Szene aus „Little Joe“
Viennale
„Little Joe“

Wenn das Grauen Blüten treibt

Jessica Hausners surrealer Psychothriller „Little Joe“ handelt von einer toxischen Blume, die glücklich machen soll. Messerscharf seziert die österreichische Regisseurin in ihrem ersten englischsprachigen Film die Sehnsüchte der Menschen und bringt futuristischen Horror in wunderschönen Bildern auf die Leinwand.

Während Hausner mit ihrem letzten Spielfilm „Amour Fou“ 2014 die Viennale eröffnet hat, hat sie sich dieses Jahr ihre Lorbeeren schon in Cannes abgeholt. Von der internationalen Kritik für ihre Stilsicherheit und Ästhetik in „Little Joe“ gelobt, will sie ihr neuestes Werk nun dem heimischen Publikum präsentieren. Österreich-Premiere ist im Rahmen der Viennale, am 1. November startet der Film landesweit in den Kinos.

Als Genre wählte die Wienerin den Thriller mit Science-Fiction-Elementen, der in einem teils sterilen, teils sehr stylishen Setting spielt. Im Mittelpunkt steht die ambitionierte Pflanzenforscherin Alice, die ihre Tage mit Mundschutz im Glashaus verbringt und am Abend nach Hause eilt, um sich um ihren 13-jährigen Sohn Joe zu kümmern. Sie ist gerade dabei, eine neue Pflanze zu entwickeln, die sich mit ihrer purpurroten Blüte nicht nur durch besondere Schönheit, sondern auch durch ihren therapeutischen Wert auszeichnet.

Das Glück ist ein Blumerl

Alice nennt die Blume – nach ihrem Sohn – Little Joe und will damit ihren wissenschaftlichen Durchbruch schaffen. Schließlich soll die Blüte durch ihren Duft das „Mutterhormon“ Oxytocin freisetzen und somit erreichen, dass Menschen sich glücklich fühlen. Wenn die Pflanze bei idealen Temperaturen gehalten und richtig ernährt wird und man regelmäßig mit ihr redet, entfaltet sie ihre volle Wirkung.

Unerlaubterweise bringt Alice eine der Blumen als Geschenk für ihren Sohn mit nach Hause. Die Pflanze wächst und gedeiht, doch alle Menschen, die mit ihr in Berührung kommen, verändern sich auf unheimliche Weise, und irgendwann keimt – im wahrsten Sinne des Wortes – in Alice der Verdacht, dass sie die Nebenwirkung ihrer Kreation womöglich unterschätzt hat.

Szene aus „Little Joe“
Viennale
Als die Welt noch in Ordnung war: Joe (Kit Connor) beim Abendessen mit seiner alleinerziehenden Mutter Alice (Emily Beecham)

Hausners Film weckt Erinnerungen an den Horror von „Die Körperfresser kommen“ (1978) und „Der kleine Horrorladen“ (1986), der freilich nicht so subtil ist wie das alptraumhafte Grauen von „Little Joe“. Der visuelle Stil, der von der Regisseurin gemeinsam mit Kostümbildnerin und Schwester Tanja Hausner und Ausstatterin Katharina Wöppermann kreiert und von Kameramann Martin Gschlacht gekonnt in Szene gesetzt wurde, ist mittlerweile auf international höchstem Niveau angekommen. Das Farbenspiel der Rottöne allein hätte einen Preis verdient.

Und sowohl Emily Beechams schauspielerische Leistung (sie wurde für die Rolle der Alice in Cannes mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet) als auch der schräge, minimalistische Soundtrack des japanischen Avantgarde-Komponisten Teiji Ito lassen an Szenen in Roman Polanskis Meisterwerk „Ekel“ (1965) denken.

Regisseurin Hausner im Gespräch

Tiziana Arico sprach mit Jessica Hausner über Wissenschaft, Glück und Style und warum es ihr Spaß gemacht hat, auf Englisch zu drehen. Mehr zu „Little Joe“ zeigt „kulturMontag“ am 28. 10. ab 22.30 Uhr in ORF2.

Das Infragestellen von Wirklichkeiten

Könnte eine Pflanze jemals so mutieren, dass sie das menschliche Gehirn infizieren und kontrollieren könnte? „Ich finde es sehr spannend, eine artifizielle Welt zu schaffen. Mich hat immer interessiert, wenn ein Film auch miterzählt, dass die Welt, die gezeigt wird, erfunden ist. Es geht nicht um Wirklichkeiten, es geht um das Infragestellen von Wirklichkeiten“, sagte Hausner im ORF-Interview.

Filmhinweis

„Little Joe“ wird auf der Viennale am 26.10. um 20.15 Uhr und am 27.10. um 12.00 Uhr jeweils im Gartenbaukino gezeigt.

Der mit Unterstützung des ORF-Film/Fernseh-Abkommens hergestellte Film startet am 1.11.2019 in den österreichischen Kinos.

Apropos artifiziell: Die formale Strenge, das antiseptische Setdesign, die ausgeklügelten Dialoge – ja, das Publikum spürt die Inszenierung in jeder Szene, wodurch der Spannungsbogen hin und wieder unterbrochen wird. Und dennoch hält einen der Thriller bis zuletzt in Atem, schließlich will man ja wissen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man sich mit Mutter Natur anlegt.

„Little Joe“ ist vielschichtig. Ein Science-Fiction-Film über die widersprüchliche Welt der Wissenschaft und wo Gentechnik hinführen kann, aber auch eine psychologische Studie über eine Mutter, die Gewissensbisse hat, weil sie zu viel arbeitet, und deren Sohn sich von ihr löst. Eine „Frankenstein“-Variation mit weiblicher Hauptrolle. Und schließlich ein Film über die Sehnsucht nach dem Sich-gut-Fühlen, aber sicher kein Feel-Good-Movie.