Rammstein-Sänger Till Lindemann auf der Bühne
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Rammstein

Vorwürfe rufen Politik auf den Plan

Nachdem ein mutmaßliches Opfer von Rammstein-Sänger Till Lindemann an die Öffentlichkeit gegangen ist, häufen sich die Wortmeldungen von Frauen, die angeben, ebenfalls sexuell bedrängt oder missbraucht worden zu sein. Nun forderte die deutsche Familienministerin Lisa Paus (Grüne) Konsequenzen für den Konzertbetrieb. Die Band, die alle Vorwürfe zurückweist, befindet sich derzeit auf Europatournee, die sie auch nach Österreich führen soll.

Gerade junge Menschen müssten vor Übergriffen besser geschützt werden, so Paus. Sie schlug Schutzbereiche für Frauen bei Konzerten sowie den Einsatz von „Awareness-Teams“ vor, die als Ansprechpartner beim Verdacht auf sexuelle Übergriffe zur Verfügung stehen. Nun müsse „schnell und konkret“ über Schutzmaßnahmen diskutiert werden. „Eine ernsthafte Debatte über die Verantwortung von Künstlern und Veranstaltern gegenüber ihren Fans ist sinnvoll“, sagte Paus am Montag zu AFP.

Sie lud die Musikbranche ein, dem „Bündnis gegen Sexismus“ beizutreten. Paus forderte auch die Abschaffung des „Row Zero“-Systems. Dort, in dem Bereich direkt vor der Bühne, sollen Frauen für sexuelle Handlungen mit Lindemann rekrutiert worden sein. Die Berichte beinhalteten auch den Vorwurf, es seien Betäubungsmittel eingesetzt worden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Youtuberin berichtet über Rekrutierung

Die ersten Berichte über die „Row Zero“-Praktik bewegten etliche Frauen dazu, weitere Vorwürfe zu veröffentlichen. Zuletzt meldete sich die Youtuberin Kayla Shyx, die angab, selbst für die „Row Zero“ rekrutiert worden zu sein. In einem knapp 37 Minuten langen Video mit dem Titel „Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert“ schilderte sie, wie sie und eine Freundin auf einem Konzert in Berlin von Lindemanns Mitarbeiterin angesprochen und zu einer After-Show-Party eingeladen worden seien. Es habe sich um eine „systematische“ Rekrutierung gehandelt, es sei dabei auch um „Macht“ gegangen.

Man habe ihnen versprochen, Lindemann zu treffen, und sie in Räume mit anderen jungen Frauen gebracht, wo man Alkohol angeboten und ihnen die Handys abgenommen habe. Sie habe Frauen und Mädchen gesehen, die laut Shyx benommen wirkten. „Auf einmal macht es klick, und ich merke, das ist gar nicht gut“, so die Youtuberin, die ihre Schilderungen mit Chats und Screenshots untermauerte. Eine Frau habe ihr geschildert, wie Lindemann sich junge Frauen für Oralsex während der Konzertpause aussuche, dieser finde unter der Bühne statt.

Shyx sagte, diese Berichte deckten sich mit vielen anderen. Sie selbst sei „in den Panikmodus“ geraten, habe aber versucht, ruhig zu bleiben. Sie habe gehen wollen und habe das, trotz Überredungsversuchen der Mitarbeiterin Lindemanns, auch getan.

Sie selbst habe diese Vorwürfe schon früher publik machen wollen und auch ein entsprechendes Video produziert. Ihr früheres Management habe ihr aber davon abgeraten, so Shyx, die generell ein Klima des Schweigens in der Branche andeutete.

Mit Blutergüssen aufgewacht

Den Stein hatte am Pfingstwochenende eine Irin in sozialen Netzwerken angestoßen. Sie gab an, wie sie am Rande eines Rammstein-Konzertes in Vilnius von Mitarbeitern des Frontmannes ausgewählt worden sei, um in der Konzertpause hinter die Bühne zu kommen.

Dort sollte es laut der Frau zu Sex mit Lindemann kommen. Als sie nicht wollte, habe der Sänger aggressiv reagiert. Am nächsten Tag sei sie schließlich mit blauen Flecken und Blutergüssen am ganzen Körper aufgewacht. Sie könne sich nur noch an wenig erinnern, habe Symptome wie Übelkeit und Schüttelfrost gehabt. Gleichzeitig hielt sie fest, Lindemann habe sie nicht vergewaltigt.

Andere berichteten über schwere Übergriffe. Die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) und der NDR sprachen mit Frauen, die offenbar auf potenziellen Sex mit Lindemann vorbereitet wurden bzw. davon überrascht waren, was sich im Backstage-Bereich abspielen soll. Auch gegenüber dem ORF erzählte eine Mitarbeiterin eines VIP-Bereichs, wie Mädchen und junge Frauen vor Konzerten gezielt ausgewählt worden seien.

In einem weiteren Fall berichtete eine damals 21-Jährige, nach einer After-Show-Party besinnungslos auf einem Hotelbett gelegen zu sein. Laut ihren Erinnerungen sei Lindemann auf ihr gelegen, als sie wieder zu sich gekommen sei, und habe sie gefragt, ob er aufhören solle. Sie habe nicht gewusst, womit er aufhören solle. Der Frontmann sei dann gegangen, seine Mitarbeiter hätten der Frau dann Drogen angeboten.

Tourstart am Mittwoch

Die Band wies die Vorwürfe rund um den 60-jährigen Frontmann in einem ersten Statement zurück. In einer zweiten Nachricht baten die Musiker darum, nicht vorverurteilt zu werden. „Es ist uns wichtig, dass Ihr Euch bei unseren Shows wohl und sicher fühlt – vor und hinter der Bühne“, so die Band auf sozialen Netzwerken. Am Dienstag meldete die „Welt“, dass Rammstein die Mitarbeiterin, die die Frauen ausgesucht haben soll, von Konzerten ausschließen werde. Die Assistentin, die sich „Casting-Director“ genannt habe, habe nie Geld von der Band erhalten, so Rammstein laut der Zeitung.

Zudem sei eine auf Krisenkommunikation spezialisierte PR-Agentur engagiert worden sowie eine Anwaltskanzlei. Sie solle die Vorwürfe untersuchen – mit recht straffem Zeitplan. Am Freitag sollen schon Ergebnisse vorliegen. Ziel sei es, die Sachlage aufzuklären. Dabei geht es etwa um den Einsatz von Drogen ohne Wissen der Beteiligten im Umfeld des Konzerts.

Rammstein setzen am Mittwoch ihre große Europatour mit vier Auftritten im Münchner Olympiastadion fort. Im Juli sind auch zwei Auftritte im Wiener Ernst-Happel-Stadion geplant. Auswirkungen der jüngsten Berichte auf die Tour gab es vorerst nicht. Drei Münchner Stadtratsfraktionen stellten aber einen Antrag, der die Sicherheit für Konzertbesucherinnen und -besucher erhöhen soll.

Keine „Row Zero“ in München

Der Antrag sah unter anderem vor, mehr sichere Plätze zu schaffen. Auch sollte geprüft werden, ob die „Row Zero“ künftig verboten werden kann. Eine Entscheidung gab es noch nicht. Der Konzertveranstalter Propeller Music aber machte gleich Nägel mit Köpfen. In München werde es weder eine „Row Zero“ noch After-Show-Partys geben, verfügte er.

Gegenüber der „Welt“ sagte die Münchner Kreisverwaltungsreferentin Hanna Sammüller-Gradl, man werde „alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Konzertbesucher sicherzustellen“. Man werde auch in Zusammenarbeit mit der Münchner Polizei „die Veranstaltung vor Ort engmaschig im Außendienst begleiten und die Einhaltung aller Auflagen des Veranstaltungsbescheides überprüfen“. Ein Verbot der Konzerte selbst sei nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen rechtlich nicht zulässig.

Schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Frontmann

Die Missbrauchsvorwürfe gegen den Frontmann der deutschen Band Rammstein, Till Lindemann, weiten sich aus. Nachdem bereits eine irische Frau berichtet hatte, am Rande eines Rammstein-Konzertes unter Drogen gesetzt worden zu sein – die Band dementierte –, berichteten Medien am Freitag, wie Frauen rekrutiert worden sein sollen, um mit Lindemann Sex zu haben. Wegen eines anderen Falls zog ein Verlag bereits Konsequenzen.

Die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth begrüßte diese Maßnahmen. „Das sollte auch für alle weiteren Konzerte gelten. Auch der Einsatz von Awareness-Teams wäre eine gute Maßnahme“, so Roth. „Patriarchales Mackertum und sexuelle Übergriffe haben in der Musikbranche, wie überhaupt in Kunst und Kultur und auch überall sonst, nichts mehr zu suchen“, so Roth, die sich auch für Verhaltenskodizes in der Kultur- und Kreativszene aussprach.

Lindemann sorgte in der Vergangenheit wiederholt für Negativschlagzeilen. Er kokettierte mit NS-Symbolik und veröffentlichte auch Texte mit Fantasien sexueller Gewalt. Der 2013 bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Gedichtband „In stillen Nächten“ spielte auch eine Rolle in einem im Netz kursierenden Videoclip. In dem Video taucht neben brutalen Sexszenen das Buch auf und wird von dem Sänger penetriert. In einem Gedicht geht es zudem darum, wie ein Ich-Erzähler eine betäubte Frau vergewaltigt. Der Verlag beendete die Zusammenarbeit mit Lindemann.