Vor den Wahllokalen bildeten sich am Sonntag lange, teils chaotische Schlangen, einige klagten über Verzögerungen bei der Stimmabgabe und Pannen im Wahlsystem. Die Vorwahl, bei welcher der Nachfolger oder die Nachfolgerin des scheidenden Präsidenten Alberto Fernandez gewählt wird, ist obligatorisch und eine argentinische Besonderheit. Nur Parteien und Wahlbündnisse, die mindestens 1,5 Prozent der Stimmen erhalten, dürfen an der Präsidentenwahl teilnehmen.
Nach Angaben der Behörden schnitt Milei bei der Vorabstimmung mit mehr als 32 Prozent am besten ab. „Wir sind die wahre Opposition“, sagte er in einer Rede nach der Wahl. „Es ist unmöglich, ein anderes Argentinien zu schaffen, mit den alten Dingen, die immer gescheitert sind.“ Für den konservativen Oppositionsblock Gemeinsam für den Wandel (JxC) kamen der Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, Horacio Rodriguez Larreta, und die frühere Innenministerin Bullrich gemeinsam auf 28,27 Prozent, mit einem Vorsprung Bullrichs vor Rodriguez.

Mitte-links-Regierung wird für Inflation abgestraft
Damit lagen sie vor der regierenden peronistischen Koalition Union für das Vaterland (UP), die mit 27,19 Prozent nur Platz drei für sich verbuchen konnte – wobei Wirtschaftsminister Massa (21,35 Prozent) wie erwartet weit vor seinem parteiinternen Mitbewerber, dem Hochschullehrer und Gewerkschaftsführer Juan Grabois (5,85 Prozent), lag.
Bisher galt der Peronismus, seit er in den 1940er Jahren unter General Juan Peron eingeführt wurde, als dominante politische Strömung in Argentinien, die sich weder eindeutig links noch eindeutig rechts verorten lässt. Auch die Kirchner-Familie, die seit Jahrzehnten immer wieder hohe politische Ämter besetzt und aktuell die argentinische Vizepräsidentin stellt, entstammt der peronistischen Tradition.

Aktuell gilt das 45-Millionen-Einwohner-Land jedoch als stark polarisiert, die Mitte-links-Regierung wurde für die hohe Inflation und die Krise bei den Lebenshaltungskosten abgestraft. Argentinien steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise – die Inflation liegt bei 115 Prozent, und die Landeswährung Peso ist im freien Fall. Das Land hat hohe Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF), rund 40 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze.
Milei gegen „parasitäre Politikerkaste“
Das Abschneiden des 52-jährigen Milei, der sich als Anti-System-Kandidat präsentiert und mit einer „parasitären Politikerkaste“ in Argentinien aufräumen will, war mit Spannung erwartet worden. Denn „La Peluca“ – die Perücke, wie Milei wegen seiner unfrisierten Haare genannt wird – steht außerhalb des traditionellen Parteienspektrums des südamerikanischen Landes aus Peronisten und Konservativen. Er selbst bezeichnet sich als „Anarchokapitalisten“ und die Klimakrise als „sozialistische Lüge“.
Der Anhänger der österreichischen Schule der Ökonomie will unter anderem die Zentralbank abschaffen und den US-Dollar als Währung einführen, öffentliche Ausgaben kürzen und das Bildungs- und Gesundheitssystem privatisieren. Zudem plädiert er für freie Liebe, gleichgeschlechtliche Ehe und unbegrenzte Einwanderung. Der Staat solle sich nicht in das Privatleben der Menschen einmischen. Bevor er Steuern erhöhe oder einführe, würde er sich „eher einen Arm abhacken“.

Wirtschaftskrise ebnete Überraschungssieg
Zudem würden der Staat und der Internationale Währungsfonds (IWF) den Argentiniern durch Inflation ihr Geld stehlen und sie durch „asoziale“ Sozialleistungen abhängig und wirtschaftlich unkreativ machen. Wegen seines schrillen Aufretens und derartigen Aussagen wird ihm eine ideologische Nähe zum früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und Ex-US-Präsident Donald Trump nachgesagt. „Die gemeinsame Linie ist unser Kampf gegen den Kommunismus, gegen den Sozialismus“, verwies auch Milei selbst auf Gemeinsamkeiten.
Wenngleich der Sieg des Ökonomen in der Vorwahl überraschte, hatten Expertinnen und Experten einen Einzug in die Präsidentenstichwahl bereits seit dem Erfolg seines libertären Parteienbündnis La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) bei den Parlamentswahlen 2021 für möglich gehalten. Die Wirtschaftskrise hat viele Argentinier von den großen Parteien entfremdet und so den Weg für den Überraschungssieg der Liberalen geebnet.
Die kommende Wahl sei eine Chance für einen Außenseiter, der „einfache und eindringliche Antworten zu haben scheint“ und diese geschickt über die sozialen Netzwerke verbreite, schreibt „Americas Quarterly“. Mit seiner Ablehnung gegenüber Themen wie Abtreibung und seiner Kritik am Feminismus könnte er jedoch für viele argentinischen Wählerinnen und Wähler letztlich doch zu radikal sein.