durch Beschuss zerstörte Fahrzeuge auf einer Straße in Shebekino
Reuters/Governor of Belgorod Region
Berichte über neue Angriffe

Angespannte Lage im russischen Belgorod

Anhaltende Angriffe mit Raketen und Drohnen, Berichte über neue Gefechte und Evakuierungen rücken die russische Grenzregion Belgorod in den Fokus des von Moskau in der Ukraine geführten Angriffskrieges. Die Ukraine dementiert, russisches Gebiet anzugreifen, und verweist auf russische Freiwilligenkorps. Inwieweit es sich wie von einem russischen Oppositionellen nahegelegt um die Vorhut einer „künftigen Revolution“ handeln könnte, bleibt dahingestellt. Westlichen Beobachtern zufolge dürfte die Lage in Belgorod dennoch für zunehmende Nervosität in Moskau sorgen.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums seien allein am Donnerstag drei grenzüberschreitende Angriffe in der Nähe der Stadt Schebekino abgewehrt worden. In der Nacht habe es zudem einen Angriff auf Schebekino gegeben. Von dort seien 2.500 Menschen in Sicherheit gebracht worden.

Dazu komme der Beschuss einer Landstraße nahe der Stadt, bei dem zwei Zivilisten getötet und zwei weitere verletzt worden seien, wie der Gouverneur der Region Belgorod am Freitag auf Telegram mitteilte. Den Angaben zufolge hätten Granatsplitter nahe der Stadt Maslowa Pristan vorbeifahrende Autos getroffen. Freitagabend meldete Russland erneut einen Beschuss des Grenzorts Schebekino. Dabei seien zwei Menschen verletzt worden, so die Regionalbehörden.

Wenige Stunden später meldeten russische Behörden zwei Tote und mehrere Verletzte bei einem Beschuss eines Dorfs nahe der Stadt Waluiki.

Raketengehäuse steckt im Asphalt auf einer Straße in Shebekino
Reuters/Governor of Belgorod Region
Überreste einer Rakete auf einer Straße in Schebekino

Auch aus anderen Gebieten im Westen Russlands gab es Berichte von Angriffen. Der Gouverneur der Oblast Brjansk sagte, zwei Orte in Grenznähe seien beschossen worden. Im benachbarten Kursk sollen laut Behörden mehrere Gebäude beschädigt worden sein. In der Oblast Smolensk wurden zwei Orte von Langstreckendrohnen angegriffen, wie der dortige Gouverneur mitteilte. Smolensk liegt weiter nördlich und grenzt im Westen an Belarus.

Erinnerung an Gefechte an Grenzübergang Graiworon

Entgegen anderslautenden Berichten dementierten sowohl Moskau als auch Belgorods Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow, dass sich während der jüngsten Angriffsversuche „Feinde auf dem Territorium der Oblast Belgorod“ befunden hätten. Dennoch erinnern die Ereignisse an die Gefechte vor wenigen Tagen am Grenzübergang Graiworon, bei denen eine offenbar rund 100 Mann starke Einheit kurzzeitig mehrere russische Grenzgebäude unter ihre Kontrolle brachte.

Nach Erkenntnissen des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) dürfte auch der neuerliche Angriff bzw. Angriffsversuch unter der Flagge der Milizen Russisches Freiwilligenkorps (RDK) und Legion Freiheit Russlands (LSR) stattgefunden haben. Entgegen den russischen Angaben gebe es den ISW-Angaben zufolge auch Hinweise, „dass angebliche LSR-Angehörige auf russischem Territorium operieren“. Bei RDK und LSR soll es sich um russische, auf Seite der Ukraine kämpfende Freiwillige handeln.

Der ehemalige russische Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow, der einst als einziger Parlamentarier gegen die Annexion der Krim stimmte, bezeichnete die beiden Freiwilligenverbände im Interview mit dem US-Magazin „Newsweek“ zuletzt als mögliche „Vorhut einer künftigen Revolution zum Sturz von Wladimir Putin“. Der russische Präsident habe mit seiner großangelegten Invasion der Ukraine die Voraussetzungen für eine „neue russische Revolution“ geschaffen.

London: Zunehmendes Problem für russische Militärführung

So weit wollen britische Geheimdienstexperten, die seit Beginn des Krieges eine tägliche Einschätzung zum Kriegsverlauf liefern, nicht gehen. Doch aufgrund der wiederholten Angriffe „proukrainischer Partisanen“ auf russisches Territorium stecke die russische Militärführung aber zunehmend in einem Dilemma. Moskau müsse sich entscheiden, ob es die Verteidigung der eigenen Grenzregion verstärke oder die Stellungen in den besetzten Gebieten der Ukraine, hieß es am Freitag.

Ein neuer Angriff durch „Partisanen“ in der Region Belgorod sei zwar rascher eingedämmt worden als zuvor, doch habe Russland eigenen Angaben zufolge dafür auf den vollen Umfang militärischer Feuerkraft auf seinem eigenen Staatsgebiet zurückgegriffen. Dazu gehörten offenbar auch Kampfhubschrauber und schwere Raketenwerfer.

Erneut Angriffe auf Kiew

Neben den Angriffen auf russischem Territorium stand wieder die ukrainische Hauptstadt Kiew unter Beschuss. Russland setzte auch in der Nacht auf Freitag seine Angriffswelle fort und feuerte ukrainischen Angaben zufolge insgesamt 15 Marschflugkörper und 21 Kampfdrohnen auf Kiew ab. Bei den Angriffen seien zwei Personen verletzt worden.

Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurde infolge des „massiven Angriffs“ auf Kiew ein elfjähriges Kind verletzt. Ein 68-jähriger Mann sei ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auch seien Häuser und Autos beschädigt worden. „Alle 15 Marschflugkörper und alle 21 Angriffsdrohnen wurden von der Luftabwehr zerstört“, teilten die ukrainischen Luftstreitkräfte auf Telegram mit.

Drei Menschen von Raketentrümmern getötet

Erst am Vortag starben in Kiew drei Menschen durch herabfallende Raketentrümmer. Seit Anfang Mai gab es etwa 20 Angriffe auf Kiew. Die ukrainische Regierung geht davon aus, dass damit die Vorbereitungen auf eine Gegenoffensive gestört werden sollen. Kiew bereitet nach eigenen Angaben eine große Gegenoffensive vor, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine zurückzudrängen.

Die Pläne zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete seien nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj mittlerweile fertig. „Die Entscheidungen sind getroffen“, sagte der Präsident. Inklusive der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim halten Russlands Truppen derzeit rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt.