Filmstill aus „Las Hijas Del Fuego“
Viennale

Warum liegt hier überhaupt Stroh rum?

Regisseurin Albertina Carri hat mit „Las Hijas del Fuego“ einen Film vorgelegt, der drei Themen hat: Rhythmus, Poesie und Befreiung, abgehandelt in Form eines lesbischen Roadpornos – reden und vögeln abseits des Prinzips „Warum liegt hier überhaupt Stroh rum?“

Die Strohfrage ist einer der meistgeteilten Schmähs im deutschsprachigen Internet und entstammt einem durchschnittlichen, billig produzierten Porno, bei dem die Dialoge nicht gerade im Fokus des Interesses stehen. Sie, in Reizwäsche, geht mit dem Installateur, der eine Latexmaske trägt, in den Waschraum, wo Stroh als Bettersatz bereitsteht. Er stellt dann die Kultfrage nach dem Stroh und die beiden machen sich ans Werk.

Der Strohfilm ist die These, „Las Hijas del Fuego“ die Antithese. Das Gros der Pornos sind uninspirierte Rammeleien, die den heteronormativen Blick verfestigen, wobei sich die Darsteller, weil sie auf das wenige Geld angewiesen sind, auf entwürdigende Weise vorführen lassen. Die Pornos sind gleichermaßen ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse und perpetuieren sie. „Las Hijas“ hingegen ist eine Utopie des Vorwärtstastens – im Wortsinn.

Filmstill aus „Las Hujas Del Fuego“
Raspberry & Cream
Die Schwestern des Feuers bei ihrem orgiastischen Roadtrip

Das Reiben gibt den Takt vor

In „Las Hijas“ macht sich eine Regisseurin mit zwei Freundinnen und einem alten Transporter auf die Reise entlang der argentinischen Küste, um Stationen der eigenen Vergangenheit abzuklappern. Dabei gesellen sich immer weitere Freundinnen und Zufallsbekanntschaften zu ihnen. Ein Großteil der Zeit wird dem Küssen, Lecken, Dildos-Reinstecken und Popoklatschen gewidmet, zu zweit, zu dritt, zu zwanzigst, am Pool, in der Natur, im Wohnzimmer.

Filmhinweis

„Las Hijas del Fuego“ läuft bei der Viennale noch am 5.11. um 16.00 Uhr in der Wiener Urania.

Die Orgien sind auf dreierlei Weise in die Handlung eingewoben: Zweimal als Fantasie, nämlich wenn die Regisseurin an ihrem Pornodrehbuch arbeitet oder wenn eine der Frauen von Sex träumt. Und einmal real, wenn die Freundinnen mit ihrem Bus halten. Die Sexszenen sind sorgsam choreografiert, anfängliche Vorsicht steigert sich zur Ekstase, eingepeitscht vom hörbaren Schmatzen und treibenden Beats: Der Rhythmus des Reibens, Streichelns und Stöhnens gibt den Takt in diesem Film vor.

Freiheit und Ekstase

Soviel zum Rhythmus, weiter zur Poesie: Die Regisseurin im Film sinniert aus dem Off über mögliche Ästhetiken der Pornografie und streift dabei mit ihren Gedanken die argentinische Landschaft genauso wie die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Frauen, die sich am wilden Treiben beteiligen. Die einprägsamen Bilder sorgen für die nötige Aufmerksamkeit und dafür, dass sich die mit Bedacht gewählten Worte in tiefe Bewusstseinsschichten einbrennen.

Und genau das sollen sie auch, womit der dritte Grundpfeiler des Films zum Tragen kommt, die Befreiung. Erstens wirkt Sex ohne Tabus befreiend. Zweitens wird mit Geschlechterrollen gespielt, bis sie ganz über Bord geworfen werden und die Frauen Bärte tragen. Und drittens wird ganz konkret an der Befreiung aus patriarchalen Zwängen gearbeitet, etwa, als man eine Freundin aus alten Tagen von ihrem gewalttätigen Ehemann befreit. Viertens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt: Es befreit, diesem Trupp zuzuschauen, der seine Freiheit so ekstatisch feiert, als wäre der letzte aller Tage angebrochen.