Szene aus „El Angel“
Viennale

Das süße Antlitz eines Serienkillers

Mit einem verführerischen Verbrecher geht die Viennale in die Schlussrunde: Louis Ortegas „El Angel“ beruht auf der unfassbaren, wahren Geschichte eines betörend gutaussehenden 17-Jährigen, der sich binnen kürzester Zeit vom Gelegenheitseinbrecher zum Serienmörder entwickelt hat und heute der am längsten in Gefangenschaft sitzende Kriminelle in der Geschichte Argentiniens ist.

Mit 17 Jahren begann Carlos Robledo Puch, in Häuser einzubrechen – einfach, weil er es konnte. Später tat er sich mit einem Freund zusammen, gemeinsam gingen die beiden auf Raubzüge, immer öfter ermordeten sie dabei Menschen. Vergewaltigungen, im Schlaf Erschossene – die Liste an Grauenhaftigkeiten, die Puch und sein Komplize begingen, ist lang. 1972 wurde Puch als 20-Jähriger verhaftet, dank seiner Schönheit von der Presse „Engel des Todes“ getauft und für mehr als 40 Einbrüche und elf Morde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Heute, 46 Jahre nach seiner Verhaftung, ist Puch der am längsten in Gefangenschaft sitzende Kriminelle in der Geschichte Argentiniens, ein psychisch kranker Mann. Für Regisseur Ortega ist seine Biografie nun Anlass für einen Film – doch „El Angel“ ist nicht, wie Ortega im ORF.at-Gespräch darlegt, die wahre Geschichte. „Ich habe die Geschichte von diesem Typen genommen, den jeder kennt – und trotzdem den Film gemacht, den ich drehen wollte.“

Die Wirklichkeit ist überbewertet

„Ich mochte immer schon Filme, die junge Kriminelle porträtieren, speziell ‚Badlands‘ von Terrence Malick und Arthur Penns ‚Bonnie und Clyde‘“, so Ortega. „Es ist nicht der Job eines Films, die Realität abzubilden. Wir müssen da etwas anspruchsvoller sein, sonst wäre das nur wie ein Nachrichtenbeitrag.“ Er wolle Filme machen, die das weitergeben, was er selbst im Kino gelernt habe, „etwas, das sich mit Sinn oder Sinnlosigkeit des Lebens befasst. Wenn Gott existiert, warum stoppt er nicht den ganzen Scheiß? Und wenn es ihn nicht gibt, können wir dann nicht tun, was wir wollen?“

Diese Fragen, die Ortega sich selbst als Kind stellte, hätten darin resultiert, dass er selbst Gangster werden wollte: „Wenn man jung ist, ist man so voller Vitalität, und jedes Mal, wenn man etwas davon ausleben will, kriegt man gesagt, das sei verboten. Da wendet man sich ja fast automatisch einer kriminellen Beschäftigung zu, einfach nur, um etwas Freiheit und Privatsphäre zu empfinden.“

Autobiografie eines Jungkriminellen

Und hier beginnt die Parallele zu Carlos, der Filmfigur, die eben nur zur Hälfte am Serienkiller Carlos Puch angelehnt ist – und zur anderen Hälfte an der Jugend des Regisseurs, die selbst filmreif klingt: „Als ich zehn Jahre alt war, hatte ich einen Freund, dessen Mutter uns mitnahm zum Einbrechen. Sie hat draußen gewartet, wir sind eingebrochen. Und sie war uns gegenüber sehr sexuell explizit – daher sind diese Figuren im Film von meinem Freund und seiner Mutter inspiriert.“

Die Figur von Carlos, im Film dargestellt von dem blutjungen Schauspielneuling Lorenzo Ferro, ist also nur Vehikel. Ortega hat sich diese Freiheit genommen, weil der echte Carlos immer wieder den Wunsch nach einer Verfilmung seines Lebens geäußert habe. „Er wollte allerdings, dass (Leonardo) di Caprio ihn spielt, und Scorsese sollte Regie führen.“ Anders als die Geschichte des echten Carlos ist „El Angel“ aber vergleichsweise harmlos: „Dieser Typ fühlt sich als Filmstar, Gott beobachtet ihn, und daher muss er Eindruck schinden.“

Szene aus „El Angel“
Viennale
70er-Jahre-Feeling: Ortega schwelgt in Kostümen, Farben, Design

Zu diesem Filmstargefühl passt, dass „El Angel“ in den 1970er Jahren spielt. Ortega schwelgt in Kostümen, Farben, Design, zeitgenössischem argentinischem Rock ’n’ Roll: „Alles war früher viel stylisher, heute ist alles billig und zum Wegwerfen gemacht. Wenn man also die 70er Jahre filmt, ist es automatisch schon schöner.“ Koproduziert wurde „El Angel“ von Pedro Almodovars Produktionsfirma El Deseo, die immer wieder in argentinisches Kino investiert, etwa den drastischen Familienentführer-Thriller „El Clan“, der im Tonfall streckenweise an „El Angel“ erinnert.

Alles nur ein Witz

Warum Carlos diese Verbrechen begangen hat, versucht Regisseur Ortega nicht zu erklären: „Filmfiguren haben das Recht, unverstanden zu bleiben. Carlos selbst weiß, warum er das alles tut, aber wir anderen sind nur Zeugen." Eine Szene jedoch kommt dem nahe, was in Carlos verkehrt rennt: Er erkennt die Wirklichkeit nicht als solche. Sein Komplize schreit ihn da an: „Du hast zwei Leute im Schlaf erschossen!" Und Carlos sagt darauf: „Die sind nicht tot, das ist nur ein Witz! Glaubst du, das ist echt?“

Die Viennale ist damit jedenfalls vorbei, das ist kein Witz, das ist echt. Bleiben nur noch das Abschlussfest und die offizielle Bilanz abzuwarten.

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