Straßenkontrolle der Taliban in der Provinz Panjir
APA/AFP/Wakil Kohsar
Amnesty International

Taliban verfolgen gezielt Zivilisten

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft den in Afghanistan regierenden Taliban eine kollektive Bestrafung von Zivilisten und Zivilistinnen vor. Neben willkürlichen Massenverhaftungen seien auch Hinrichtungen, Folter und das Niederbrennen von Wohnhäusern dokumentiert, hieß es in einem Bericht von Donnerstag. AI dokumentierte noch weitere Kriegsverbrechen in der Provinz Panjir.

Das gezielte Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung und deren kollektive Assoziierung mit dem Widerstand gegen die Taliban führe zu „weit verbreitetem Elend und Angst“ in Panjir, so Agnes Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International.

Die rund 170.000 Einwohner zählende Provinz Panjir nördlich von Kabul gilt traditionell als Hochburg des Widerstands gegen die Taliban. Umso größer war der Rückschlag für alle Taliban-Gegner und -Gegnerinnen, als die neuen Machthaber das Tal mit seinem steilen und schroffen Gebirge im September 2021 doch einnehmen konnten. Das Panjir-Tal gilt auch als Geburtsort der Widerstandsgruppe NRF.

Straßenkontrolle der Taliban in der Provinz Panjir
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Taliban-Kämpfer sind auch in der Nacht unterwegs, um die Einhaltung der Ausgangssperren zu überprüfen

Ausgangssperre und weitere Einschränkungen

Laut Amnesty haben sich nach der Machtübernahme der Taliban auch Soldaten der ehemaligen afghanischen Armee der NRF angeschlossen. Als Reaktion gingen die Taliban nicht nur gegen Kämpfer, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung in der Provinz vor. Auch hätten die militanten Islamisten eine abendliche Ausgangssperre eingeführt. Schäfern sei es an vielen Orten in Panjir nicht mehr erlaubt, ihre Tiere grasen zu lassen.

Weitere Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung seien die Zerstörung und Beschlagnahmung von Eigentum sowie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Die Taliban weisen Kritik wegen Verstößen gegen grundlegende Menschenrechte in der Regel als „Propaganda“ zurück.

Straßenkontrolle der Taliban in der Provinz Panjir
APA/AFP/Wakil Kohsar
Straßenkontrolle der Taliban in der Provinz Panjir

Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Zudem schreibt AI in seinem Bericht, dass die afghanische Bevölkerung bereits vor der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 zahlreichen Menschenrechtsverbrechen ausgesetzt gewesen sei. Diese Situation würde sich nun fortsetzen. Die UNO müsse eine Möglichkeit schaffen, Verbrechen in Afghanistan durch eine internationale und unabhängige Partei zu dokumentieren, Beweise aufzubewahren und die Verantwortlichen schließlich zur Rechenschaft zu ziehen.

Missachtung von Frauenrechten

AI wirft den Taliban auch wegen der Missachtung von grundlegenden Frauenrechten Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Zusammen mit der Internationalen Juristenkommission (ICJ) forderte AI Ende Mai, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten. Alle Kriterien für eine geschlechtsspezifische Verfolgung und somit auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien erfüllt, hieß es in dem in Genf veröffentlichten Bericht.

Kinder auf dem Weg in die Schule in der Provinz Panjir
APA/AFP
Mädchen auf dem Weg in die Schule in der Provinz Panjir

Seit der Rückkehr der militanten Islamisten an die Macht im Sommer 2021 werden Frauen und Mädchen in Afghanistan wieder aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Der Besuch von Universitäten und höheren Schulen ist ihnen untersagt. Auch viele Berufe dürfen sie nicht mehr ausüben. Zu weiteren Beschränkungen gehört das Verbot, öffentliche Parks und Fitnessstudios zu besuchen.

Von Folter bis Verschwinden

„Die Taliban verfolgen Frauen und Mädchen schwerwiegend und systematisch aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit“, sagte ICJ-Generalsekretär Santiago Canton. Frauen, die gegen die Beschränkungen protestieren, drohten willkürliche Verhaftungen, Verschwinden und Folter. Amnesty-Expertin Theresa Bergmann sprach von einem „organisierten, großflächigen und systematischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Straßenszene in Kabul
Reuters/Ali Khara
Verschleierte Frauen in der Hauptstadt Kabul

Wegen der Unterdrückung von Frauen und Mädchen in Afghanistan gibt es international immer wieder Kritik. Anfang Mai sprachen die Vereinten Nationen von einem System der „Geschlechterapartheid“. Der Begriff Apartheid steht vor allem für die frühere jahrzehntelange Unterdrückung von Schwarzen in Südafrika.