Space Dogs, Elsa Kremser, Levin Peter, A/D 2019, V’19
Viennale
„Space Dogs“

Auf Hundeaugenhöhe durch Moskau

Die unfreiwillige sowjetische Weltraumpionierin Laika war ursprünglich Moskauer Straßenköter. Diese Geschichte klingt erfunden, ist aber wahr – und funktioniert in „Space Dogs“ als roter Faden durch einen preisgekrönten Film, der vom Dasein eines russischen Hunderudels handelt.

Es gibt in „Space Dogs“ eine Szene, die schwer zu ertragen ist, so viel gleich vorweg. Die zwei wichtigsten Hunde aus dem Rudel, das der Film bis dahin schon mehr als eine halbe Stunde lang begleitet hat, traben gemächlich durch ihr Revier, haben gefressen, sind zufrieden. Bis sie eine Katze sehen, eine kleine, herzige, getigerte. Der Jagdtrieb erwacht. Der jüngere Hund greift an, mit dem älteren gemeinsam beginnt die Jagd. Und endet erst, als die Katze tot auf der Straße liegt.

Bei der gefeierten Weltpremiere des Filmes beim Festival in Locarno haben an dieser Stelle viele das Kino verlassen. Die, die blieben, wohnten einem grandiosen Filmerlebnis bei. Denn „wer hier wegschaut, sitzt möglicherweise einem Missverständnis auf“, so der deutsche Regisseur Levin Peter, der den Film gemeinsam mit der Österreicherin Elsa Kremser gedreht hat, im Gespräch mit ORF.at – nämlich dass Tiere moralisch handeln würden. „Aber die töten in der Szene nicht, weil sie Hunger haben. Dieser Sinn, den wir voraussetzen als Menschen, den gibt’s für die in dem Moment nicht.“

Regieduo Kremser/Peter
RAUMZEITFILM
Elsa Kremser und Levin Peter waren monatelang in Moskau mit Straßenhunden unterwegs

„Space Dogs“ beschreibt Hunde auf zwei gegensätzliche Arten: Zum einen als Tiere untereinander – dafür begleiteten Kremser und Peter monatelang ein Straßenhunderudel in Moskau. Und zum anderen ist da die Hündin Laika, das erste Lebewesen im All, das 1957 von den Sowjets in einem Raumflugkörper in den Weltraum geschossen wurde, allerdings beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte. Auch Laika war ein Moskauer Straßenhund.

Propagandahunde

Laika und die nachfolgenden Kosmonautenhunde Belka und Strelka bringen eine neue Dimension in den Film: Wo die Straßenhunde sie selbst sind, auf Hundeaugenhöhe gefilmt, tritt mit Laika der Hund als perfekte Projektionsfläche für sowjetische Propaganda auf. „Ein Hund kommt bei Kindern an, kann selber nicht widersprechen, und kann unglaublich heroisch dargestellt werden. Er gilt als gescheit, zielgerichtet, ist uns in seinen Sinnen voraus, riecht und hört besser als wir“, sagt Peter. „Dieser Attribute haben sich die Sowjets bedient, daraus lassen sich gut Helden machen.“

Die Weltraumhunde wurden richtiggehend gecastet, nicht nur nach ihrer für den Flug notwendigen Größe und Konstitution, sondern auch nach einem möglichst sympathischen Aussehen, wie Archivmaterial im Film beweist. Vor allem die überlebenden Hunde Belka und Strelka bekamen als öffentliche Figuren einen Starstatus wie sonst nur berühmte Balletttänzer oder Schachspieler – genau dem entgegengesetzt, was man in Westeuropa von Straßenhunden zu denken gewohnt ist.

„Belka und Strelka waren die reinsten Popstars. Mit ihren Bildern gab es Streichholzsschachteln, Kinderbücher, Kalender, und ihre Nachkommen wurden verschenkt, auch international“, sagt Regisseurin Kremser. „Jackie Kennedy hat einen Hundekosmonautenwelpen von Chruschtschow geschenkt bekommen. Der wurde dann vom amerikanischen Geheimdienst wochenlang durchleuchtet, weil die vermuteten, er habe ein Abhörsystem eingebaut.“

Profiteure des Zerfalls

Gerade die Herkunft von ganz unten, von der Straße, und die Laufbahn bis ganz nach oben, zu den Sternen, waren laut Peter in der sowjetischen Propaganda bedeutend als Aufstiegsnarrativ. „Der arme, unbeachtete Hund, der nur Bodensatz war, hat sich selbst bis ganz nach oben gearbeitet, bis in die Rakete rein, um dort seiner Nation zu dienen.“

Filmhinweis

„Space Dogs" wird auf der Viennale am 25.10. um 20.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus gezeigt, in Anwesenheit von Elsa Kremser und Levin Peter.

Der im Rahmen des ORF Film/Fernseh-Abkommens kofinanzierte Film startet im Frühling 2020 in den österreichischen Kinos.

Diese Akzeptanz von Straßenhunden klingt im ehemaligen Ostblock bis heute nach – auch als Folge des politischen Umbruchs: „Wo die Länder zerfallen sind, wo ganze Viertel den Bach runtergegangen sind, genau da ist in den Neunzigern eine Lücke aufgegangen, in die sich Hunde reingesetzt haben, von Moskau bis Zentralasien“, so Peter. Oft hätten die Hunde zu Sowjetzeiten noch Aufgaben gehabt, etwa auf Fabriken aufzupassen. „Dann haben die Fabriken zugemacht. Die Menschen sind weggegangen, die Hunde sind geblieben.“

Genau hier wurden Kremser und Peter fündig auf der Suche nach einem Hunderudel, das sie begleiten könnten. Das Rudel erinnert an eine Bande junger Ganoven, die aussehen wie Straßenclowns. So sollen sie auch wirken, „wie eine Jugendgruppe in einer Großstadt, die etwas Gangsterhaftes hat, das war unsere Idee, mit der wir los sind“, sagt Peter. Daher sollten die Hunde auch in einer spürbar städtischen Gegend unterwegs sein, „wo es wirkt, als wäre man in einem Spielfilm, in dem man vier Teenager begleitet.“

Poetisch, philosophisch, vergnüglich

Elsa Kremser ist als Tochter von Hundezüchtern das Interesse für Hunde in die Wiege gelegt: „Ich war von Kleinkindalter unter vielen Hunden“, erzählt sie, „die waren immer da, ich konnte denen in die Augen schauen. Das wollten wir auch im Film, diesen kindlichen Blick auf die Hunde.“ Genau dieses vorurteilsfreie Staunen macht „Space Dogs“ zum poetischen, philosophischen und zugleich ungemein vergnüglichen Film über die Welt.