Filmstill aus „Suspiria“
Viennale

„Suspiria“: Tänzerinnen, aufs Blut gequält

Berlin, 1977. Eine legendäre Tanzkompanie entpuppt sich als Hexenzirkel, der die Revolution plant: Luca Guadagninos Remake des Horrorklassikers „Suspiria“ von Dario Argento holt den Schrecken nah an die Gesellschaft.

Von einer Hexenverschwörung erzählt das Mädchen, von Gedankenmanipulation, von grauenvollen Ritualen und entsetzlichen Quälereien. Panik ist in ihren Augen, als sie sich dem Psychologen Dr. Klemperer anvertraut. Der brummt besorgt und macht ein paar Notizen. Es sind Wahnvorstellungen, das ist offensichtlich. Doch was hat diese junge Frau tatsächlich so verstört?

Luca Guadagninos „Suspiria“ ist eine Neuauflage des Films von Horrormeister Dario Argento, der 1977 ins Kino kam und rasch Kultstatus erreichte, mit drastischen Farbinszenierungen und einer Geschichte, in der junge Tanzschülerinnen als Hexenopfer dargebracht werden. Guadagninos Version verortet die Geschichte in Berlin 1977, das sich im Umbruch befindet: Der RAF-Terror spaltet die Gesellschaft, die Mauer hat der Stadt eine klaffende Wunde zugefügt, der Zweite Weltkrieg ist nicht einmal ansatzweise verarbeitet.

Filmhinweis

„Suspiria“ läuft bei der Viennale am 1.11. um 21.30 Uhr und am 5.11. um 23.00 Uhr in Anwesenheit von Tilda Swinton, jeweils im Gartenbaukino.

Österreichweiter Filmstart ist am 15.November 2018.

Alle Schrecken des Jahrhunderts

„Darios Film hat ja in Freiburg gespielt, insofern war Deutschland als Handlungsort immer im Bild“, sagte Guadagnino dazu im ORF.at-Gespräch. „Wir haben uns das Jahr 1977 als Knackpunkt für unsere Filmversion überlegt: Berlin ist zu diesem Zeitpunkt in Aufruhr. Ein großer Konflikt erschüttert das Fundament dieser Gesellschaft, die gerade erst wieder aufgebaut wurde nach den Schrecken in der ersten Hälfte des Jahrhunderts.“

Die junge Amerikanerin Susie Bannion (gespielt von „50 Shades of Grey“-Star Dakota Johnson) bewirbt sich da als amerikanischer Neuankömmling bei einer berühmten Berliner Tanzkompanie unter der Leitung von Madame Blanc (Tilda Swinton). Erst vor Kurzem ist dem Ensemble ein Mitglied abhandengekommen. Dass es sich dabei um das verstörte Mädchen vom Filmbeginn handelt, wird bald klar. Tatsächlich ist hier nichts, wie es scheint: Alle Choreografinnen sind in Wahrheit Hexen, die auf ihre Weise die Revolution planen.

Wegschauen ist keine Option

„Wie zu diesem Zeitpunkt in Deutschland einander zwei Fronten in der Schuldfrage gegenüberstehen, wie da auf der einen Seite die Verantwortung für begangenes Unrecht vernachlässigt wird, und auf der anderen Seite die Brutalität des RAF-Terrors, das verursacht ein hohes Maß an Beklemmung in der Gesellschaft“, so Guadagnino. „Diese beiden Dinge haben wir in diesem Hexenzirkel widergespiegelt.“

Diese politische Einbettung liefert in der ersten Filmhälfte einen verheißungsvoll dichten Hintergrund, vor dem aberwitzige Körperkunst inszeniert wird, streckenweise mit fast unerträglicher Brutalität. Wegschauen geht nicht, das Kino verlassen erst recht nicht, zu faszinierend ist, wie hier Tanz zur Waffe wird. In einer Szene tanzt Dakota Johnson da wie um ihr Leben oder um den Tod – und übt dabei eine Gewalt aus, die dem Publikum fast den Magen umdreht.

Filmstill aus „Suspiria“
Viennale
Dakota Johnson als Susie Bannion

Ein realer Hexentanz

Tilda Swinton hat sich für den Film eingehend mit Tanz als politischer Kategorie befasst: „Eine wichtige Referenz für die Figur der Madame Blanc war die große Choreografin Mary Wigman, eine Pionierin des expressionistischen Tanzes. Ihr war es gelungen, ihre Tanzkompanie während des Dritten Reiches aufrechtzuerhalten“, sagte Swinton gegenüber ORF.at. „Und ihr großes Meisterwerk hieß ‚Hexentanz‘.“

Johnson, Swinton und ihre Kolleginnen haben die meisten Szenen selbst getanzt, der Soundtrack zum Film stammt von „Radiohead“-Mastermind Thom Yorke, und der Psychologe Dr. Klemperer, laut Abspann von einem gewissen Lutz Ebersdorf dargestellt, ist in Wahrheit ebenfalls Tilda Swinton in Gummimaske, wie sie mittlerweile zugegeben hat: Rund um dieses „Suspiria“-Remake gibt es viel zu erzählen, der ganze Film ist ein herrlich formal verspieltes Ding.

Und dann ist da leider das Ende, das in die lang erwartete Eskalation mündet. Doch die ist weder formal noch erzählerisch interessant, und versucht mit visueller Überwältigung zu kompensieren, dass der ganze schöne Spannungsaufbau im Boden versickert. Alles, was noch reizvolles Geheimnis war, wird auserzählt – ganz anders als im Original, wo vieles der Fantasie überlassen bleibt. Die ist halt doch mächtiger als jeder Kinofilm.