Ankunft von Prinz Harry beim Bespitzelungsprozess gegen den Mirror-Verlag am High Court in London
APA/AFP/Henry Nicholls
„Paranoia“ ausgelöst

Prinz Harry attackiert Boulevard vor Gericht

Als erstes Mitglied der britischen Königsfamilie seit mehr als hundert Jahren sagt Prinz Harry am Dienstag in London vor Gericht aus. Der 38-Jährige ist einer von mehreren Klägern, die dem Medienkonzern Mirror Group Newspapers (MGN) illegale Informationsbeschaffung vorwerfen. Harrys Anschuldigungen gegenüber der „Yellow Press“ haben es in sich – er beschrieb das aus seiner Sicht illegale Eindringen in sein Beziehungsleben und dadurch ausgelöste „Paranoia“.

Harry sagt unter Eid aus und wurde vom Anwalt des Verlags MGN („Daily Mirror“, „Sunday Mirror“, „The People“) ins Kreuzverhör genommen. „Ich stand die meiste Zeit meines Lebens unter Beobachtung der Presse“, gab Harry an. In der 49-seitigen schriftlichen Zeugenaussage, die der High Court veröffentlichte, beschreibt er detailreich, wie Reporter in sein Privatleben eingedrungen seien.

Die meiste Zeit seines Lebens und bis heute sei er Opfer einer unbarmherzigen „Invasion der Presse“ gewesen, sagte Harry auch vor Gericht. Von Geburt an habe er es mit einer feindseligen Presse zu tun gehabt. Er gab an, sehr unter den Artikeln gelitten zu haben, sie hätten ihn oftmals in ein schlechtes Licht gerückt und intimste Details seines Privatlebens enthüllt. Einige Medien beschuldigte er, Blut an den Händen zu haben.

Harry: Wollten Ehe mit Meghan zerschlagen

Dass er mit Ehefrau Herzogin Meghan und dem gemeinsamen Sohn Archie in die USA zog, sei „zu einem großen Teil (…) auf das ständige Eindringen, die Anstiftung zu Hass und Belästigung durch die Boulevardpresse in jeden Aspekt unseres Privatlebens zurückzuführen, was verheerende Auswirkungen hatte“, heißt es etwa. „Wir waren auch sehr besorgt um die Sicherheit unseres Sohnes.“

Gerichtszeichnung von Elizabeth Cook zeigt Prinz Harry beim Bespitzelungsprozess gegen den Mirror-Verlag am High Court in London beim Kreuzverhör durch Andrew Green
AP/PA/Elizabeth Cook
Die Gerichtszeichnung zeigt Prinz Harry beim Prozess gegen den Mirror-Verlag am High Court in London im Kreuzverhör durch Andrew Green

„Großes Maß an Paranoia ausgelöst“

Bereits zuvor habe der Boulevard seine Beziehungen zerstört, so Harry. Auch seine Ehe mit Meghan hätten die „Tabloids“ zerschlagen wollen. Die illegalen Methoden der Reporter hätten „jeden Teil meines Lebens“ betroffen, so Harry. „Es löste in meinen Beziehungen ein großes Maß an Paranoia aus. Ich wurde sofort misstrauisch gegenüber jedem, der in einer Geschichte über mich genannt wurde.“ Er habe das Gefühl gehabt, niemandem mehr trauen zu können.

Zugleich habe die Presse versucht, die Beziehungen schnell zu beenden, indem sie Druck ausgeübt und Misstrauen gesät habe. „Dieses verquere Ziel wird bis heute verfolgt, obwohl ich inzwischen verheiratet bin.“ Er verstehe nicht, inwiefern private Details seiner Beziehungen im öffentlichen Interesse seien. Der Boulevard weise den Mitgliedern der Royal Family jeweils Rollen zu.

Als „Betrüger“ und „Säufer“ abgestempelt

„Man startet als leere Leinwand, während sie herausfinden, was für ein Mensch man ist und welche Probleme und Versuchungen man möglicherweise hat“, sagte er. „Dann beginnen sie, einen dazu zu bewegen, die Rolle oder die Rollen zu spielen, die ihnen am besten gefallen und mit denen sie möglichst viele Zeitungen verkaufen“, so Harry. „Wenn ich jetzt zurückschaue, ist ein solches Verhalten der Boulevardpresse einfach nur abscheulich“.

Man werde abgestempelt, sei dann entweder der „Playboy-Prinz“, der „Versager“, der „Schulabbrecher“ oder – wie in seinem Fall, so Harry – der „Dummkopf“, der „Betrüger“, der „minderjährige Säufer“ und der „verantwortungslose Drogenkonsument“. Harry beschrieb eine „Abwärtsspirale“, in der die Boulevardzeitungen ständig versucht hätten, ihn als „gestörten“ jungen Mann dazu zu überreden, etwas Dummes für eine gute Story zu tun.

Regierung und Presse am „Tiefpunkt“

Harry griff auch die britische Regierung an. Der Zustand von Presse und Regierung im Vereinigten Königreich befinde sich am „Tiefpunkt“, wie es im Statement hieß. „Die Demokratie scheitert, wenn ihre Presse es versäumt, die Regierung zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen, und sich stattdessen dafür entscheidet, mit ihr ins Bett zu gehen, damit sie den Status quo sichert.“

Mitglieder der Royal Family äußern sich üblicherweise nicht über die Regierung oder die Politik und vermeiden jeden Anschein einer Parteinahme. Ein Regierungssprecher wollte sich nicht zu den Vorwürfen, die Harry nicht weiter ausführte, äußern und verwies darauf, dass der Prozess laufe.

Richter rügte Harry

Bei seiner Ankunft zu dem Termin wurde Harry bereits von einem Meer von Journalistinnen und Journalisten erwartet, doch verließ er den schwarzen SUV wortlos. Am Vortag war Harry vom zuständigen Richter Timothy Fancourt gerügt worden, weil er dem Eröffnungsplädoyer in seinem Fall ferngeblieben war. Sein Anwalt verteidigte das Fehlen seines Mandanten. Er habe den zweiten Geburtstag seiner Tochter Prinzessin Lilibet gefeiert und sei deshalb erst später aus den USA angereist.

Verlag weist Vorwürfe zurück

Bei der zivilen Sammelklage gegen MGN werden exemplarisch die Fälle von mehreren Prominenten verhandelt, die den Journalisten vorwerfen, sie bespitzelt zu haben – etwa durch das Abhören von Voicemail-Nachrichten. Unter anderem soll MGN das Handy des Prinzen angezapft haben.

Im Vordergrund steht dabei, wie sehr die Führungsebene verwickelt war. Der Verlag weist die Vorwürfe zurück. Der Prozess hat bereits wenige Tage nach der Krönung von Charles III. vor einem Monat begonnen, er ist auf bis zu sieben Wochen angesetzt.