Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg
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EuGH-Urteil

Polens Justizreform verstößt gegen EU-Recht

Wie die polnische Regierung das Justizsystem des Landes umbaut, verstößt gegen EU-Recht. Das hat am Montag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Zum wiederholten Mal, aktuell wurde einer Klage der EU-Kommission stattgegeben. Es ist also nicht das erste Urteil im Streit zwischen Warschau und EU-Kommission – doch ist es sehr weitreichend.

EU-Justizkommissar Didier Reynders begrüßte das Urteil. „Heute ist ein wichtiger Tag zur Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz in Polen“, erklärte er. Der EuGH machte nun deutlich: Die polnischen Regeln gewährleisteten keinen Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Dazu gehöre nämlich, dass die nationalen Gerichte überprüfen könnten, ob sie selbst oder andere Gerichte den im Unionsrecht vorgesehenen Anforderungen genügen.

Hintergrund ist eine Klage der EU-Kommission aus dem Jahr 2021, wonach mehrere polnische Regelungen gegen EU-Recht verstoßen. Die Kommission ist als Hüterin der EU-Verträge dafür zuständig, zu überwachen, dass die Staaten sich an EU-Recht halten. Im aktuellen Streit ging es unter anderem um ein Gesetz zur Disziplinierung von Richtern und Richterinnen.

Richterliche Unabhängigkeit untergraben

Im Streit über die Unabhängigkeit und das Privatleben von Richterinnen und Richtern erlitt Polen damit eine endgültige Niederlage. Die Regelung, dass die Mitgliedschaft von Richterinnen und Richtern etwa in Verbänden, Organisationen oder Parteien öffentlich gemacht werden kann, verstoße gegen EU-Recht. Dabei handle es sich um einen widerrechtlichen Eingriff in die Privatsphäre, urteilte der EuGH.

Insbesondere die inzwischen abgeschaffte Disziplinarkammer für Richter habe die richterliche Unabhängigkeit untergraben, hieß es. Die von der polnischen Regierung eingerichtete Kammer hatte nach Einschätzung seiner Kritiker vor allem den Zweck, unabhängige Richter auf Linie zu bringen und – wenn sie allzu kritisch sind – zu bestrafen. Zum Beispiel mit einer Zwangsversetzung oder mit einer Verabschiedung in den vorzeitigen Ruhestand.

Halbe Mio. Euro Zwangsgeld pro Tag

Weil Warschau sich weigerte, frühere EuGH-Urteile umzusetzen, verhängte der Gerichtshof innerhalb des nun entschiedenen Verfahrens schließlich eine Million Euro Zwangsgeld pro Tag. Die Strafe wurde im Frühjahr halbiert, weil die Regierung inzwischen einige Änderungen am Justizsystem vorgenommen hat.

Aus Sicht der EU reicht das allerdings nicht aus. Weitere Verfahren sind schon abzusehen: Im Februar klagte die EU-Kommission Polen erneut wegen Verstößen gegen EU-Recht durch den polnischen Verfassungsgerichtshof. Für Warschau sind die Verfahren heikel, denn es geht inzwischen auch um viel Geld: Die EU-Kommission hält mehrere Mrd. Euro aus dem CoV-Aufbaufonds für Polen zurück, weil sie Zweifel am dortigen Justizsystem hat.

Polens Justizminister sieht „Übergriff“

Polens nationalkonservative Regierung baut die dortige Justiz seit Jahren ungeachtet internationaler Kritik um. Die EU-Kommission klagte mehrfach gegen die Reformen. Teilweise wurden Beschlüsse vom EuGH gekippt.

Aus Polen kam erwartungsgemäß Kritik. „Das Urteil wurde nicht von Richtern geschrieben, sondern von Politikern. Es ist ein klarer Verstoß gegen die europäischen Verträge, ein Übergriff des EuGH in Kompetenzen, die er nicht hat“, sagte Justizminister Zbigniew Ziobro. „Es gibt kein Land auf der Welt, in dem Richter den Status anderer Richter hinterfragen können.“

Land erlebte größte Demonstration seit 1989

Erst am Vortag ging in der Hauptstadt Warschau rund eine halbe Million Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Straße. Die Organisatoren sprachen von der größten Demonstration seit dem Ende des Kommunismus im Jahr 1989.

Zum Protest aufgerufen hatte der frühere Regierungschef und EU-Ratschef und jetzige Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). Aber auch andere Oppositionsparteien schlossen sich an. Auch der Friedensnobelpreisträger und der einstige Chef der Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa, nahm an der Demo teil.