Filmstill aus „Vox Lux“
Viennale

„Vox Lux“: Ein Star zwischen Gaga, Bush und Trump

Ausgerechnet durch eine Tragödie, die die ganzen USA erschüttert, wird ein Mädchen praktisch über Nacht zur Stimme der Nation. „Vox Lux“ begleitet einen fiktiven Popstar auf dem Weg von Unschuld über Glamour hin zu Exzess. Das Leben der Kunstfigur, die genauso Lady Gaga wie Britney Spears ist, wird so zu einer nicht immer ganz subtilen Parabel auf die jüngste US-Geschichte.

Regisseur Brady Corbet, selbst gerade erst 30, verlegt den Auftakt seines viergeteilten Popdramas in das Jahr 1999, für viele Millennials wohl jenes Jahr, in dem sich erstmals ein Stimmungswandel in den USA bemerkbar machte. Es war das Jahr des Schulmassakers in Columbine, bei dem 14 Menschen starben, Bilder der Tat erschütterten weltweit Jugendliche gleichermaßen wie Erwachsene.

Corbet greift das Motiv des Massakers auf und verlegt es in eine New Yorker Schule. Nachdem der Attentäter bereits eine Lehrerin ermordet hat, stellt sich ihm die 13-jährige Celeste (Raffie Cassidy) entgegen, die an die Vernunft und den Glauben des Amokläufers appelliert („Lass uns beten“), letztlich wird sie aber wie ihre Lehrerin und ihre Kolleginnen und Kollegen von einer Kugel im Genick getroffen. Im Gegensatz zu vielen überlebt sie den Angriff jedoch schwer verletzt.

Die Entstehung einer amerikanischen Heldin

Im Krankenhaus beginnt der Wandel von der Überlebenden zur stilisierten amerikanischen Heldin: Gemeinsam mit ihrer Schwester Eleanor (Stacy Martin), die ihr seit dem Attentat nicht von der Seite weicht, wird das gemeinsame Geklimpere auf einem kleinen Keyboard zum Grundstein ihrer Karriere. Bei einer Gedenkveranstaltung fehlen ihr die Worte – stattdessen singt sie ihr einstudiertes Lied. Der Song trifft ins Herz der Nation, der Erzähler aus dem Off (Willem Dafoe) nennt es eine „Hymne“, die über Nacht zum Hit wird.

Corbet macht ein Band um Celestes Hals zum Markenzeichen des aufsteigenden Popsternchens, es dient als ständige optische Erinnerung an die Bluttat. Die restliche erste Hälfte erzählt die ersten Gehversuche im Showbusiness: die Zusammenarbeit mit ihrem Manager (Jude Law), der sie groß rausbringen will, und eine anschließende Reise nach Schweden, um ihr erstes Album aufzunehmen.

Doch auch die persönliche Entwicklung wird im Schnelldurchlauf skizziert: nach einem Rausch zum ersten Mal von der großen Schwester vor der Kloschüssel die Haare gehalten bekommen, ein erster sexueller Kontakt mit dem Frontmann einer Punk-Band, ein schlechtes Erlebnis mit Schmerzmitteln, die sie seit dem Massaker braucht.

Hinweis

„Vox Lux“ wird im Rahmen der Viennale noch am 5. November um 15.30 Uhr und am 6. November um 6.30 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

11. September als Wendepunkt

Dazwischen gibt es Popsongs aus der Feder der australischen Sängerin Sia, gepaart mit einigen bissigen Kommentaren: „Ich will nicht, dass Leute zu sehr nachdenken müssen“, sagt Celeste an einer Stelle über ihr musikalisches Schaffen. Die Anschläge vom 11. September dienen als nächster Wendepunkt in ihrem Leben, einmal mehr ist es New York, das Corbet als Symbol für die gesamten USA – damals unter George W. Bush – dient. Celestes „Verlust der Unschuld spiegelt jenen der Nation wider“, kommentiert Dafoe den Wandel aus dem Off.

Einen Zwischentitel später ist das Publikum im dritten Teil des Films und im Jahr 2017 – jenem des Amtsantritts von US-Präsident Donald Trump. Celeste, jetzt gespielt von Natalie Portman, ist mittlerweile 31, der plötzliche Ruhm hat deutliche Spuren hinterlassen. Sie flucht, sie trinkt, und der Glaube an Gott ist dem Glauben, dass sie selbst Gott sei, längst gewichen.

„Extrem“ ist das neue „normal“

Der harte Schnitt setzt einen abrupten Schlussstrich unter die Coming-of-Age-Geschichte und zeigt die Auswirkungen des Ruhms in einer Welt, die den Anschein erweckt, das „extrem“ das neue „normal“ geworden ist. Dennoch schlägt Corbet formal und erzählerisch einige Brücken zum ersten Teil, etwa indem Cassidy die Rolle von Celestes Tochter im Teenager-Alter übernimmt. Und auch das Motiv des Massakers wird erneut aufgegriffen.

Portman geht in ihrer Rolle als Popstar, der „too big to fail“ geworden ist, komplett auf. Sie spielt Celeste als Mischung aus Britney Spears und Lady Gaga und wirft im Hinblick auf Bradley Coopers „A Star is Born“ mit der echten Gaga die Frage auf, wer einen erfolgreichen Popstar letztlich authentischer mimt. Manchmal wirkt Portmans Spiel sehr übertrieben – aber nie so, dass man ihr das Stardasein nicht trotzdem abkaufen würde.

Eingängige Lyrics lassen viele Fragen offen

Als das erwähnte „Spiegelbild der Nation“ verdichtet Corbet seine Protagonistin gegen Ende hin zunehmend zur Ikone, zum Symbol, nicht nur für die Unterhaltungsindustrie, sondern für ein gesamtes Land. Alles deutet über lange Strecken auf einen Paukenschlag hin – schließlich schickt Corbet sein Publikum mit einigen offenen Fragen und einer guten Diskussionsbasis für Sitznachbarinnen und -nachbarn nach Hause.

Corbets erst zweiter Film deckt eine Zeitspanne von knapp 20 Jahren ab und wird damit zu einer Art kurzen Geschichte der Generation Y: Da treffen eingängige No-na-Textzeilen wie „I’m a private girl in a private world“ aus dem Mund der Sängerin auf ein tatsächlich verändertes Lebensgefühl, geprägt durch die zeitgeschichtlichen Ereignisse, die bei Corbet im Hintergrund stets präsent sind. „Vox Lux“ lässt zum Schluss jedenfalls keine Zweifel, dass Pop manchmal auch mehr als nur an der Oberfläche kratzen kann.