Junge Frau zwischen anderen Personen auf einer Straße in China
Getty Images/Images By Tang Ming Tung
Familie, Kinder

China in der Sackgasse

Nach der jahrzehntelangen Einkindpolitik kämpft China mit einem Bevölkerungsrückgang. Die Politik investiert derzeit viel Personal und Geld, um insbesondere junge Menschen von Hochzeit und Kindern zu überzeugen. Doch das Interesse, eine Familie zu gründen, bleibt überschaubar.

Über viele Jahre hinweg hat es die Regierung erfolgreich geschafft, dass Paare höchstens ein Kind bekommen. Weniger erfolgreich ist man hingegen bei dem Versuch, eine „geburtenfreundliche Gesellschaft“ zu fördern. Die Geburten in China rangieren auf einem Tiefstwert, obwohl die Behörden junge Paare ermutigen, drei Kinder zu bekommen. Dieses Jahr hat Indien China bereits als bevölkerungsreichste Nation der Welt abgelöst.

2016 schaffte die Volksrepublik die Einkindpolitik ab. Seitdem war es erlaubt, zwei Kinder zu bekommen. Laut einer Recherche des „Wall Street Journal“ lag die Zahl der Geburten in diesem Jahr bei rund 18 Millionen. Mittlerweile sei die Zahl allerdings auf unter zehn Millionen gesunken. Selbst Anfang der 1960er Jahre, als Chinas Bevölkerung weniger als halb so groß war wie heute, fielen die Geburten nie unter diese Zahl.

„Geburtenfreundliche Kultur“

Die demografische Realität hat nun zu einer Kampagne geführt, die quasi die Einstellung einer Generation ändern soll, die weniger bereit ist, eine Familie zu gründen. Diese Generation ist unter der rigorosen Einkindpolitik groß geworden und kennt nur Zwang und Strafen, um die Geburtenrate niedrig zu halten. Von einer „geburtenfreundlichen Kultur“, wie sie Chinas Politik anstrebt, hält sie offenbar wenig.

Zwei Frauen mit Babies sprechen miteinander in Peking
APA/AFP/Nicolas Asfouri
Die Einkindpolitik prägte jahrzehntelang Chinas Familienpolitik

Im Zentrum der Bemühungen steht die von der Regierung unterstützte Organisation Family Planning Association. Ursprünglich war die 1980 gegründete Nichtregierungsorganisation als Netzwerk konzipiert, um staatliche Grundsätze der Familienplanung in der Bevölkerung zu fördern. Konkret wurde in den vergangenen Jahrzehnten die Einkindpolitik durchgesetzt. Nun soll die Organisation aber dafür sorgen, dass die Geburtenzahlen steigen.

„Ohne die Förderung der Ideen von Heirat und Kinderkriegen wird es äußerst schwierig sein, die Geburtenrate zu erhöhen“, wird Wang Pei’an von der Kommunistischen Partei im „Wall Street Journal“ zitiert. In einem Außenbezirk von Peking habe die Stadtverwaltung bereits eine Skulptur aufgestellt, die zwei Elternteile mit drei Kindern zeige. Zudem seien in der Zweigestelle der Family Planning Association 500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dafür zuständig, die „Heirats- und Geburtenkultur im neuen Stil“ zu fördern.

Beamte tingeln quasi von Stadtteil zu Stadtteil, verteilen Geschenke an Frauen oder organisieren Veranstaltungen, die von Familien und Kindern überzeugen soll. Während Beamte in der Vergangenheit danach beurteilt wurden, wie gut sie die Einkindpolitik durchsetzten, werden sie heute daran gemessen, ob sie den Trend der Geburtenrate und Eheschließungen umkehren können. So werden junge Leute via Heiratsvermittlungen zusammengeführt oder Männer dazu ermutigt, eine größere Rolle bei der Kindererziehung zu spielen.

Finanzielle Förderungen helfen kaum

Doch viele junge Chinesen und Chinesinnen wollen nicht heiraten oder eine Familie zu gründen. Die Zahl der registrierten Eheschließungen ist seit Jahren rückläufig. Sogar rund um den 20. Mai ist Berichten zufolge die Zahl der Hochzeitsanmeldungen zurückgegangen. Der 20. Mai gilt als besonderer Tag für Verliebte, er klingt auf Chinesisch ungefähr so wie „Ich liebe dich“. Aktuelle Zahlen werden Berichten zufolge seit geraumer Zeit keine veröffentlicht. Fachleute vermuten, dass man den Negativtrend nicht noch weiter befeuern möchte.

Auch weitere Kinder scheinen derzeit viele Chinesen und Chinesinnen abzuschrecken. Zum einen beklagen sie die hohen Kosten, andererseits den mangelnden Ausbau der Kinderbetreuung. Zwar gebe es vonseiten der Politik Bemühungen, den Eltern finanziell entgegenzukommen, in der Regel seien die Förderungen jedoch zu gering, heißt es in diversen Medien. Fachleute sagten zum „Wall Street Journal“, dass es ohne finanzielle Anreize nicht möglich sein werde, die Geburtenrate zu erhöhen.

Jugendlicher auf einer Jobbörse in Hongkong, China
Reuters/Tyrone Siu
Die Coronavirus-Pandemie samt den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft

Allerdings waren andere Länder, die umfangreiche Subventionen für Geburten und Kindererziehung eingeführt haben, nur begrenzt erfolgreich. Weil man befürchtete, dass Personen ihre Babywünsche aufschieben, hatte etwa Singapur während der Coronavirus-Pandemie seiner Bevölkerung „Babyprämien“ angeboten, sollte man sich doch für ein Kind entscheiden. Singapur hat eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt und kämpft seit Jahrzehnten darum, diese zu erhöhen. Die Geburtenrate blieb trotzdem niedrig.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit: Kein fixes Einkommen

Die hohen Kosten sind auch deshalb ein Problem, weil viele junge Chinesen und Chinesinnen derzeit Schwierigkeiten haben, ein fixes Einkommen zu erzielen. Die Arbeitslosenquote der 16- bis 24-Jährigen erreichte im April einen Rekordwert von 20 Prozent. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist seit mehreren Jahren ein großes Problem in China. Durch die Coronavirus-Pandemie hat sich die Situation noch verschärft. Viele Geschäfte mussten zusperren, Angestellte wurden entlassen, jene, die neu auf den Arbeitsmarkt kamen, fanden keinen Job.

Wegen der strengen Maßnahmen gingen viele Junge auf die Straße und protestierten gegen die Regierung. Für die Politik war dieser Mix aus Ärger und Wut neu. Die Proteste legten sich, als die Maßnahmen gelockert wurden. Trotz einer Reihe von Maßnahmen, um Junge in den Arbeitsmarkt zu drängen, bleibt die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe nach wie vor hoch, auch wenn die Gesamtquote zwei Monate in Folge gesunken ist.

Die hohen Lebenshaltungskosten gepaart mit der Schwierigkeit, ein fixes Einkommen zu erzielen, lässt die Jungen an einer Familienplanung zweifeln. Hinzu kommt laut Fachleuten, dass die Einkindpolitik auch die Sicht auf das Kinderkriegen in China stark geprägt hat.