Filmstill aus „Bacurau“
Viennale
Bacurau

Showdown in Brasilien

Eine Gesellschaftsdystopie, in der marginalisierte Dorfbewohner wie Safari-Jagdwild hingemetzelt werden: „Bacurau“ ist eine drastische Politsatire aus Brasilien, mit Sonia Braga, Udo Kier und einem blutigen Western-Showdown, der seinesgleichen sucht.

Schon in der ersten Szene wird klar, etwas ist hier faul in diesem Staate Brasilien, als Teresa (Barbara Colen) mit Medikamenten im Gepäck in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Entlang der Straße gibt es Särge im Abverkauf, die Trinkwasserversorgung ist seit einem Dammbau abgeschnitten. Und irgendwo in der Umgebung versteckt sich Lunga, als Krimineller gesucht, aber offenbar politaktivistisch für die Rechte der Leute unterwegs.

Noch fühlt sich das alles nach einem realistischen Sozialdrama an. Im Dorf Bacurau ist soeben Teresas Großmutter verstorben, die Dorfgemeinschaft begeht das Begräbnis mit einem großen Fest. Es ist kein Dorf wie jedes andere, sondern eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft von Bauern, Ärztinnen, Gaunern, Prostituierten, Transsexuellen, Aussteigerinnen, Nudisten – Indigene, Schwarze, Weiße, vor allem lauter Leute, die einfach in Ruhe ihrem Leben nachgehen möchten.

Filmstill aus „Bacurau“
Viennale

Filmhinweis

„Bacurau" wird auf der Viennale am 29.10. um 20.30 Uhr und sowie am 30.10. um 23.00 Uhr im Gartenbaukino gezeigt, in Anwesenheit von Regisseur Juliano Dornelles.

Von der Karte verschwunden

Es sind Leute, die nicht ins Prinzip einer weißen Mann-Frau-Kind-Hund-Auto-Klischeemehrheitsgesellschaft passen, die den Kirchen ein Dorn im Auge sind, die sich nicht als vorhersehbare Steuerzahler eignen, die nicht brav konsumieren, bei denen Bücher wertvoll sind und die nachdenken und aufbegehren, anstatt sich mit Falschmeldungen zufrieden zu geben.

Dann passieren aber merkwürdige Dinge. Das Dorf ist auf Google Maps plötzlich nicht mehr auffindbar. Ein buntgekleidetes Motorradpärchen aus der Großstadt kommt an, benimmt sich verdächtig unauffällig, und verschwindet wieder. Der korrupte Lokalpolitiker, der seit Monaten vergebens Wasser verspricht, macht einen seltsamen Kurzbesuch. Und dann fällt das Handynetz aus, und ein erster Mord geschieht.

Horror, Sci-Fi, Western

Zu viel sei von der Handlung nicht verraten, lediglich, dass der Film mit seinem futuristisch-desolaten Setting so manchen Haken ins Horrorgenre schlägt. Es ist ein Film wie eine Chimäre, der je nach Blickwinkel Tonfall und Schattierung wechselt, Filho und Dornelles frühstücken sich quer durchs Filmzitatebuffet, was Dystopien betrifft, von John Carpenter bis George Miller – und dann macht „Bacurau“ sogar noch eine Kehrtwendung in den Western, die nichts weniger als beglückend ist.

Nach dem brasilianischen Riesenerfolg von „Aquarius“, der auf der Viennale 2016 zu sehen war, und der mit widersprüchlichen Protagonistin Dona Clara (Sonia Braga) als Parabel auf die aus dem Amt geworfene Präsidentin Dilma Rousseff gelesen wurde, gelang Regisseur Kleber Mendonca Filho mit „Bacurau“ die Finanzierung eines lange geplanten Films. Gedreht hat er ihn in Co-Regie mit Juliano Dornelles, der gegenüber ORF.at sagt, „Dieses Projekt ist schon seit zehn Jahren in unseren Köpfen. Als wir es schließlich umzusetzen begannen, war das kurz vor der US-Wahl, bei der Donald Trump gewählt wurde. Das Drehbuch wurde sozusagen von der politischen Situation vergiftet.“

Die Verletzlichen begehren auf

Wiederum spielt Sonia Braga mit, hier als Dorfärztin, und als internationaler Genregast Udo Kier in der Rolle eines Reiseverstanstalters. Inhaltlich wirkt „Bacurau“ wie schon „Aquarius“ verstörend prophetisch, mit seinen Sujets amerikanischer Ausbeutung in Brasilien, kolonialistischem Gehabe, lokaler und nationaler Korruption, und den rassistischen, menschenrechtsfeindlichen und wissenschaftsfeindlichen Einstellungen, die die momentane politische Lage in Brasilien prägen.

Die Aktualität betont auch Mendonca Filho: „Wir haben im Moment in sehr mächtigen politischen Positionen völlig unfähige Leute. Ich mache keine Witze, wir haben Leute in der Regierung, die allen ernstes glauben, dass die Erde eine Scheibe ist!“ So deutlich „Bacurau“ in einer nahen Zukunft spielt, die moralische Verkommenheit einiger handelnder Personen ist längst Alltag. Filho und Dornelles finden darauf eine zornige, kämpferische Antwort, in Cannes wurden sie dafür mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

„Bacurau“ passt gut in diesen Viennale-Jahrgang, in dessen Filmen es immer wieder die Verletzlichen, die zurückschlagen, ob sie als Wiedergänger zurückkehren wie in Mati Diops „Atlantique“ und ihren ausständigen Lohn einfordern, oder eben in „Bacurau“ um das schiere Überleben kämpfen, um Anerkennung, und auch um ihre eigene Geschichte. Es ist dringend zu raten, nach dem Film Zeit zum Diskutieren einzuplanen.