Filmstill aus „The Trouble With Being Born“
© Viennale
„The Trouble With Being Born“

Gefühle im Roboterzeitalter

Wenn künstliche Intelligenz sowie Robotermechanik und -design so weit sind, wird man Androiden schaffen können, die dem Menschen gleichen. Sandra Wollner hat einen beeindruckenden, beklemmenden Film darüber gemacht, was es für die Gefühlswelt bedeutet, wenn man sein Gegenüber nach den eigenen – vermeintlichen? – Bedürfnissen gestalten kann: „The Trouble With Being Born“.

Bereits der erste Film der 1983 in Leoben geborenen Wollner, noch an der Filmakademie Baden-Württemberg ausschließlich mit 16-mm-Material gedreht, ließ aufhorchen: „Das unmögliche Bild“ wurde unter anderem beim Filmfestival Göteborg als bestes internationales Debüt ausgezeichnet und erhielt 2018 den Preis der deutschen Filmkritik. Heuer holte ihr zweiter Langfilm „The Trouble With Being Born“ sogar den Spezialpreis der Jury in der Berlinale-Sektion Encounters.

Auch das ist die Version – oder Vision – einer „schönen neuen Welt“: Wer es sich leisten kann, legt sich einen Roboter in Menschengestalt zu, der so aussieht, wie man sich das wünscht, der so reagiert, wie man es programmiert hat. Aber „schön“ ist hier nichts. Wollner legt einen blauen Schleier über ihre dunklen Bilder, die von ebenso dunkler Musik untermalt sind. Es ist ein beständiges Gefühl der Bedrohung und der Verunsicherung, das vorherrscht, das niemals Eindeutigkeiten zulässt: keine Freude über scheinbar glückliche Momente, keine angenehm dahinplätschernde Gleichmut, wenn dem Alltag der Protagonistinnen und Protagonisten gefolgt wird.

Spoiler-Warnung

In den folgenden Absätzen werden maßgebliche Wendungen der Handlung des Films wiedergegeben.

Was geht, wenn alles geht?

Im Mittelpunkt stehen ein Mann und eine junge Roboterin, die seiner Tochter nachgebildet ist, die im Alter von zehn Jahren verschwunden ist, was seinerseits bereits zehn Jahre her ist. Der Mann hat Sex mit der Puppe. Vage angedeutet wird, auch durch das plötzliche Auftauchen der echten, um zehn Jahre gealterten Tochter: Er hatte sie missbraucht, sie ist deshalb von zu Hause weggelaufen; heute „missbraucht“ er die Roboterin.

Wollner macht keine Umwege bei der Zuspitzung der Frage: Was geht, wenn alles geht? Durch die Pädophilie liegt die Schuldfrage auf dem Tisch. Schmerzhafte Bilder, kaum aushaltbare, sexualisierte Bilder von dem Robotermädchen und seinem realen Vater werden gezeigt, die ein Verdrängen des inneren Monsters unmöglich machen, das der Vater in Form seiner pädophilen Neigungen in sich trägt.

Filmstill aus „The Trouble With Being Born“
© Viennale

Filmhinweis:

„The Trouble With Being Born“ läuft bei der Viennale am 26. Oktober um 17.30 Uhr im Gartenbaukino, am 27. Oktober um 22.45 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus und am 29. Oktober um 13.30 Uhr in der Urania.

Schuld ohne Sühne

Und ein zweites Mal kommt Schuld ins Spiel, als ein Mann die Roboterin stiehlt, seiner gealterten Mutter schenkt und sie – ungenügend – zu deren als Kind verstorbenen Bruder umbaut. Die Programmierungen geraten durcheinander, Persönlichkeiten vermischen sich in der Puppe, ihre Identität bröckelt. Die alte Frau ist unzufrieden – sie wird daran erinnert, dass sie als Kind mitschuldig war am Tod des Bruders.

Schuld ist also ein großes Thema. Identitätskonstruktion ist ein weiteres. Nicht nur, was die Roboter betrifft, stellt sich die Frage nach Identität – sondern auch nach unserer eigenen, wenn wir von unseren materialisierten Sehnsüchten und Ängsten gespiegelt werden. Wollner hinterlässt viele lose Enden, die zunächst ins Nichts führen, die keine flirrende Ambivalenz hinterlassen, die sich diskutierend beim ersten Glas Wein nach dem Film entladen lässt.

Ein Film fürs Kino

Doch der Film verblasst nicht, er arbeitet weiter. Das hat einerseits mit den aufgeworfenen Fragen zu tun, aber auch damit, dass hier echtes Kino gemacht wird: Es wird eine außergewöhnliche Geschichte anhand von bewusst gestalteten – großartig gemachten, aufwendig bearbeiteten – Bildern und Tönen erzählt. Das klingt selbstverständlich, ist es bei vielen Filmen (zumal heimischen) aber leider nicht. Diese Geschichte kann so nur mit den Mitteln des Kinos erzählt werden. Das alleine ist ein Kompliment.