*** Local Caption *** Il traditore, Marco Bellocchio, I/F/D/Brasilien 2019, V’19, Features
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Doku und Spielfilm

Das Scheitern an der Mafia

Bei der Viennale versuchen eine Doku und ein Spielfilm, sich der italienischen Mafia-Problematik zu nähern. Bemerkenswert: Realistisch ist nur der Spielfilm, während die Doku eine völlig missglückte, gescriptete Realsatire ist, die mehr über den Filmemacher aussagt als über Italien.

Vor mittlerweile 27 Jahren sind die beiden Mafia-Jäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino grausam ermordet worden. In Auftrag gegeben hatte die Morde Mafia-Boss Toto Riina. Kriminalromantiker verklären die Zeit vor Riina und denken dabei an schwarze Hüte, Prohibition, „Ehre“ und an eine Art Robin-Hood-Armee der Armen (was selbstredend völliger Blödsinn ist). Dann kam Riina und plötzlich waren Heroin, Menschenhandel und wahllose Morde selbst an Kindern an der Tagesordnung. Die „gute alte Mafia“ war Geschichte, Ganovenehre zählte nicht mehr.

Beide Filme, die Doku wie der Spielfilm, nehmen die Ermordung von Falcone und Borsellino als Dreh- und Angelpunkt ihrer Erzählungen, und in beiden wird der angesprochene Kulturwandel der Verbrecherbande thematisiert. Die Doku heißt nach einem Zitat im Film übersetzt „Die Mafia ist nicht mehr, was sie einmal war“. Gedreht wurde sie vom Satiriker und Dokumentarfilmer Franco Maresco als eine Art Fortsetzung zu einer früheren satirischen Doku.

Foto di Tommaso Lusena *** Local Caption *** La mafia non è più quella di una volta, Franco Maresco, I 2019, V’19, Features
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Links im Bild die Fotografin und Mafia-Kritikerin Letizia Battaglia, neben ihr Regisseur Franco Maresco

Eine Diva, verschwendet

Ein schlechterer Film wurde selten gedreht. Warum? Zunächst einmal ist die kaum vorhandene Struktur des Films um zwanzig Ecken gedacht. Maresco folgt in einem Handlungsstrang der großartigen Fotografin und mittlerweile betagten, lebenslangen Mafia-Kritikerin Letizia Battaglia. Ihre Persönlichkeit ist unerschütterlich, ihr Humor knochentrocken, ihr Sarkasmus unübertroffen – einen besseren Charakter, um durch eine Doku zu führen, kann man sich nicht vorstellen.

Aber Maresco scheint nicht zu wissen, was er mit ihr anfangen soll. Er schleppt sie mit an den Stadtrand von Palermo, wo er einfache und benachteiligte Menschen vor Häme triefend vorführt, die sich aus Angst weigern, etwas gegen die Mafia zu sagen. Er fragt dann noch 20-mal nach und gibt seine Protagonisten gnadenlos der Lächerlichkeit Preis. Das wirkt nicht nur so, als ob sich die „zufälligen Passanten“ an ein Drehbuch halten würden, es ist vor allem auch billig, allzu billig, und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

 *** Local Caption *** La mafia non è più quella di una volta, Franco Maresco, I 2019, V’19, Features
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Ciccio Mira, der abgehalfterte Eventmanager, auf der Bühne bei seinem Anti-Mafia-Festival zu Ehren von Falcone und Borsellino

Unangenehme Freakshow

Doch damit nicht genug. Als zweiten, dominanten Handlungsstrang führt er Ciccio Mira ein, den er schon in einer früheren Doku vorgestellt hatte. Mira ist ein schmieriger, abgehalfterter Eventveranstalter, Typ altgewordener Staubsaugerverkäufer aus den 50er Jahren, der immer wieder für die Mafia diverse Partys veranstaltet hat. Man rechnete ihn der Cosa Nostra zu, wenn auch nur als Faktotum am Rande. Faktotum vor allem wegen seiner leicht verrückt anmutenden lokalen TV-Show, in der er auf Talentsuche ging.

In der Doku begleitet Maresco diesen Mira bei den Vorbereitungen für ein Festival zu Ehren der Mafia-Jäger Falcone und Borsellino. Denn mittlerweile macht Mira auch Anti-Mafia-Veranstaltungen, Hauptsache, das Geld stimmt, und die Mafia ist ja sowieso nicht mehr, was sie einmal war. Für den Gig treibt er eine Schar glückloser Entertainer auf. Und hier kippt der Film tatsächlich in Richtung unangenehme, unangemessene Freakshow.

Menschen mit Behinderung auslachen

Ein Teil der Protagonisten der Show ist bitterarm, einer von ihnen ist ein offensichtlicher Alkoholiker, einige dürften von Lernschwierigkeiten (früher „geistige Behinderung“ genannt) betroffen sein und die Hauptfigur ist infolge eines Komas tatsächlich von einer intellektuellen Behinderung betroffen. Vor allem diese hat es Regisseur Maresco angetan. Der Running Gag ist, dass der Bursche Sänger werden will, aber unmusikalisch ist. Maresco macht sich hier, da gibt es nichts daran herumzuinterpretieren, über einen Menschen mit Behinderung aufgrund dessen Behinderung lustig. Und ein Teil des Kinopublikums lacht schallend dazu, jedes Mal aufs Neue.

Der Film ist auch dramaturgisch eine Katastrophe, er folgt keinem roten Faden, sondern springt erratisch zwischen verschiedenen Schauplätzen herum. Ein Teil der Interviewpartner wirkt, als würden hier schlecht auswendig gelernte Wortspenden wiedergegeben. Auch bildlich scheint die Doku völlig ambitionslos in Szene gesetzt zu sein. Wie das Team der Viennale auf die Idee kommen konnte, diesen Film ins Programm zu nehmen, ist ein völliges Rätsel.

Still Letizia Battaglia
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Kultfotografin Letizia Battaglia bei der Arbeit

Ein Film, der „Kopfschmerzen“ bereitet

Und dann aber auch wieder nicht. Der Film wurde bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet – und kleinere Festivals freuen sich dann, wenn sie solche preisgekrönten Filme bekommen. Wie ein Kritiker geschrieben hat, ist es möglich, dass der Humor der Doku in Italien funktioniert, sonst aber bestimmt nirgendwo auf der Welt. Marescos Blick ist von triefendem Hass gegen die Mafia getragen, einem Hass, der verständlich ist. Warum Maresco deshalb aber wild nach ganz unten treten muss, bleibt ein Rätsel, das sich international nicht erschließt.

Filmhinweise

Die Doku „La mafia non e piu quella di una volta“ läuft im Rahmen der Viennale noch am 5.11. um 16.00 Uhr im Filmmuseum.

Der Spielfilm „Il Traditore“ läuft im Rahmen der Viennale noch am 6.11. um 20.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.

Selten wurde ein Film, der bei einem der großen Festivals ausgezeichnet worden ist, von der internationalen Fachpresse so gnadenlos verrissen. Im „Hollywood Reporter“ hieß es: „Marescos Geschichte fehlt die Mitte, der Angelpunkt. Der Film ist viel zu oberflächlich und dünn für eine Doku in Spielfilmlänge.“ „Variety“ schrieb: „Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass irgendjemand außerhalb Italiens die immer gleichen Situationen lustig finden wird – und schon gar nicht Marescos Sprechtext, von dem man Kopfschmerzen bekommt.“

Die Geschichte eines „Verräters“

Ganz anders der Spielfilm „Il Traditore“ des mittlerweile 80-jährigen Marco Bellocchio. In Italien gilt der Regisseur als Erster in der zweiten Reihe hinter den ganz Großen wie Bernardo Bertolucci und Pier Paolo Pasolini. Immer wieder ist er nur knapp an der Goldenen Palme und dem Goldenen Löwen vorbeigeschrammt. In Venedig wurde er schließlich für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Seine Filme zeichnen sich durch eine hohe Laufruhe und Präzision aus.

Das trifft auch auf „Il Traditore“ zu. Das akribisch recherchierte Drehbuch erzählt die wahre Geschichte von Tommaso Buscetta, der in der Cosa Nostra zuerst einen mittelhohen Rang innehatte und dann in Ungnade fiel, weil er den Kulturwandel der Mafia nicht mitmachen wollte. Einige seiner Familienmitglieder wurden ermordet, danach entschloss sich Buscetta, vor der Polizei auszupacken. An die 200 teils hochrangigen Mafiosi wurden aufgrund seiner Aussagen festgenommen.

Knochentrocken und schnörkellos

Schonungslos stellt Bellocchio die Gewalt dar, ohne sie in Tarantino-Manier zu überhöhen. Im Lauf des Films lernt das Publikum viel über die Strukturen innerhalb der Mafia. Aber wie das bei historisch akkuraten Filmen oft so ist: Die Realität ist komplex. Und so tut man sich auch bei „Il Traditore“ gerade am Anfang schwer, die Dutzenden Familienmitglieder und Mafia-Bosse auseinanderzuhalten, wobei es die zahlreichen Rückblenden und Blicke in die Zukunft nicht gerade leichter machen.

Filmstill aus „Il Traditore“
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Die sollte man sich alle merken, wenn man dem Film folgen will. Im weißen Sakko: Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino)

Und man muss die knochentrockene, schnörkellose Darstellung historischer Begebenheiten lieben, die von Bellocchio durch keinerlei dramaturgische Finten zugespitzt wird. In Sachen Mafia ist der Film über die ehrenwerte Gesellschaft dennoch die Ehrenrettung der Viennale nach dem Dokudesaster.