Gatsby und Ashleigh *** Local Caption *** A Rainy Day in New York, Woody Allen, USA 2019, V’19, Features
© 2019 Gravier Productions Inc., Photo by Jessica Miglio
Woody Allen

Es tröpfelt in New York

Woody Allen ist 83 Jahre alt. Die Viennale zeigt mit „A Rainy Day in New York“ seinen 50. Film. Amazon hatte ihn zuvor wegen der „#MeToo“-Debatte ein Jahr lang zurückgehalten, und der männliche Hauptdarsteller Timothee Chalamet hat sich offiziell distanziert und seine Gage gespendet. Wenn man den Film gesehen hat, bekommt man eine Ahnung davon, warum.

Ein souveräner, slackerhafter Dandy-Student mit reichen Eltern, der in Anspielung auf F. Scott Fitzgeralds Romanfigur „Gatsby“ heißt – Männerrolle eins. Ein berühmter Regisseur, ein berühmter Drehbuchautor, ein berühmter Schauspieler mit Sexsymbolstatus – die Männerrollen zwei bis vier. Eine süße, blonde, naive Studentin – Frauenrolle eins; eine hübsche, selbstbewusste junge Frau, die auf das drohende Objekt eines Seitensprungs reduziert wird – Frauenrolle zwei. Eine blonde Edelprostituierte – Frauenrolle drei; eine gestrenge Mutter, die dereinst ihren Gatten kennenlernte, als sie ihm als Prostituierte diente – Frauenrolle vier.

Der Kern der Handlung, zusammengefasst: Mit großen Augen und kindlichem, schüchternem, unschuldigem Lachen manövriert sich eine machtlose Frau durch die Welt der sexuellen Avancen von mächtigen Männern im Filmbusiness, von Männern, die sie bedingungslos bewundert. Und mit Allen führte ein Mann Regie, dem sexueller Missbrauch einer Minderjährigen vorgeworfen wird (wobei diese Vorwürfe nie bewiesen werden konnten). Man versteht, warum Amazon „A Rainy Day in New York“ während der Hochphase der Debatte über den Filmproduzenten Harvey Weinstein im Tresor versteckte.

Vom nutty professor zum Nostalgiker

Vom nutty professor unter den intellektuellen Satirikern, dem nichts heilig war, wurde Allen zum Nostalgiker, der alles in warmem, gelbem Licht dreht. Früher sollte das Publikum die Hände vor dem Mund zusammenschlagen oder hysterisch auflachen, heute soll es leicht nickend schmunzeln. Allen will schöne Geschichten erzählen, in denen es um Familie und Liebe geht, in denen screwballartig eine nette Wendung die nächste evoziert. Absurder Humor war gestern.

Was bleibt, ist der liebevolle Blick auf ein idealisiertes, zeitloses New York, in dem alle in Townhouses mit Blick auf den Central Park leben und in Hotelbars mit Jazzpianisten herumhängen. Dorthin verschlägt es die Studentin Ashleigh (Elle Fanning) mit ihrem Freund Gatsby (Timothee Chalamet). Sie bekommt das Angebot, für die Unizeitung den berühmten, von ihr hoch verehrten Regisseur Ted (Liev Schreiber) zu interviewen.

Mit großen Augen vor den Stars

Aufgrund einer Verkettung seltsamer Umstände verbringt sie den Tag statt mit ihrem Freund abwechselnd mit dem Regisseur, dem Drehbuchautor und dem Filmstar. Über Ashleigh selbst erfährt man fast nichts. Der Regisseur leidet unter einer Schaffenskrise, sie will ihm helfen. Der Drehbuchautor (Jude Law) kommt drauf, dass seine Frau ihn mit seinem besten Freund betrügt, sie will ihm helfen. Und der Schauspieler (Diego Luna) ist notorisch sexsüchtig – sie zieht sich aus.

Somit kommt sie ihrem eigentlichen Freund, dem Studenten, abhanden, der auf ein Familienfest gehen muss, auch wenn er sich dagegen sträubt. Also zieht er durch sein geliebtes New York, wo er auf eine alte Bekannte (Selena Gomez) trifft – und es knistert. Hin- und hergerissen zwischen diesem Knistern und seiner Eifersucht, weil Ashleigh plötzlich mit Stars herumzieht statt mit ihm, engagiert er schließlich eine Prostituierte (Kelly Rohrbach), die ihn auf das Familienfest begleiten soll. Das kann nicht gutgehen.

Gatsby und Chan im New Yorker Regen *** Local Caption *** A Rainy Day in New York, Woody Allen, USA 2019, V’19, Features
© 2019 Gravier Productions Inc., Photo by Jessica Miglio
Selena Gomez und Timothee Chalamet

Allens Sturheit

Zum Nostalgiker kann man selbst werden, wenn man in diesen Film geht, aber nur zum Allen-Nostalgiker. In Spurenelementen findet sich das wieder, worauf man beim früheren Allen süchtig war, vom in Sepia getauchten Manhattan über die defätistischen intellektuellen Seitensager des Studenten bis hin zum jämmerlichen, selbstmitleidigen Regisseur (großartig gespielt von Schreiber). Schade, dass Allen so stur auf die alte akademisch-künstlerische Männerwelt beharrt. Das Spiel der 20-jährigen Fanning ist so übertrieben naiv, dass einem der Mund offen bleibt.

Filmhinweis

„A Rainy Day in New York“ läuft am Sonntag um 18.30 Uhr im Gartenbaukino und am Mittwoch um 13.00 Uhr ebenfalls im Gartenbaukino.

Am 5. Dezember läuft der Film dann regulär in heimischen Kinos an.

Overacting und Konsequenz

Ob diese Art von naivem Overacting (siehe Foto über dem Artikel) von ihr ausging oder ausschließlich auf die Kappe von Allen geht, lässt sich freilich nicht sagen. Früher hätte Allen eine Frau auf diese Weise nur vorgeführt, wenn er sich über die Frauendarstellung in Hollywood-Filmen lustig gemacht hätte. Heute meint er das ernst. Vielleicht kommt ja eine junge, verrückte, intellektuelle Regisseurin und dreht eine Persiflage auf das Allen-Spätwerk. Das wäre nur konsequent. So würde sich der Kreis schließen.

Anders dürfte ihm das junge Publikum bald endgültig entgleiten. Das sieht man schon an der Reaktion seines 23-jährigen Hauptdarstellers Chalamet. Er distanzierte sich vom fertig gedrehten Film. Er habe so viel durch die „#MeToo“-Debatte gelernt und würde rückblickend nicht mehr mitmachen. Chalamet spendete schließlich sogar seine Gage für Organisationen, die sich für Gleichberechtigung engagieren. Auch das ist konsequent.