Ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky und die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu
APA/AFP/Daniel Mihailescu
Alle gegen Putin

Gipfel in Moldawien soll Einigkeit zeigen

Fast 50 Staats- und Regierungsspitzen aus Europa haben sich am Donnerstag in Moldawien versammelt, um den Zusammenhalt gegen Russlands Angriffskrieg zu signalisieren. Die außergewöhnlich große Veranstaltung findet nicht zufällig in Moldawien statt – das Land fürchtet seit Langem ein ähnliches Schicksal wie sein Nachbar, die Ukraine. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj drängte auf einen raschen NATO-Beitritt – und stieß dabei auf freundliches Echo.

Das Schloss Mimi in Bulboaca, rund 35 Kilometer von Chisinau und noch weniger von der ukrainischen Grenze und Transnistrien entfernt, war Schauplatz des hochkarätigen, erst zweiten Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG). Das herrschaftliche Gebäude aus dem 19. Jahrhundert gab am Donnerstag einen malerischen Rahmen für das Treffen der EU-Staaten und anderer europäischer Länder ab. Der Anlass freilich ist weniger ansprechend: Moldawien will sich der europäischen Solidarität gegen Russland versichern. So zu verstehen war auch das Motto des Treffens: „Moldawien ist nicht allein“.

Geladen war Selenskyj, Vertreter aus Russland und Belarus hingegen nicht – ein deutliches Signal an den Kreml. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte dazu, Russland habe sich durch seinen Angriff auf die Ukraine selbst aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen.

Selenskyj hofft auf signifikante Zahl an Kampfjets

Selenskyj forderte einmal mehr weitere militärische Unterstützung gegen Russland, nach der jüngsten Serie von Luftangriffen auf Kiew drängte er zur Lieferung von modernen Kampfjets und Patriot-Luftabwehrsystemen. Bei der militärischen Unterstützung der Ukraine komme es nun auf zwei Komponenten an: „eine Patriot-Koalition, die der russischen Erpressung durch ballistische Raketen ein Ende setzt, und eine Koalition moderner Kampfflugzeuge, die beweist, dass Terror gegen unsere Bürger keine Chance hat“, sagte er.

Er habe beim Treffen „von einer signifikanten Zahl“ an F-16-Jets gehört, sagte er Donnerstagabend der englischen Übersetzung seiner Pressekonferenz zufolge. Etliche Länder hätten stärkere Unterstützung geäußert, so Selenskyj. Der ukrainische Präsident drückte auch seine Solidarität aus, die Ukraine stehe „Schulter an Schulter“ mit Moldawien und den anderen Ländern Europas. Moldawien, das wie die Ukraine einst zur Sowjetunion gehörte, nahm vor allem zu Beginn des Kriegs zahlreiche Geflüchtete auf. „Das werden wir nie vergessen“, so Selenskyj.

Europäische Staatschefs
AP/Carl Court
Großes Treffen vor malerischer Kulisse: Fast 50 Staats- und Regierungschefs in Moldawien

Ukraine drängt auf NATO-Beitritt

Selenskyj forderte auch einen schnellen NATO-Beitritt seines Landes, die Ukraine sei bereit dafür. Mit Blick auf den NATO-Gipfel im Juli hoffte er auf die nötige Einstimmigkeit unter den Mitgliedsländern. „Jeder Zweifel, den wir in Europa äußern, ist ein Schützengraben, den Russland mit Sicherheit einnehmen will“, sagte Selenskyj unter Anspielung auf Vorbehalte in den USA und Deutschland gegen einen schnellen NATO-Beitritt.

„Denken Sie an die Enttäuschung unserer Soldaten, die für Freiheit kämpfen und an die Enttäuschung jener Nationen, für die unser Kampf in der Ukraine Hoffnung ist“, sagte er. Wenn nicht einmal diejenigen eine klare positive Antwort auf den Wunsch zum NATO- und EU-Beitritt bekämen, die die Werte Europas mit Blut verteidigten, könne es für andere kaum mehr fassbare Hoffnung geben.

Stoltenberg: NATO-Staaten zu Ukraine einig

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge sind die Bündnispartner aber inzwischen einig, dass die Ukraine beitreten werde. Zuvor müsse aber sichergestellt werden, dass die Ukraine den russischen Angriffskrieg überlebe und als Gewinnerin daraus hervorgehe, sagte Stoltenberg am Donnerstag.

Moldawien wiederum hofft auf einen raschen EU-Beitritt an der Seite der Ukraine. Beide Länder sind Beitrittskandidaten, sie beantragten die Mitgliedschaft gemeinsam mit Georgien eine Woche nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die moldawische Präsidentin Maia Sandu drängte die EU zu einer Aufnahme „bis zum Ende dieses Jahrzehnts“.

Europagipfel in Moldawien

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Mittwoch bei einem Gipfeltreffen mit 47 europäischen Ländern in Moldawien Sicherheitsgarantien für sein Land verlangt und erneut auf eine Aufnahme in die NATO gedrängt.

In der NATO selbst wird nun über ein neues Format für die Zusammenarbeit mit der Ukraine in der vermutlich noch langen Übergangszeit nachgedacht. Man habe darüber diskutiert, die bestehende NATO-Ukraine-Kommission zu einem neuen Rat aufzuwerten, sagte Stoltenberg in Oslo. Ein solches gemeinsames Beratungsforum sei ein wichtiger Schritt, um mit der Ukraine auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit diskutieren zu können.

Moldawien unter Druck

Unter den rund 2,5 Millionen Bewohnern und Bewohnerinnen Moldawiens wächst seit Beginn des Kriegs die Furcht vor Einmischungen Russlands. Dazu tragen auch prorussische Separatisten in Transnistrien bei, dem abtrünnigen schmalen Streifen an der Grenze zur Ukraine. In Transnistrien sind nicht nur russische Truppen stationiert, sondern auch Tausende moskautreue Paramilitärs.

Hier steht auch das vor allem für die Hauptstadt wichtige Kraftwerk Ciugurdan – ein Trumpf in der Hand der prorussisch kontrollierten Behörden, die ihn politisch auch ausspielen. Von dort wurden die Energielieferungen stark gedrosselt, was mitunter zu großen Versorgungsproblemen in der von Armut geprägten Land führte.

Im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine warnten internationale Beobachter immer wieder davor, dass Moskau Unruhen in der Region als Vorwand nutzen könnte, um die Lage zu eskalieren. Auch jetzt behauptete der Chef des russischen Geheimdiensts FSB, Alexander Bortnikow, der Westen stachle Moldawien zu einer „gewaltsamen Säuberung Transnistriens“ an. Der Westen dränge Moldawien auch „aktiv zu einer Teilnahme am ukrainischen Konflikt“, so Bortnikow am Donnerstag.

Oligarch sanktioniert

Sandu, seit 2020 im Amt, versucht, den russischen Einfluss im Land zurückzuschrauben. Jüngst waren wiederholt Destabilisierungsversuche aus Russland gemeldet worden. Erst im März wurde ein von Russland gesteuertes Netzwerk aufgedeckt, das der moldawischen Polizei zufolge die Stabilität des Landes schwächen wollte. Im Februar warnte Sandu gar vor einem geplanten Staatsstreich durch Russland, was Moskau dementierte. Die USA ließen unter Berufung auf Geheimdienstinformationen wissen, dass EU-kritische Proteste in Moldawien inszeniert wurden, um sie als Grundlage für einen Aufstand gegen die prowestliche Regierung des Landes zu nutzen.

Einige dieser Akteure hätten Verbindungen zum russischen Geheimdienst, so die USA. Dabei spielen auch Oligarchen eine bedeutende Rolle, allen voran der moldawisch-israelische Unternehmer und Politiker Ilan Shor. Der Vorsitzende seiner Shor-Partei gilt als Finanzier von regierungsfeindlichen Demonstrationen in Moldawien.

Schätzungen zufolge zählt Shors Vermögen mehrere Millionen Euro. Er besitzt mehrere Unternehmen in Moldawien und war ab 2015 vier Jahre Bürgermeister von Orhei nördlich von Chisinau. Allerdings steuert er die Antiregierungskampagnen inzwischen von Israel aus, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er wurde verurteilt, fast eine Milliarde Euro von mehreren Banken veruntreut zu haben. Shor stand bereits auf US-Sanktionslisten. Seit Dienstag wird er nun auch von der EU sanktioniert. Gemäß der Sanktionsanordnung des EU-Rates ist die Shor-Partei „an der Bezahlung und Ausbildung von Personen beteiligt, um Unruhe und Unruhe zu provozieren“.

Geld nach Chisinau

Die prekäre Lage Moldawiens soll sich mit Hilfe der EU ändern. Am Vorabend des Gipfels kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Aufstockung der Wirtschafts- und Investitionshilfen für Moldawien auf 1,6 Milliarden Euro an. Zudem sollen Handytelefonate zwischen der EU und Moldawien ab dem kommenden Jahr billiger werden. Kurz vor dem Gipfel ging zudem eine neue EU-Zivilmission zum Schutz gegen russische Cyberangriffe und Desinformation an den Start. Von der Leyen lobte in Chisinau demonstrativ die „großartigen“ Reformfortschritte Moldawiens.

Nehammer: Westbalkan gleich behandeln

Auf Schloss Mimi ging es neben dem Ukraine-Krieg auch um Fragen der Energie und der Migration. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der für Österreich teilnahm, setzte seinen Schwerpunkt bei einer Diskussionsrunde, die von Großbritannien und Polen geleitet wurde, auf das Thema Migration. Die Runde beschäftigte sich auch mit Schleppereibekämpfung und Fragen der nuklearen Sicherheit, hybriden Bedrohungen und dem Schutz vulnerabler Gruppen.

Auch bilaterale Treffen mit den Staats- bzw. Regierungschefs aus Moldawien, Portugal, Bulgarien, Georgien und Serbien standen auf dem Programm. Am Rande des Gipfels sprach Nehammer mit Bulgariens Präsident Rumen Radew über die Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit beider Länder, wie die bulgarische Agentur BTA berichtete. So sei über eine Stärkung der Partnerschaft beim Schutz der EU-Außengrenzen, bei der Bekämpfung der illegalen Migration und bei den Fortschritten Bulgariens in Richtung Schengen geredet worden.

Radew berichtete etwa von einem laufenden Projekt, wo mit Unterstützung von Europol eine operative Taskforce in Bulgarien eingerichtet werde, um die mächtigen Finanzzentren in einer Reihe europäischen Ländern zu bekämpfen, die illegale Migrationsströme steuerten. Der bulgarische Staatschef betonte, dass Bulgarien alle interessierten europäischen Länder eingeladen habe, sich an dieser Struktur zu beteiligen.

Kosovo: Scholz und Macron sprachen mit Konfliktparteien

Angesichts der jüngsten Gewalt im Kosovo trafen auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auf den das EPG-Treffen zurückgeht, die Spitzen der Konfliktparteien in der Region.

Bundeskanzler Karl Nehammer und die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu
AP/Vadim Ghirda
Nehammer und Sandu auf Schloss Mimi: „Wichtiges Zeichen“

Das Treffen sei „ein ganz wichtiges Zeichen“, so Nehammer: Man stehe an der Seite Moldawiens und der Ukraine. Weiters sei es Österreich wichtig, darauf hinzuweisen, „dass wir den Westbalkan nicht vergessen dürfen“, so Nehammer. Der Kanzler begrüßte die jüngste Initiative von der Leyens zur Unterstützung und engeren Anbindung der Westbalkan-Staaten an die EU. Es sei wichtig, dass es für die Ukraine kein Schnellverfahren zum EU-Beitritt gebe und die Westbalkan-Staaten gleich behandelt würden. Nehammer rechnete noch heuer mit Entscheidungen zur EU-Erweiterung, und Österreich mache beharrlich klar, dass es auch eine klare Perspektive und Umsetzung für den Westbalkan brauche.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic und die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani hätten im Plenum direkt miteinander gesprochen, so Nehammer in Moldawien. Auch er selbst sprach dort mit Vucic über die angespannte Lage im Kosovo. Es gebe dazu einen sehr tragfähigen Vorschlag von Deutschland und Frankreich. Beide Konfliktparteien müssten Pragmatismus an den Tag legen.

Österreich bleibt bei Schengen-Veto

Mit dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radew erörterte Nehammer die Frage der Migration und der von Österreich blockierten Schengen-Erweiterung. 40 Millionen Euro seien von der EU-Kommission für den Grenzschutz in Bulgarien überwiesen worden. Österreich werde einen ständigen Beamten in der bulgarischen Sicherheitsarchitektur etablieren, „damit die Kooperation und Koordination schneller funktioniert“. Das sei ein Vertrauensbeweis und eine gute Unterstützung für Bulgarien.

Mit einer Aufhebung des österreichischen Schengen-Vetos können Rumänien und Bulgarien aber weiterhin nicht rechnen. Das Schengen-System funktioniere nicht, „aber niemand traut sich darüber zu sprechen“, so Nehammer.