein Verständnis dafür habe, dass Kocher angesichts steigender Arbeitslosenzahlen vor Kurzem das Saisonkontingent für den Tourismus um de facto 1.300 Plätze aufgestockt habe.

Streit über Tourismuspersonal

„Und das ohne, wie im Ausländerbeschäftigungsgesetz eigentlich vorgesehen, die Meinung der Sozialpartner einzuholen“, so Reischl weiter. Weitaus sinnvoller und notwendiger wäre es, „endlich die Arbeits- und Einkommensbedingungen, gerade in Branchen wie dem Tourismus, zu verbessern.“ Und auch Ines Stilling, Sozialbereichsleiterin der AK erklärte: „Nur Arbeitskräfte aus dem Ausland holen ist keine Lösung.“

Franz Hörl, Obmann des Tiroler Wirtschaftsbundes, wollte das nicht so stehen lassen. Er fordert „rasch weitere Öffnungsschritte am Arbeitsmarkt, um die Leistungsfähigkeit halten zu können“. Es müsse zu einer Kursänderung bei der Ausländerbeschäftigungspolitik kommen. „Besonders Tirol ist aufgrund der De-facto-Vollbeschäftigung und des damit begrenzten Potenzials an inländischen Arbeitskräften auf Mitarbeiter aus dem Ausland angewiesen“, so Hörl.

WKO warnt vor Verschärfung

Auch Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), sieht im Personalmangel ein großes Problem. Nachdem sich die Konjunktur etwas eingetrübt habe, steige die Arbeitslosigkeit zwar. Dennoch erweise sich der Arbeitsmarkt als robust, und der Großteil der Unternehmen hielte seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in raueren Zeiten, so Kopf in einer Aussendung.

"Grund dafür ist nicht zuletzt der nach wie vor gravierende Arbeits- und Fachkräftemangel, der sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren sogar noch verschärfen wird, so Kopf. Das dringlichste Problem auf dem Arbeitsmarkt bleibe der Arbeitskräftemangel. Die Herausforderung der nächsten Monate und Jahre werde sein, diesem wirksam entgegenzusteuern, so Kopf.

Die Industriellenvereinigung (IV) fordert ebenfalls, dem „enormen Arbeits- und Fachkräftemangel“ dringend gegenzusteuern. "Es ist höchst an der Zeit, an allen Stellschrauben zu drehen, um das vorhandene Potenzial auch tatsächlich voll auszuschöpfen“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer Donnerstag in einer Aussendung.

Handelsverband: Handel „sicherer Arbeitsgeber“

Der Handelsverband wies darauf hin, dass Unternehmen ebenso wie die gesamte Bevölkerung unter hohen Kostenbelastungen und ausstehenden Reformen für einen zeitgemäßen Arbeitsmarkt leiden würden. Der Arbeitsmarkt „dreht sich im Gleichschritt mit der schwächelnden Wirtschaft“, so der Sprecher des Handelsverbands, Rainer Will, in einer Aussendung. Der Handel stehe trotz Jobabbaus in diversen Branchen als „sicherer Arbeitgeber bereit“.