Szene aus „Une fille facile“
Alamode
„Une fille facile“

Virtuose Erotik an der Riviera

Zwei schöne junge Männer, eine Yacht und die Cote d’Azur: Für die Cousinen Naima und Sofia ist das Dasein voller Verheißungen. Regisseurin Rebecca Zlotowski gelingt in „Une fille facile“ ein erotischer Sommerfilm, der Erwartungen und Vorurteile virtuos auf den Kopf stellt.

Naima (Mina Farid) ist 16 Jahre alt und lebt am Rande von Cannes, dort, wo der Ort nicht mehr chic ist, aber das Meer vom Balkon aus zu sehen. Sie hat sich entschlossen, diesen Sommer zu nutzen, um sich über ihr weiteres Leben klarzuwerden: Will sie Schauspielerin werden, gemeinsam mit ihrem besten Freund? Will sie in die Hotellerie gehen, wie ihre gestresste Mutter? Oder will sie’s ganz anders – vielleicht wie Sofia (Zahia Bahar), ihre ältere Cousine, die aus Paris angereist kommt, um sich an der Croisette zu erholen?

Gemeinsam liegen die Mädchen am Strand, die 16-Jährige und die 22-Jährige. Die Ältere genießt ihren prachtvollen Körper, flirtet mit jedem verfügbaren Mann, entzieht sich und lacht. Und die Jüngere sieht ihre Cousine mit einem Blick an, in dem sich Begehren und Neugierde mischen, nach dem, was das sein könnte: Sex. Was da noch auf sie zukommt. Was einmal passieren wird, vielleicht schon in diesem Sommer.

Ein riskantes Spiel

Der Ausdruck „Une fille facile“ (Dt.: „Ein leichtes Mädchen“) ist üblicherweise nicht unbedingt als Kompliment gedacht. Aber vielleicht ist ja nur eine Frau gemeint, die das Leben leicht nimmt, und was sollte daran verkehrt sein? So interpretiert Regisseurin Zlotowski jedenfalls den Titel ihres Films: Sofia teilt die Freude an ihrem perfekten jungen Körper gerne und bekommt noch lieber etwas zurück.

Sofia ist voller blauer Flecken nach Cannes gekommen, ihr Ex war übergriffig. Von ihrer Abenteuerlust lässt sie sich davon nicht abbringen. Als sie mit ihrer kleinen Cousine abends am Hafen flaniert, und zwei schöne reiche Männer die jungen Frauen von der Yacht aus bemerken und ansprechen, wehrt Sophia den Flirt zum Schein ab, um sich später noch heftiger darauf einzulassen. Was hier passiert, ist ein Spiel, es ist riskant, aber unendlich reizvoll. Wer hier wen verführt, ist nicht klar. Verführt der Sommer?

Filmhinweis

„Une fille facile" wird auf der Viennale am 27.10. um 18.30 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

Der Film startet am 29.11.2019 in den österreichischen Kinos.

Begehren, Sehnsucht, Subversion

Die Lust am Schauen, an der Fantasie, dem Was-wäre-wenn, dem Was-wird-sein, am Flirten, an dem, was passieren kann, wenn er es nur wagt, wenn sie nur darauf einsteigt: „Une fille facile“ ist ein Film wie ein schwüler Sommerflirt, süß und klebrig und voller Verheißungen, und dahinter lauert womöglich ein Abgrund an Enttäuschungen. Doch vor allem geht es Zlotowski – Mitbegründerin der feministischen 5050by2020-Initiative – um die Machtverteilung innerhalb von Beziehungen, um Klassenfragen und um Geschlechterverhältnisse.

Gegenüber ORF.at sagte die Regisseurin: „Ich hatte schon lange die Geschichte von zwei jungen Frauen an der Riviera im Kopf, die mit reichen Typen auf einer Yacht flirten. Ich wusste noch nicht, was daraus werden soll. Dann wurde die Weinstein-Affäre öffentlich, und all diese Fragen von Begehren, Dominieren, Sehnsüchten (ausgesprochen und unausgesprochen), Subversion und Machtmissbrauch sind für mich auf einmal im Vordergrund gestanden.“

Der perfekte Sündenbock

„Une fille facile“ beobachtet die Machtverhältnisse genau, die sich immer wieder umkehren – und unterläuft dabei Erwartungen. Das hat schon mit der Besetzung von Sofia zu tun: Zahia Dehar war die minderjährige Protagonistin in einem Prostitutionsskandal von Spielern der französischen Fußballnationalmannschaft, der 2010 aufflog. „Mich hat interessiert, warum die Leute sie so gehasst haben, obwohl doch die Männer schuldig waren, die sie als Minderjährige für Sex engagiert hatten. Sie ist eine Frau, sexy, Araberin – ein perfekter Sündenbock“, so Zlotowski.

Dann begann Dehar auf Instagram Zlotowski zu folgen, die sagt: „Ich mag, dass es so passiert ist, nicht durch eine Agentin, durch irgendeine Vermittlung, sondern weil sie sich für meine Arbeit interessiert hat.“ Sie sei anfangs überrascht gewesen, dass sich eine Frau wie Dehar für eine Arthouse-Regisseurin interessiert. „Und dann habe ich mir die Videos angesehen, die sie postet, und ich war völlig überrascht, wie sie spricht: wie eine Figur aus den 60er-Jahren“, so Zlotowski.

Schaulust an der Croisette

„Wir sehen von so vielen Frauen ständig Bilder, aber wir hören nie ihre Stimme. Zahia ist immer etwas zurückhaltend, immer etwas geheimnisvoll.“ Darin, und auch in Dehars Aussehen findet Zlotowski das Kino der 60er-Jahre wieder, das „Une fille facile“ wie ein Duft umgibt, die Starlets der Croisette. „Das amerikanische Kino hat mich tief geprägt, und das italienische Kino, alles was schön war. Ich hatte eine einsame Kindheit, und ich hab mir gern schöne und berühmte Leute angeschaut, die Partys feiern.“

Diese Schaulust ist es, die auch die Geschlechterverhältnisse im Film beeinflusst: Die beiden reichen Männer, denen Sofia und Naima begegnen, sind mit Benoit Magimel und Nuno Lopes ausgesprochen attraktiv besetzt, und auch wenn sie sich teilweise wirklich mies verhalten, begegnet der Film auch ihnen mit großer Zärtlichkeit. „Ich sehe manchmal im Kino Konstruktionen von Männlichkeit, von Virilität, die ich in den Männern um mich herum überhaupt nicht wiederfinde“, so Zlotowski.

Szene aus „Une fille facile“
Alamode
Philippe (Benoit Magimel) und Andres (Nuno Lopes) verdrehen den Frauen die Köpfe

Sensible, verführerische Männer

„Die Männer die ich treffe, sind nicht diese phallischen Helden, die wir im Kino oder in den Medien immer wieder reproduziert sehen. Die Wirklichkeit ist anders. Die Männer in meinem Film sind auch verführerisch und sensibel, und ich verstehe total, das Zahia Sex mit Nuno Lopez haben will.“ Auch die Männer genießen das Angesehenwerden, das Begehrtwerden, etwa wenn sie sich auf ihrer Yacht beim Abendessen präsentieren.

„Es war ein starkes Bild dafür, was die Frage nach Obszönität, Zur-Schau-Stellung, Unanständigkeit betrifft, die der Film stellt. Wer ist die exhibitionistischste Person in diesem Film? Vielleicht sind sie es beide? Vielleicht sind aber auch alle einverstanden damit?“ Zlotowski ist ein Film gelungen, so spritzig wie Champagner und so lebensklug wie die geballte Erfahrung der Hauptdarstellerin und der Regisseurin zusammen – ein „simpler Film über eine komplizierte Sache“, wie sie es selbst formuliert, und ein ganz und gar wundervoller Glücksfall für das Kino.

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