Die Serie an Explosionen in Schweden reißt nicht ab. Zuletzt berichtete die Polizei in Göteborg am Donnerstag von zwei Explosionen gegen 1.00 Uhr nachts, eine Stunde später wurden jeweils eine Explosion im Stockholmer Vorort Norsborg und in der Stadt Nyköping etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt gemeldet. Verletzt wurde nach Polizeiangaben niemand.
„Beide Tatorte wurden abgesperrt, und technische Ermittlungen laufen“, erklärte die Polizei in Göteborg. Fachleute für die Bombenentschärfung seien im Einsatz. Alle vier Explosionen ereigneten sich nach Behördenangaben in Wohnvierteln. Die Schäden konnte die Polizei am Donnerstag noch nicht beziffern.

In den letzten Tagen hatte es in Schweden bereits mehrere Vorfälle gegeben, die mit Bandengewalt in Verbindung gebracht wurden. Ein junger Mann war in Helsingborg in seinem Auto erschossen worden, ein Bursche im höheren Teenager-Alter wurde später unter Mordverdacht festgenommen. Zuvor waren zwei 14-jährige Burschen tot in einem Waldgebiet gefunden worden, da sie angeblich in Schwierigkeiten mit kriminellen Netzwerken geraten waren.
Rekordwert bei in Verbrechen verwickelten Teenagern
Schweden hat seit mehreren Jahren mit der schweren Bandenkriminalität zu kämpfen, die sich immer wieder in Schüssen und vorsätzlich herbeigeführten Explosionen äußert. Im vergangenen Jahr zählte die schwedische Polizei 391 Schießereien im Land, 62 davon endeten tödlich. Allein in diesem Jahr gab es in Schweden bisher bereits mehr als 100 Explosionen. Nach Auffassung der Polizei sollen die Bomben und Handgranaten vor allem der Einschüchterung dienen.
Dabei sind immer wieder Teenager und junge Männer unter den Opfern und Tätern. Die Zahl der 15- bis 17-Jährigen, die wegen schwerer Verbrechen wie Mord und versuchter Mord strafrechtlich verfolgt werden, sei auf den höchsten Stand seit 2019 gestiegen, berichtet der „Guardian“. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe es 42 Personen in dieser Altersgruppe gegeben, die des versuchten Mordes verdächtigt wurden. 2022 seien es noch 38 gewesen.
Relativ einfacher Zugang zu Schusswaffen
Ein Problem sei der relativ einfache Zugang zu Schusswaffen, die laut Angaben der Polizei vor allem aus dem Balkan kommen. Da zunehmend jüngere Kinder ab zehn Jahren für den Drogenhandel rekrutiert werden, steige auch die Zahl derer, die bei Konflikten mit tödlichen Folgen von Waffen Gebrauch machen. Die Polizei befürchtet, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch Waffen aus der Ukraine ihren Weg nach Schweden finden.
Etwa in der schwedischen Kleinstadt Örebro seien Schusswaffen so leicht zu bekommen, dass die meisten der Jugendlichen, mit denen Sozialdienste im Zusammenhang mit Jugendkriminalität arbeiten, innerhalb eines Tages in den Besitz einer Waffe gelangen könnten. „Die Kontakte sind da, wenn man sie will. An Drogen könnten sie sogar noch schneller kommen“, zitiert der „Guardian“ Sabrina Farlblad vom Sozialamt der Stadt.

Verschärfungen für Drogenkäufer gefordert
Bei den vergangenen Schießereien vor Schulen und Spielplätzen in Örebro sei es vor allem um Drogen und Machtkämpfe gegangen, zitiert der „Guardian“ die Anwältin und Expertin für Jugendkriminalität Evin Cetin. Die Regierung müsse sich die Frage stellen: „Können wir die Bandenkriminalität bekämpfen, die Kindersoldaten rekrutiert, ohne das milliardenschwere Drogengeschäft zu bekämpfen?“
Anders als in den meisten Teilen Europas, wo der Vertrieb von Drogen vor allem von älteren Männern gesteuert wird, würden in Schweden mittlerweile 16- und 17-Jährige ein halbes Kilogramm Kokain auf Leihbasis kaufen und jüngere Kinder dazu bringen, es zu verkaufen. „Das ist der Grund für diese Schießereien“, sagte sie.
Anstatt sich auf die Bestrafung von Kindern zu konzentrieren, die Drogen verkaufen, sollte mehr Fokus auf diejenigen gelegt werden, die sie von jungen Menschen kaufen, sagte Cetin. Auch die ehemalige schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson forderte kürzlich härtere Strafen für diejenigen, die Drogen von Kindern kaufen.
Expertin: Frühe Warnungen ignoriert
Cetin sieht die Schuld bei den letzten Regierungen und der Polizei, die es versäumt hätten, eine Warnung der damaligen Expertin für Jugendkriminalität, Carin Götblad, aus dem Jahr 2010 zu beherzigen. Die jetzige Polizeipräsidentin habe schon damals gewarnt, dass sich 5.000 Kinder und Jugendliche auf dem Weg zu schwerer Kriminalität befänden. Diese Kinder seien heute führende Figuren in der Bandenkriminalität, so Cetin.
Jedes Mal, wenn ein Kind oder Jugendlicher durch Tod oder Gefängnisstrafe aus der Kriminalität ausscheide, werde ein anderer rekrutiert. „Und das ist das große Problem. Man kann so viele wie möglich einsperren, aber es kommen immer noch neue Kinder nach.“ Die zunehmende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit sei ein Motivationsfaktor für Kinder, mit dem Drogenhandel zu beginnen. Das gelte insbesondere für Burschen, die in der Schule scheitern, und für Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit.
Schwedische Regierung kündigt Maßnahmen an
Die schwedische Regierung hat jüngst Maßnahmen angekündigt, die es Schulen, Sozialdiensten und der Polizei erleichtern sollen, Informationen auszutauschen. So sollen gefährdete Kinder frühzeitig erkannt werden. Auch Projekte wie Selbsthilfegruppen und eine Gruppengewaltintervention sollen dabei helfen, Personen aufzuspüren, die in Gewaltverbrechen verwickelt sind oder mit ihnen in Verbindung stehen.
Ein im August veröffentlichter Regierungsbericht, an dem Polizeipräsidentin Götblad als Expertin mitwirkte, schlägt vor, dass Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren, die schwerste Straftaten begehen, inhaftiert werden sollten. „Wir brauchen viel mehr Korrekturinstrumente, weil wir heute eine naive Gesellschaft haben“, so Götblad. „Die Gesellschaft, für die unsere Gesetze gemacht sind, und die Behörden, die gibt es nicht mehr.“