Angesichts der Darstellung der Zustände in Österreich in der Öffentlichkeit könne es passieren, „dass man hin und wieder in Rage gerät“, meinte Kocher. Zwar gebe es sicher Sorgen und Nöte, die sich aus der Teuerung ergeben würden. „Wir wissen, dass es Menschen gibt, die Schwierigkeiten haben, und die unterstützen wir auch“, sagte Kocher und verwies auf getroffene Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. „Dass die Teuerung viele trifft, ist klar.“
Dass es im Land generell weit verbreitet „manifeste Armut“ gebe und Kinder Hunger leiden, sei aber falsch, das würden Zahlen belegen, sagte er, ohne diese konkret zu nennen. Abgesehen davon seien die im Internet verbreiteten Ausschnitte der Rede Nehammers nicht für die Öffentlichkeit gedacht gewesen. Das Video war bei einer Funktionärsveranstaltung in Salzburg im Juli aufgenommen worden und hatte wegen Aussagen zu Frauen in Teilzeit und Kinderarmut Wellen geschlagen.
Kocher sprach sich für eine „faktenorientierte Diskussion“ und „Kontextualisierung“ aus. Über einzelne Punkte, die Nehammer angesprochen habe, könne man sicher diskutieren. Beim Thema Teilzeit bleibt aber auch Kocher auf dem Standpunkt, dass viele Österreicherinnen und Österreicher aus demografischen Gründen mehr Stunden arbeiten sollten, wenn sie es auch können. Kinderbetreuungspflichten seien dabei „natürlich“ ausgenommen.
Kocher sieht keine „generelle“ Kritik an Sozialpartnern
Auch an der Sozialpartnerschaft habe der Kanzler nicht „generell“ Kritik geübt, interpretierte Kocher die Aussagen Nehammers, etwa dass die Gewerkschaft ein „großer Bremser“ sei. Die Sozialpartner seien eine Interessenvertretung, die in vielen Bereichen „eine sehr wichtige Rolle“ in Österreich spiele, es sei gut, sie einzubinden.
„Ich glaube nicht, dass der Bundeskanzler sagen würde, dass die Sozialpartnerschaft zurückgedrängt werden soll.“ Kritik gebe es aber daran, dass Maßnahmen der Regierung bei den Lohnverhandlungen nicht so stark einbezogen worden seien, „als wir uns gewünscht hätten“. Ein entscheidender Punkt seien zudem klare Abgrenzungen und Verantwortlichkeiten.
Kocher: Keine Eingriffe bei Teuerung mehr
In der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag war diesmal Wirtschafts- und Arbeiterminister Kocher (ÖVP) zu Gast. Thema in der „Pressestunde“ waren unter anderem die Arbeitsgebiete des Ministers: Es werde bei der Teuerung keine weiteren Eingriffe des Staates geben, sagte Kocher.
Lohnverhandlungen: Auch diesmal nicht einmischen
In dem Zusammenhang auf die am Montag anstehenden Lohnverhandlungen der Metaller angesprochen, betonte Kocher, sich nicht einmischen zu wollen. Wenn es notwendig sei, gebe es Unterstützung von der Regierung, „der Wunsch muss aber von den Sozialpartnern kommen, wir werden das Ergebnis bewerten, aber nicht Verhandlungen beeinflussen“.
Es sei klar, dass es sich heuer angesichts der Teuerung um eine schwierige Lohnrunde handle und es unterschiedliche Sichtweisen gebe. Er sei aber davon überzeugt, dass sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberseite wüssten, welches Verantwortungsbewusstsein sie hätten. Es gehe darum, die Kaufkraft zu sichern, die Inflation zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Kocher verweist auf Rückgang bei Inflation
In puncto Inflation sah Kocher Österreich auf dem richtigen Weg und verwies abermals auf den „Gesamtkontext“. Zwar sei die Inflation im Euro
-Zone-Vergleich mit aktuell 6,1 Prozent laut Schnellschätzung der Statistik Austria nach wie vor vergleichsweise hoch, man verzeichne aber bereits einen Rückgang. In Ländern wie Spanien sei die Inflation niedriger, ein höheres Budgetdefizit sei aber die Folge.

Der Fokus sei aber definitiv „weiter Inflation drücken“, gerade bei den Energiepreisen seien niedrigere Gebühren sowie Transparenz entscheidend. Ziel sei nächstes Jahr eine Inflationsrate im Euro-Zone-Schnitt. Man habe als Staat in gewissen Bereichen bereits „stark eingegriffen“, etwa bei der Mietpreisbremse. Wenn man darüber hinausgehe, müsse man laut Studien aber mit „massiven Nebeneffekten“ wie weniger Produkten im Supermarkt oder weniger Bauvorhaben rechnen. Einen „Deckel“ auf alles zu legen sei eine populistische Forderung.
Herausforderungen sah Kocher beim Thema Arbeitsmarkt und Demografie. Beim nächsten wirtschaftlichen Aufschwung werde sich der Fachkräftemangel „noch dramatischer gestalten“, es brauche daher eine Fachkräftestrategie, um öffentliche Leistungen und Wohlstand aufrechtzuerhalten, gerade für ausländische Staatsbürger müsse man „weiterhin attraktiv“ sein.

Gegen „Verzichtsdiskussionen“ bei Klimakrise
Dass es nach wie vor kein Klimaschutzgesetz in Österreich gibt, bewertet Kocher indes als wenig problematisch. Ziel sei „klar: 2040 Klimaneutralität“. Die Regierung sei hier bestrebt, voranzukommen, sagte Kocher und verwies etwa auf die Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung. Entscheidend sei die Umsetzung derartiger Maßnahmen, weniger die „hochstilisierte Symbolik“ eines solchen Gesetzes.

Schwierig werde es jedoch, wenn man die Bevölkerung „verliert auf dem Weg“. Es sei ein „Problem, wenn sich in einer Demokratie eine Mehrheit gegen die Maßnahmen stellen würde“. Man müsse wegkommen von „Verzichtsdiskussionen“ und „Horrorszenarien“, mit denen man leben müsse, und stattdessen „positive Erzählungen und Einschätzungen mit Maßnahmen verbinden“, sagte er und verwies etwa auf österreichische Recycling- und Solarunternehmen. Klimaschutz könne „gute Lösungen anbieten, wodurch Arbeitsplätze und Wertschöpfung entstehen“.
Stimmung in Koalition „sehr gut“
Positiv äußerte sich Kocher zur Zusammenarbeit mit den Grünen, obwohl es natürlich unterschiedliche Standpunkte gebe: „Insgesamt ist die Stimmung und das Klima in der Koalition sehr gut.“ Die nach wie vor teilweise ausstehende Besetzung von Spitzenpositionen sei ein „heikler Punkt“, da es in der Vergangenheit „oft Entscheidungen gegeben hat, die nicht optimal waren“.
Darum ringe die Bundesregierung um „gute Lösungen“, die jeweiligen Institutionen wie die Bundeswettbewerbsbehörde würden aber „gut funktionieren“. Arbeit gebe es in der restlichen Legislaturperiode genug zu erledigen. Die Frage, ob Kocher – der mehrmals betonte, parteifrei zu sein und kein ÖVP-Mitglied werden zu wollen – auch in einer von der FPÖ angeführten Regierung seinen Job weiter machen würde, verneinte er: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Ob er nächstes Jahr wieder Ministerkandidat werde, hänge unter anderem von den Inhalten eines künftigen Regierungsprogramms ab.