Scarlett Johansson in „Marriage Story“
Viennale/Wilson Webb
„Marriage Story“

So schön kann Scheidung sein

Das brillante Scheidungsdrama „Marriage Story“ ist ein Netflix-Film, den die Viennale für die große Leinwand gewinnen konnte. Regisseur Noah Baumbach setzt Scarlett Johansson und Adam Driver als strauchelndes Paar perfekt in Szene und lässt ein gleichzeitig lachendes und weinendes Publikum voller Herzschmerz und Hoffnung zurück.

Während viele Filme mit einer Hochzeit enden, beginnt „Marriage Story“ mit dem Ende einer Ehe. Was eine Scheidung bedeutet, selbst wenn man sich im Guten trennen will, das erzählt Regisseur Baumbach in seinem von Netflix produzierten Streifen virtuos und so authentisch, dass man gemeinsam mit den Hauptfiguren auf der Achterbahn der Gefühle fährt. „Es ist ein fantastischer Film, der von Netflix produziert wurde, den man aber auf der großen Leinwand sehen muss“, sagte Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi im ORF-Interview über das Scheidungsdrama, das sie zu ihren diesjährigen Lieblingsfilmen zählt.

Die Zukunft des Kinos in Zeiten von Streamingdiensten sieht Sangiorgi nicht in Gefahr. „Es stimmt, dass Menschen Filme immer öfter auf Onlineplattformen sehen statt im Kino. Ich denke aber, dass es trotzdem eine Wertschätzung für das Kino gibt. Einen Film im Kino zu sehen, ist ein komplett anderes Erlebnis, und auch das Festival ist etwas Außergewöhnliches. Die Atmosphäre, wenn viele Leute zusammenkommen, um einen Film zu sehen, das ist die Magie des Kinos, und das kann uns niemand wegnehmen.“

Gespräch mit Eva Sangiorgi

In „Magazin 1“ sprach Stefan Lenglinger mit Viennale-Direktorin Sangiorgi über ihre persönlichen Highlights des diesjährigen Festivals und das Phänomen Netflix.

Mitten im Gefühlschaos

„Marriage Story“ zeigt die letzten Monate der Ehe von Off-Broadway-Regisseur Charlie (Adam Driver) und Schauspielerin Nicole (Scarlett Johansson), die mit ihrem achtjährigen Sohn Henry in New York leben. Zu Beginn sollen die beiden jeweils etwas Nettes über den anderen sagen, so will es die Paartherapie. Und schon ist man mittendrin im Gefühlschaos des Paares, das man gleich mitsamt seiner intimsten Details kennenlernt.

Filmhinweis

„Marriage Story" wird auf der Viennale noch am 31.10. um 20.15 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

Der Film startet am 22.11. in ausgewählten Kinos und am 6.12. auf der Streamingplattform Netflix.

Sie ist eine großartige Tänzerin und macht tolle Geschenke. Sie kann zuhören und weiß, wann sie einen in Ruhe lassen muss. Er hält die Dinge in Ordnung und ist ein toller Vater. Er weiß, was er will, und ist immer gut angezogen. Doch mittlerweile hat sich das einstige Traumpaar nicht mehr viel zu sagen, und Nicole möchte zurück nach Los Angeles, wo ihre Familie lebt.

Beide wollen die Scheidung – nicht zuletzt zum Wohl des Kindes – gütlich regeln und sind überzeugt, dass sie zu freundschaftlich verbunden sind, um in einen Beziehungskrieg zu geraten. Doch schnell werden sie in einen Strudel aus Anwaltskalkül und verletzten Eitelkeiten gezogen und sind ihren eigenen Gefühlsausbrüchen hilflos ausgeliefert. Während die Anwälte (großartig gespielt von Laura Dern und Ray Liotta) über Sorgerecht und Unterhaltszahlungen streiten, beginnen sich Nicole und Charlie immer mehr voneinander zu entfernen.

Scarlett Johansson in „Marriage Story“
Viennale
Laura Dern (l.) spielt die energische Scheidungsanwältin

Regisseur Baumbach hat mit „Der Tintenfisch und der Wal“ bereits 2005 die Scheidungsgeschichte seiner Eltern verarbeitet, was ihm damals eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch einbrachte. Heute – zehn Spielfilme später – legt er mit „Marriage Story“ einen der bemerkenswertesten Filme vor, die je über das Thema Ehe und Scheidung gedreht wurden.

Zwei Ausnahmeschauspieler bei der Arbeit

Mit Johansson und Driver hat Baumbach zwei Ausnahmetalente besetzt, die fehlerfrei performen. Driver, der seinen Durchbruch 2012 mit der HBO-Serie „Girls“ hatte, ist inzwischen als „Star Wars“-Bösewicht Kylo Ren weltweit bekannt. Seine Rolle in Spike Lees „BlacKkKlansman“ brachte ihm 2019 eine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller ein, mit Baumbach arbeitete er nun bereits zum vierten Mal zusammen. Drivers Figur in „Marriage Story“ ist sowohl liebender Vater und Ehemann als auch egoistischer Workaholic, der nicht merkt, wie sehr sich die Familie nach seinen Bedürfnissen verbiegen muss.

Johansson, die in den letzten Jahren als Black Widow im Marvel-Universum alle Hände voll zu tun hatte, ist auf der Viennale noch in der Komödie „Jojo Rabbit“ zu sehen. In Baumbachs Film spielt sie die frustrierte Ehefrau und Mutter, die nicht mehr die herzliche und emotionale Frau sein kann, die sie einmal war.

Traurig, komisch, herzzerreißend

Der Film ergreift keine Partei, es gibt keinen Schuldigen, keiner ist der Böse. Es ist einfach nur die traurige und berührende Geschichte von zwei Menschen, die sich verloren haben und sich – getrennt voneinander – wieder finden wollen. Wer als Kinogänger der Realität entfliehen will, sollte sich „Marriage Story“ besser nicht anschauen.

Mit seiner schonungslosen Ehrlichkeit urkomisch und herzzerreißend zugleich, lässt einen der Film trotz aller Dramatik mit einem Gefühl der Hoffnung zurück. Denn auch nachdem man die verletzendsten Dinge gesagt und dem anderen den Tod gewünscht hat, kann am Ende eine Umarmung stehen und die Gewissheit, dass die Zeit so manche Wunde heilen wird.