Flüchtlingsboot im Mittelmeer
Reuters/Tony Gentile
Vor Innenministertreffen

Hochrangige UNO-Kritik an EU-Asylplänen

Wenige Tage vor einem EU-Innenministertreffen, bei dem die Regeln für Asylsuchende grundlegend geändert werden sollen, warnt UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk: Asylverfahren wie geplant in Drittstaaten zu verlagern sei nicht mit den Menschenrechten vereinbar, so der Österreicher. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) wies die Kritik zurück.

Asylverfahren nach britischem Vorbild in Drittstaaten zu verlagern ist nach Ansicht Türks nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Der Deal Großbritanniens mit Ruanda basiere auf ähnlichen Vorstellungen wie jener der australischen Flüchtlingspolitik, so Türk im Interview mit der APA.

„Man möchte nichts mit den Menschen zu tun haben, sie dürfen gar nicht mehr in mein Territorium kommen“, kritisierte der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte.

Warnung vor „Verrohung der Gesellschaft“

Im Falle von Australiens Flüchtlingspolitik spricht Türk von „einer Politik der Grausamkeit, die Menschenrechte verletzt, das Flüchtlingsrecht verletzt“, und warnt vor den Auswirkungen auf die Bevölkerung: „Wenn ich eine Gruppe von Menschen so abschotte, kann es auch zu einer Verrohung einer Gesellschaft beitragen, und das macht mir Sorgen.“

Innenminister Karner (ÖVP) hat zuletzt gefordert, wieder Abschiebung nach Afghanistan und Syrien zuzulassen. UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk warnt davor, weil die Menschenrechtslage in diesen Ländern dort in einem schlechten Zustand sei.

Asylanträge nur außerhalb der EU

Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen – also etwa in der Türkei, in Libyen und Tunesien – geben soll. In Österreich setzt sich die ÖVP seit Jahren dafür ein.

Nun schwenkt erstmals auch Deutschland um. Innerhalb der dortigen „Ampelkoalition“ ist noch umstritten, ob Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern davon ausgenommen werden. Das sieht auch der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission vor. Dass ausgerechnet eine Berliner Regierung, in der mit SPD und Grünen zwei Parteien, die sich prononciert für soziale Rechte und Menschenrechte einsetzen, den Kurs wechseln will, sorgt bei Kritikerinnen und Kritikern für zusätzliche Empörung.

Hohe Zahl von Ankünften

Hintergrund der EU-Pläne sind die gestiegenen Zahlen von Ankünften Flüchtender. Seit Monaten versuchen viele, von Nordafrika über das Mittelmeer Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Jänner mehr als 50.000 Menschen auf Booten nach Italien. Dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zufolge starben seit Jahresanfang bei Überfahrten mehr als 980 Menschen oder werden seither vermisst.

Freikauf von Flüchtlingsquote

Mit diesem Kurswechsel soll auch eine Einigung im jahrelangen Streit über eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU erreicht werden. Mehrere Staaten, allen voran Ungarn, weigern sich ganz oder großteils, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie sollen sich allerdings auch unter der neuen Regelung quasi „freikaufen“ können. Pro Flüchtling, der laut Quote nicht übernommen wird, müsste ein Land laut polnischen Angaben 22.000 Euro zahlen.

Selbst wenn all das beschlossen wird, fehlt weiterhin ein laut Fachleuten zentraler Baustein, nämlich eine klar geregelte Zuwanderungsregelung. Diese soll es ermöglichen, dem sich verschärfenden Arbeitskräftemangel zu begegnen und die derzeitige Vermengung von Migration und Flucht zu beenden. Letzteres untergräbt zunehmend die Akzeptanz des Menschenrechts auf Asyl, das als Folge der großen Fluchtbewegungen aus Europa während des Zweiten Weltkriegs und danach geschaffen wurde.

Menschenrechte in Wien

In Wien startete am Montag eine zweitägige Konferenz zur Lage der Menschenrechte. Anlass sind 30 Jahre Menschenrechtskonferenz in Wien und 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Gastgeber ist das UNO-Hochkommissariat gemeinsam mit der Republik.

Hochkommissar für „faktenbezogene Diskussion“

Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, der diese Woche in Wien ist, wünscht sich in Bezug auf die Migrationspolitik in Europa, „eine vernunftbegabte und faktenbezogene Diskussion zu haben und auch eine, die auf dem Menschenrechtswerk und Flüchtlingsregelungen beruht und sich nicht davon entfernt“.

Türk warnt zudem vor Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, wie sie zuletzt Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gefordert hat. „In Afghanistan sehen wir jede Woche eine Verschlechterung der Menschenrechtslage, in Syrien ist die Menschenrechtslage nach wie vor äußerst prekär, ich sehe nicht, dass man da mit zwangsweisen Rückführungen anfangen kann“, so Türk im APA-Gespräch.

Karner weist Kritik zurück

Mit „wenig Verständnis“ für die Aussagen Türks reagierte Karner. Das derzeitige System sei „kaputt“, daher müsse man „offen an neuen Regelungen arbeiten, wo die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet ist, die Struktur nicht überlastet wird und sich Menschen nicht in die Hände von brutalen Schlepperbanden begeben“. Karner sagte, ein „menschenrechtskonformes, funktionierendes und vernünftiges Asylsystem“ müsse Flucht aus wirtschaftlichen Gründen verhindern. Fachleute betonen ebenfalls, dass Migration von Flucht vor Verfolgung getrennt werden muss, sehen dafür allerdings klare Regeln für legale Einwanderung als Voraussetzung.

UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk
Reuters/Denis Balibouse
Türk warnt vor Verrohung der Gesellschaft, wenn sich diese vom Leid anderer Gruppen abschottet

Türks Appell an Menschlichkeit

In Bezug auf die weltweite Lage der Menschenrechte zeigte sich unterdessen Türk besorgt, dass angesichts der wachsenden geopolitischen Spannungen vergessen werde, worum es bei den Menschenrechten geht, „dass es eben nicht ein Pingpong ist in den geopolitischen Auseinandersetzungen, sondern auch etwas, was sich tatsächlich im Alltäglichen abspielt“, appellierte Türk an die Menschlichkeit. Als große Herausforderungen unserer Zeit für die Menschenrechte sieht er auch den Umgang mit dem Klimawandel und die Digitalisierung.