Szene aus „Doubles Vies“
Viennale

Das Beziehungsleben der Büchermenschen

Regisseur Olivier Assayas ist ein alter Bekannter bei der Viennale und legt diesmal seine erste Komödie vor. „Doubles Vies“ ist wie ein Besuch bei kultivierten, äußerst gesprächigen Freunden, die nicht mehr ganz „up to date“ in Sachen Internet sind.

Ein Schriftsteller trifft seinen Verleger, drängt auf Rückmeldung. Der Verleger aber ist abweisend: Nein, den aktuellsten Roman will er nicht drucken. Zu oft hat der Schriftsteller schon plump auf das eigene Leben zurückgegriffen, hat den halben Freundeskreis kompromittiert und seine eigenen kleinen Liebesaffären zum Auffrischen seiner literarischen Versuche benutzt. Diesmal wird er damit nicht durchkommen.

Der Wandel im Geschichtengeschäft

Vielleicht ist es, weil der Verleger Alain (gespielt von Guillaume Canet) selbst unter Druck steht und seine ganze Branche an der Kippe zu stehen scheint: Ist das Drucken von Büchern noch zeitgemäß? Ja, die Leute lesen, aber muss das denn zwischen zwei kartonierten Buchdeckeln stattfinden? In „Doubles Vies“, seiner ersten ganz eindeutigen Komödie, untersucht Assayas die Sorgen jener Leute, die im Geschichtengeschäft zugange sind: Autoren, Verlagsleute, aber auch Schauspielerinnen, die mit den Geschichten arbeiten müssen, die ihnen geschrieben werden.

Szene aus „Doubles Vies“
Viennale
Autor Leonard (Vincent Macaigne) benutzt sein eigenes Leben als Rohmaterial für seine Romane – was nicht allen gefällt

Es ist ein loser Freundeskreis, in dem hier diskutiert, verhandelt und überlegt wird, bei Rotwein und ausufernden Abendessen, dann wieder auf Podien, sorgenvoll, trotzig, oder – von den Jüngeren der Branche – mit leiser Abschätzigkeit jenen gegenüber, die altmodisch am Papier kleben bleiben: Wie geht es weiter? Müssen Verlage sterben, weil der Druck zu teuer ist, ganze Bibliotheken ohnehin auf einem E-Reader Platz finden? Und warum verpulvern so viele ihr kreatives Pulver auf Twitter, wo sie morgen längst vergessen sind?

Sich selbst erzählen

Der Kitt, der diese Diskussionen zusammenhält, sind die Affären kreuz und quer durch den Freundeskreis: Verleger Alain beispielsweise hat da eine Sache mit der jüngeren Social-Media-Expertin Laure (Christa Theret) laufen, der er sich von Alters wegen unterlegen fühlt. Alains Frau Selena (Juliette Binoche), eine Fernsehschauspielerin, schläft dafür seit Jahren mit seinem Autor Leonard (Vincent Macaigne). Und dessen Frau, Assistentin eines Politikers mit speziellen Problemen, weiß natürlich von dem Betrug – schließlich liest sie Leonards Bücher.

Szene aus „Doubles Vies“
Viennale
Beide im Geschichtengeschäft: Selena (Juliette Binoche) ist Schauspielerin, ihr Mann Alain (Guillaume Canet) verlegt Bücher, solange der Markt es noch zulässt.

Das Thema der Autofiktion, also des eigenen Lebens als Quelle für Autoren, ist hier wie ein ironischer Kommentar auf Assayas’ eigenes Filmschaffen, das sich immer wieder mehr oder weniger offensichtlich auf Biografisches bezieht. Wobei: „Ich bin hoffentlich ein wenig ethischer in meinem Umgang mit den Geschichten der Menschen um mich als der Autor im Film“, so Assayas. „Aber was mein Schreiben betrifft, funktioniere ich wohl ähnlich wie er.“

Revolution von gestern

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Assayas die technische Moderne in einen seiner Filme hineinholt. In „Demon Lover“ (2002), war es die Welt des Cyberspace, in Assayas’ letztem Film „Personal Shopper“ handelte eine lange Szene praktisch ausschließlich von einer Konversation per Textnachrichten auf dem Smartphone. Solche Versuche sind im Kino immer heikel, weil sie sehr schnell veraltet und anbiedernd wirken, dieser Gefahr ist Assayas bisher aber entkommen.

Diesmal wagt er sich ganz nah an die Diskussion über die digitale Revolution heran: „Ich wollte einen Film machen, der Teil der momentanen Konversation in der Gesellschaft ist, und bei dem auch der Zuschauer in einem gewissen Sinn Teil dieses Austauschs ist“, sagt Assayas. „Die Figuren drücken ihre Meinung aus, andere widersprechen ihnen, und als Zuschauerin sind Sie Teil davon.“

Filmhinweis

„Doubles Vies“ läuft bei der Viennale am 27.10. um 20.45 Uhr und am 28.10. um 12.00 Uhr jeweils im Gartenbaukino.

Bleibt alles anders

Gerade in diesem Versuch des Zeitgenössischen hinkt „Doubles Vies“ – bedingt wohl durch die Produktionszeit eines Kinofilms von zwei bis drei Jahren – um gerade diese Periode nach: Die Diskussion ist längst weiter, das Internet ist zu schnell, Memes (Wort- oder Bildwitze, die sich in Windeseile in tausendfacher Variation über Soziale Netzwerke verbreiten) sind nach anderthalb Tagen schon wieder passé. Wie soll da etwas so Schwerfälliges wie ein Kinofilm mithalten können?

Dennoch gelingt es Assayas, etwas Gültiges festzuhalten – nämlich, dass die einzige Konstante der Wandel selbst ist: „Dieser Film erzählt davon, wie wir uns an Wandel anpassen, ganz generell. Die Welt hat sich immer verändert, aber in unserer Gegenwart ist der Motor des Wandels die digitale Revolution. Und egal ob wir uns daran anpassen oder dagegen aufbegehren – wir müssen uns auf jeden Fall dazu verhalten.“