Rettungsboot in überschwemmten Wohngebiet in Hola Prystan
Reuters/Alexander Ermochenko
Zerstörter Staudamm

Weiter Tausende Häuser überflutet

Auch Tage nach der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine bleibt die Lage in den überfluteten Gebieten prekär. Ukrainische Behörden orteten am Samstag angesichts sinkender Pegelstände zwar eine leichte Verbesserung – nach wie vor stünden jedoch Dutzende Orte und damit Tausende Häuser teils metertief unter Wasser. Auch das Ausmaß der Schäden ist weiter schwer abschätzbar. „Städte, Infrastruktur, ganze Industrien müssen wieder aufgebaut werden“, wie der ukrainische Botschafter in Deutschland, Olexij Makejew, dazu sagte.

„Die Gesamtschäden werden erst sichtbar, wenn das Wasser abgelaufen ist“, wie Makejew im Interview mit deutschen Medien dazu anmerkte. Der Chef der ukrainischen Militärverwaltung, Olexandr Prokudin, meldete am Freitag zwar allmählich rückgängige Pegelstände. Allein auf der von der Ukraine kontrollierten Seite des Flusses Dnipro seien aber weiter 35 Siedlungen unter Wasser. Mehr als 3.700 Häuser seien überflutet, wie Prokudin weiter ausführte.

Die sinkenden Pegelstände seien dennoch ein erstes Zeichen der Hoffnung. Der Wasserstand in der Region sei den Angaben zufolge im Laufe des Freitags von durchschnittlich rund 5,4 Metern auf nahezu fünf Meter gesunken. Porkudins Kollege in der Region Mykolajiw, Witali Kim, gab ebenfalls an, dass der Pegel dort absinke.

Überschwemmtes Wohngebiet  in Kherson
Reuters
Weite Teile der Region Cherson stehen nach wie vor unter Wasser

Auch Moskau verweist auf sinkende Wasserstände

Von sinkenden Pegelständen berichteten auch die in den von Russland kontrollierten Gebieten eingesetzten Besatzungsbehörden. Nach Angaben des von Russland eingesetzten Gouverneurs der annektierten ukrainischen Region Cherson, Wladimir Saldo, sei der Wasserstand in der an den Damm angrenzenden Stadt Nowa Kachowka seit dem Höchststand von Dienstag um drei Meter gesunken.

Überflutungszone des Dnipro nach Bruch des Damms in Nowa Kachowka mit Hervorhebung bewohnter Gebiete, gemäß Satellitendatenanalyse der UNO-Agentur UNITAR. Stand der Daten: 7.6.2023, veröffentlicht am 8.6.2023.

„Das Abpumpen des Wassers und die Müllentsorgung haben begonnen.“ Mehr als 6.000 Menschen aus den überfluteten Stadtteilen sowie aus Oleschky und Hola Prystan an der Mündung des Flusses ins Schwarze Meer seien evakuiert worden. Bis nächsten Freitag könnte der südliche Teil des Dnipro wieder in sein Flussbett zurückkehren. Das gehe aus vorläufigen Berechnungen zum Sinken der Wassermassen hervor, wie Saldo am Samstag weiter mitteilte.

Stausee mit weiter stark sinkendem Wasserstand

Nach der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat der Stausee laut Behördenangaben mittlerweile mehr als ein Drittel des im Frühjahr angesammelten Hochwassers verloren. „Stand 12.00 Uhr am 10. Juni ist das Niveau des Kachowka-Stausees im Raum Nikopol auf 10,2 Meter gesunken“, teilte der ukrainische Wasserkraftversorger Ukrhidroenerho am Samstag auf seinem Telegram-Kanal mit. Die Wasserkraftanlagen arbeiten nach Angaben des Betreibers mit halber Kraft.

Zugleich teilte Ukrhidroenerho mit, dass am Oberlauf des Dnipro nun stärker Wasser angestaut werde, um im Sommer Strom generieren zu können. Der Dnipro ist als drittgrößter Fluss Europas in der Ukraine an sechs Stellen für die Stromproduktion aufgestaut.

Gegenseitige Vorwürfe

Mit der Zerstörung des Staudamms einher gehen gegenseitige Vorwürfe. Saldo warf der Ukraine zuletzt etwa vor, provisorische Unterkünfte für die von der Flut Vertriebenen zu beschießen. Die Ukraine wirft ihrerseits den russischen Truppen vor, Zivilistinnen und Zivilisten in den Flutgebieten zu beschießen. Beide Seiten beschuldigen sich weiter gegenseitig, für die Zerstörung des Damms verantwortlich zu sein, der seit der Invasion unter russischer Kontrolle ist.

Generalmajor Hofbauer zum Dammbruch

Generalmajor Günter Hofbauer (Österreichisches Bundesheer) sieht nach dem Kachowka-Dammbruch strategische Vorteile für die russischen Verteidiger des überschwemmten Gebietes.

Bundesheer-Generalmajor Günther Hofbauer hatte am Freitagabend in der ZIB2 erklärt, dass die Sachlage eher auf die russische Seite als Verursacherin hindeute, sowohl den militärischen Nutzen als auch die Vorgangsweise bei der Sprengung betreffend.

„Gebraucht wird alles“

Der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, wirft Russland am Beispiel der besetzten Ortschaft Hola Prystan zudem vor, Evakuierungsmaßnahmen zu behindern. „Die Einwohner dort, v. a. Kinder, bitten um Hilfe, u. a. Essen und Trinkwasser“, wie Chymynez via Twitter mitteile.

„Gebraucht wird alles, von Trinkwasserfiltern bis hin zu Schlauchbooten“, brachte indes Makejew die Lage in den überfluteten Gebieten auf den Punkt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland rechnet nach der Zerstörung des Staudamms mit Schäden für Menschen, Umwelt und Landwirtschaft in Milliardenhöhe.

Menschen evakuieren Kühe aus überschwemmten Gebiet in Mykolaiw
Reuters/Alina Smutko
Neben wirtschaftlichen Schäden verweist Makejew auch auf die gestiegene Gefahr durch Minen

Fischsterben und überflutete Getreidelager

Allein die Verluste für die Fischerei „werden durch den Verlust aller biologischen Ressourcen gravierend sein“, so Makejew, der in diesem Zusammenhang auf ein in der Region Cherson bereits registriertes Fischsterben verwies. Überflutet seien zudem mehr als 20.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der sich der ukrainische Gemüseanbau konzentrierte. Auch etliche Getreidelager stünden unter Wasser – zudem könnten derzeit nur wenige Schiffe in den Schwarzmeer-Häfen beladen werden.

Neben den wirtschaftlichen Sorgen nennt der ukrainische Botschafter auch eine potenzielle Gefahr für Menschen durch Minen. „Russland hat am Ufer des Dnipro viele der international geächteten Anti-Personen-Minen verlegt. Durch die Überflutung wurden auch diese Minen erfasst, die jederzeit explodieren können“, sagte Makejew.